14. Oktober 2013

"Gegen den Mainstream zu schwimmen braucht Mut"

Die Journalistin Franziska Laur ist bekannt dafür, dass sie immer wieder auf Missstände im Bildungswesen hinweist. So verdanken wir ihr die vielbeachtete Analyse zum Therapiewahn an unseren Schulen. Dies geschah lange vor der nun bekannt werden Pathologisierung der Schulkinder im Interesse eines schnell wachsenden therapeutischen Speckgürtels. Im folgenden Kommentar zeigt sie mit ihrem Finger auf die Umverteilung von unten nach oben im Basler Schulsystem. Doch dies ist nicht nur ein Basler Problem, schweizweit sind hier die Bildungspolitiker gefordert.
Lehren statt erziehen
Basler Lehrerinnen und Lehrer haben es nicht einfach: Schul­anfänger, die noch Windeln brauchen, vernachlässigte Kinder, die täglich zu spät kommen, Medien-­Junkies, die am Montagmorgen Entzug schieben. Eine Stadt generiert alle Arten von Schüler. Doch anstatt das Bildungsdepartement die Leute an der Basis stärkt, investiert es Geld in Hochglanzbroschüren und in ­alltagsferne Theoretiker, die aus­geklügelte Konzepte erarbeiten. Und selbstverständlich werden die Lehrer dann aufgefordert, diese Ideen umzusetzen und dazu Weiterbildungen zu besuchen. Geht es jedoch um die Qualitätskontrolle dieser Projekte, werden die Theoretiker zurückhaltend. Sie haben wohl Angst vor der Wahrheit. Denn diese könnte ja lauten, dass an ihrer Politik etwas falsch läuft.
Die Schule scheint sich von ihrem Kernthema, dem Unterrichten und fachbezogenen Erleben im Schulzimmer, immer mehr zu entfernen. Vielmehr sind erziehen und verändern angesagt. Die Schule hat sich in die Idee verliebt, Kinder beliebig formen zu können: zu umweltbewussten, tugendhaften, friedfertigen Menschen. Das führt nicht nur zu einer Überlastung der Lehrerschaft. Mit einer solch unrealistischen Zielsetzung begibt sich die Bildungs­direktion auf ideologisches Glatteis und verschreibt sich einem Auftrag, der eigentlich Aufgabe der Eltern ist. Ganz abgesehen davon, dass wohl noch nie jemand die Kinder gefragt hat, ob sie das wirklich wollen. Gut möglich, dass ein solch hektischer Übereifer sie eher lähmt statt fördert und ihnen die Chance nimmt, herauszufinden, was sie wirklich möchten und was sie brauchen.
Es wäre eine Erleichterung, wenn die Schule wieder zu ihrer Kernaufgabe zurückkehren würde: ihren Bildungsauftrag schlicht und schnörkellos zu erfüllen. Auch wenn die Gesellschaft zunehmend komplexer geworden ist, heisst das nicht, dass sie dieses Karussell der Vielfältigkeit und Verzettelung mitmachen muss. Sie kann sich gelassen und dezidiert darauf berufen, dass ihr Kernauftrag das Unterrichten ist. Doch gerade dafür bleibt den Lehrkräften immer weniger Zeit. Zu häufig müssen sie sich mit fachfremden Themen herumschlagen: Umwelterziehung praktizieren, Evaluationen mitmachen, Absprachen mit Förderpersonen treffen …
So braucht es in erster Linie Bildungspolitiker, die sich getrauen, wieder auf ein einfaches, entschlacktes ­Bildungssystem zu setzen. Nicht mit dem Mainstream zu schwimmen und jeden fachfremden Bildungskäse mitzumachen, braucht Mut. Doch unsere Lehrer müssen sich dringend wieder auf das konzentrieren ­können, wofür sie ausgebildet sind – das Vermitteln von Fachwissen.
Quelle: Basler Zeitung, 14.10. von Franziska Laur

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