12. Juli 2013

Integration produziert mehr Sonderschüler

Seit der Einführung der integrativen Förderung wurden schon etliche Evaluationen und Gutachten erstellt. Keine dieser Arbeiten hat jedoch die entscheidene Frage untersucht, ob die integrierten Kinder in ihren neuen Klassen tatsächlich auch mehr lernen. Klar belegbar ist hingegen, dass die Zahl der Sonderschüler stark zugenommen hat. Schwer integrierbare Kinder werden zunehmend den externen Sonderschulen zugeschoben, während die Regelschulen stetig mehr Sonderschüler hervorbringen.
An Evaluationen zum Stand der integrativen Schulung mangelt es nicht. Erst kürzlich hat das Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich im Auftrag der kantonalen Bildungsdirektion einen 500 Seiten dicken Wälzer erstellt, der ein recht positives Bild der integrativen Fördermassnahmen zeichnet. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch ein vom Zürcher Stadtrat bestellter Bericht. Die wichtigsten Fragen können allerdings beide Berichte nicht beantworten: Sind Sonderschüler in einer Regelklasse glücklicher? Lernen sie mehr? Haben sie bessere Chancen?
Tatsächlich gibt es bis heute keine wissenschaftliche Untersuchung, die belegt, dass der integrative Unterricht dem separativen überlegen ist. Kritische Bildungsexperten wie etwa Jean-Jacques Bertschi halten deshalb nüchtern fest, dass die angeblichen Vorteile von Integrations- oder Inklusionsmodellen vor allem ideologisch begründet seien.
Empirisch belegt ist dagegen die Entwicklung der Fallzahlen und der Kosten. Zwischen den Jahren 2000 und 2010 ist die Zahl der Sonderschüler im Kanton Zürich um 65 Prozent gewachsen. Die Kosten für die 3600 betroffenen Kinder belaufen sich mittlerweile auf 300 Millionen Franken pro Jahr. Dass die Gemeinden seit 2011 in eigener Kompetenz integrierte Sonderschulen führen dürfen, hat die Entwicklung noch beschleunigt: Innerhalb eines einzigen Jahres stieg die Zahl an Sonderschülern an den 600 Zürcher Schulen um weitere 460. Die Vermutung, dass das Regelsystem die früheren Sonderklassenschüler einfach abstösst und dafür neue Sonderschüler schafft, liegt auf der Hand.
Um die Entwicklung zu bremsen, hat der Kanton eine ganze Reihe von Massnahmen getroffen, die dem Wachstum Einhalt gebieten sollen: Geplant sind unter anderem ein Gemeinde-Monitoring sowie ein standardisiertes Abklärungsverfahren. Laut der kantonsrätlichen Bildungskommission soll damit der «besorgniserregenden und nur zum Teil erklärbaren Zunahme» von Diagnosen geistiger Behinderung und Verhaltensauffälligkeiten entgegengewirkt werden. Somit wird im Zürcher Bildungssystem zum ersten Mal auch bei den Sonderschulen gespart. Neu können die Gemeinden frei über den Einsatz der Mittel befinden. Um die Integration von Sonderschülern in der Regelschule zu stärken, sind die kantonalen Beiträge von der Bindung an Sonderschulen befreit worden. Ab 2016 wird der Kanton zudem von der bisherigen Defizitgarantie zum System der Fallpauschalen wechseln.
Diese stark regulatorischen Eingriffe setzen vor allem die rund 50 externen Sonderschulen unter Druck, an denen derzeit etwa 1600 Kinder mit Lern- und Verhaltensschwierigkeiten betreut werden. Weil der Kanton die finanziellen Ressourcen anders verteilt, werden die Mittel für die von der öffentlichen Hand finanzierten Sonderschulen knapper. Dass die Privatschulen zu den Kostentreibern im Zürcher Sonderschulwesen gehören, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Kosten für das Schulgeld variieren von 48 000 Franken bis 100 000 Franken. Dazu kommen die Kosten für den Transport, die sich pro Kind auf einige zehntausend Franken belaufen können. Allein die Stadt Zürich gibt knapp 6 Millionen Franken für den Transport der Kinder aus.
Wie sich die Sparbemühungen des Kantons und die Einführung der Fallpauschale auf die Sonderschulen auswirken werden, ist offen. Anzunehmen ist, dass ihnen im Rahmen der Integrationsbemühungen zunehmend die schwer integrierbaren Kinder zugewiesen werden. Damit steigt allerdings auch der Betreuungsaufwand, womit wiederum zusätzliche Kosten verbunden sind. Das setzt die externen Schulen zunehmend unter Druck. Die Sonderschule Momo in Uster etwa sah nur einen Ausweg, ihre Kostenstruktur zu verbessern: Nach den Sommerferien eröffnet sie eine zusätzliche Privatschule.
Quelle: Sonderschulen unter Druck, NZZ, 12.7. von Christina Neuhaus

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