17. April 2013

Reaktionen auf Bildungsbeilage NZZ

Die kürzlich erschienene Bildungsbeilage zum Lehrplan 21 hat heftige Reaktionen ausgelöst. Hier sind drei Leserbriefe aus der Ausgabe der NZZ vom 17.4.

Mit der Fokussierung der Volksschule auf den Erwerb sogenannter «Kompetenzen» (NZZ 10. 4. 13) wachsen ganze Generationen von Kindern zu halbgebildeten Erwachsenen heran, denen die schulischen Grundlagen fehlen, um ihren Platz in Beruf und Gesellschaft einzunehmen. Lediglich eine schmale Elite von Kindern, die im Elternhaus gefördert werden, wird in solchen Schulen noch eine umfassende Bildung erlangen, wie sie der Würde des Menschen entspricht. Wie Ulrich Schlüer im Streitgespräch richtig sagt, lebt die Schule von der Lehrerpersönlichkeit. Lehrerausbildner, die ihren Studenten weismachen, wer seinen Schülern etwas beibringen wolle, sei ein antiquierter «Pauker», lassen die künftigen Lehrer und die ihnen anvertrauten Schüler im Stich.
Im Laufe meiner langjährigen Tätigkeit als Berufsschullehrerin habe ich leider eine grosse Zahl von Jugendlichen kennengelernt, die nicht fähig waren, die wesentlichen Inhalte eines Zeitungsartikels, geschweige denn eines Abstimmungsbüchleins zu verstehen, weil sie in neun Jahren Volksschule weder eine klar strukturierte Sprachschulung noch einen ausreichenden deutschen Wortschatz mitbekommen hatten. Jedem vernünftig denkenden Menschen muss einleuchten: Das Wissen «kompetent» anzuwenden, setzt voraus, dass ein Grundstock an Wissen vorhanden ist. Man folge daher, neben den Aussagen von Ulrich Schlüer, dem Slogan der Akad-Werbung in dieser Sonderbeilage: «Besser richtig lernen!»
Marianne Wüthrich, Zürich

Es braucht keinen detaillierteren, keinen ausführlicheren Lehrplan, die bisherigen Lehrziele genügen vollauf. Wenn sie erreicht werden, ermöglichen sie den Lernenden einen guten Start ins (Berufs-)Leben. Was ungenügend ist und worunter alle Beteiligten, die Gesellschaft und die Wirtschaft, leiden, ist die Tatsache, dass das Erreichen der Lehrziele so viel Mühe macht wie nie zuvor: Bis zu 20 Prozent der Kinder verfehlen dieses Ziel zurzeit, und die Zunahme der sonderpädagogischen Massnahmen ist bald nicht mehr bezahlbar, trotz den Integrationsbemühungen. Wir müssen endlich damit aufhören, das Ammenmärchen nachzuplappern, das besagt, der Lernerfolg sei allein von der Lehrerpersönlichkeit abhängig. Es kommt darauf an, dass die Rahmenbedingungen für die Lehrpersonen stimmen. Zu viele Vorgaben und zu viel Bevormundung vom Staat haben einen grossen Einfluss auf ihre Arbeit. Es braucht keine neuen oder anderen Ziele. Es braucht mehr Autonomie und Methodenfreiheit für die Schulen und die Lehrerinnen und Lehrer. Es braucht mehr Bildungsvielfalt. Nicht nur die Lehrpersonen, auch die Klassen, die Eltern und die Kinder sind verschieden. Auf den Weg, wie die Lehrziele besser erreicht werden können, muss der Fokus gelegt werden, nicht auf das Ändern derselben. Damit verschiedene Wege möglich sind, braucht es autonome Schulen und keine weiteren Vorgaben «von oben».
Clarita Kunz, Schulleiterin, Präsidentin Lehrerinnen- und Lehrerlobby Zürich

Die Beilage «Bildung und Erziehung» zum Lehrplan 21 hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Kompetenzen vorne und Kompetenzen hinten. Wenn die erlauchte Gesellschaft der Lehrplan-21-«Geburtshelfer» möchte, dass auch das gemeine Volk mitdiskutiert, so sei ihr dringend geraten, die theoretischen Abhandlungen auf das Allernötigste zu beschränken und in der Vernehmlassung möglichst mit Konkretem herauszurücken. Eltern und Lehrerschaft interessiert es zum Beispiel sehr, ob das umstrittene Sprachenkonzept endlich geändert wird, weil die politisch motivierten zwei Fremdsprachen an der Primarschule viel zu wenig Ertrag bringen. Christian Amsler spricht im Streitgespräch mit Ulrich Schlüer die Heterogenität der Schule an und bezeichnet sie als Herausforderung, geht aber nicht weiter darauf ein. Will man tatsächlich an der totalen Integration festhalten, obwohl sich deren Theorien in der Praxis als untauglich erwiesen haben? In Sachen Lehrerbildung erweist sich die Oberstufen-Einheitslehrperson immer mehr als Fehlkonstrukt, weil offenbar die praktisch-handwerkliche Richtung arg ins Abseits gerät, und bei der Primarschule wird zwar von den Behörden betont, eine Aufteilung der Lektionen an verschiedene Lehrpersonen sei ungünstig, aber warum macht man denn die nurmehr einen Teil des Fächerkanons umfassende Primarlehrerausbildung nicht sofort überall wieder rückgängig? Weiter wird an gewissen Orten in altersdurchmischtem System unterrichtet, was schon stark Richtung selbstverantwortliches Lernen geht, doch diesem sind Kinder im oberen Spektrum vielleicht gewachsen, andere im Mittelfeld oder darunter aber mitnichten. Und dass schliesslich das «Gender-Thema» wohl bei vielen Leuten allergrösste Beachtung finden und im wahrsten Sinne als Pièce de Résistance empfangen werden dürfte, liegt auf der Hand.
Das wäre nur so eine kleine Auswahl von brisanten praktischen Problemen, und man ist gespannt zu lesen und zu hören, wie die breit diskutierten Schülerkompetenzen dann in die grossen Zusammenhänge eingebettet werden sollen. Nur, wenigstens hier sind sich offenbar alle einig: Am allerwichtigsten ist und bleibt eine andere Kompetenz, nämlich jene der Lehrperson. Wenn da die Qualitäten und Fähigkeiten stimmen, dann ist der Grundstein für einen Schulerfolg der Kinder gelegt. Diese Wahrheit hat schon Jahrhunderte überlebt, und daran wird auch ein Lehrplan 21 nichts ändern.
Hans-Peter Köhli, Zürich

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