13. Dezember 2011

Schulen im Therapiewahn

Jedes zweite Kind fasst in seiner Schulkarriere eine oder mehrere Therapien. Dieser Trend hin zur Pathologisierung einer ganzen Generation geschieht nicht zuletzt aus einer Überforderung der Lehrpersonen heraus. Diese stehen zwischen Ansprüchen aus der Politik und dem Elternhaus. Während die Politik den Lehrkräften immer mehr Aufgaben ausserhalb ihres Lehrauftrags zumutet, fordern die Eltern Mitspracherecht in den Schulen oder können ihrem anspruchsvollen Nachwuchs nicht mehr Einhalt gebieten. Und da in vielen Basler Schulen der Anteil an verhaltensauffälligen Kindern gross ist, gibt es Klassen, in  denen fast ein Viertel der Kinder wegen ADS (Aufmerksamkeitsdefizitstörung) mit dem Medikament Ritalin behandelt wird.
Nun schlagen Ärzte und Fachleute Alarm. Sie fordern ein einfacheres Schulsystem, eine seriösere Abklärung, bevor Therapien verordnet werden, und eine grössere Toleranz bei Abweichungen von der Norm. Es dürfe nicht sein, dass ein Kind nicht mehr das kleinste Lispeln oder das geringste Tagträumchen haben dürfe, ohne dass sofort eine Diagnose gestellt und nach dem Therapeuten gerufen werde.
Tatsächlich sind die Schulen überfrachtet. Frühfranzösisch, die Neueinführung von Qualitätsstandards, Kinder zu dick, zu dünn, zu neurotisch, zu fernsehbesessen - die Schule beugt sich dem Druck, führt Purzelbaumstunden ein und übt das richtige Freizeitverhalten. Doch unter all dem Genügenwollen brechen ihre Protagonisten zusammen. Auch viele Lehrer können nur noch mit psychologischer Beratung und Tabletten funktionieren.
Getestet und behandelt. Mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler geht in eine Therapie. Fachleute warnen vor der Überbetonung von Schwächen.
Ärzte wehren sich gegen unnötige Diagnosen, Bild: Fotolia
Aus: Basler Zeitung, 13.12. von Franziska Laur
Eine Generation wird krank geredet, Basler Zeitung, 13.12. von Franziska Laur

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