5. Dezember 2013

Die Sucht nach Perfektion und Wettbewerb

In den Schweizer Schulen hat eine seltsame Mode Einzug gehalten: Die Sucht nach Perfektion und das Eifern im internationalen Wettbewerb. So warteten gestern die Schweizer Bildungsdirektionen mit Bangen und Hoffen auf die Resultate der Pisa-Studie und jubelten begeistert, weil sie heuer näher an die ­Finnen gerückt sind, die ihnen vor Jahren schnöde den Rang abgelaufen hatten. Doch was sagen diese Studien schon aus? Das jetzt herabgestufte Finnland hatte schon bei ­seinem exzellenten Abschneiden in der Pisa-Studie eine Jugendarbeitslosigkeit von mehr als zwanzig ­Prozent, in der Schweiz liegt sie seit Jahren um die drei Prozent. War nun Finnland tatsächlich jemals besser als die Schweiz, die mit ihrem dualen Bildungssystem seit Jahren in ganz Europa viele Neider hat?
Trotz dem diesjährigen – natürlich erfreulichen – Pisa-Ergebnis sollte man um die Qualität des Schweizer Bildungswesens besorgt sein. Denn die Perfektionskultur und die Panik, im internationalen Wettbewerb nicht mithalten zu können, töten die ­Motivation unserer Lehrer. Sie leiden darunter, dass sich jeder Bildungs­direktor einen Innovationspreis verdienen will und daher an der Schule rumdoktert, reformiert und evaluiert. Dafür holt er ständig mehr Leute in die Verwaltung, die ebenso emsig planen, doktern und verändern, während sich die Lehrer an der Basis im herben Schulalltag mit Kindern herumschlagen müssen, die noch in die Hose machen oder keine Viertelstunde still sitzen können.
Bildungsdirektoren und ihre Crew könnten bei den Lehrpersonen wieder Vertrauen aufbauen, wenn sie Ruhe bewahren und beobachtend abwarten würden, anstatt ständig Neues zu lancieren. Man sehe sich nur schon die nächste Reform, den Lehrplan 21, an. Auf 557 Seiten wird den Lehrern vorgeschrieben, wie sie die Schüler zu umweltbewussten, nachhaltig handelnden und fried­fertigen Personen erziehen können. Kompetenzorientierung ist das neue Zauberwort, das Wissen rückt in den Hintergrund. Dabei drohen uns diejenigen Länder bildungsmässig den Rang abzulaufen, die den Fokus aufs Büffeln setzen.
Nicht dass wir uns nun unreflektiert in den Wettbewerb mit den Asiaten stürzen müssten, doch mit Kompetenz­erwerb allein ist nun ­einmal kein fundiertes Wissen zu gewinnen. Und vor allem müssen wir ­darauf achten, dass die Pädagogen nicht durch immer verbürokratisiertere Vorgaben die Lust am Beruf ­verlieren. Das wäre fatal. Denn nur ein motivierter, begeisterter Lehrer ist ein guter ­Lehrer. Und nur von ihm können unsere Kinder wirklich viel lernen.
Kommentar von Franziska Laur in der Basler Zeitung, 4.2.

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