11. Dezember 2013

"Es lohnt sich zu kämpfen"

Auch aus dem Wallis sind kritische Töne zum Lehrplan 21 zu vernehmen. In einer Kolumne meldet sich Alois Grichting zu Wort und spricht davon, dass der Berg hier nicht eine Maus, sondern einen Elefanten geboren habe.
Quelle: Walliser Bote, Übrigens, von Dr. Alois Grichting
Übrigens ... freut es mich als ehemaligen Mathematiklehrer sehr, dass die Schweiz in der PISA-Studie nach Fernsehen SRF mit dem dritten Platz ("Bronzemedaille") in Mathematik ausgezeichnet wurde. Ich gratuliere meinen Kollegen, falls sie viel vom PISA halten, zu ihrem Erfolg. Wenn ja, bestätigt dieser das, was ich einem Protestmemorandum gegen den "Lehrplan 21" der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) entnehme, nämlich: "Dass unser Bildungssystem zu den besten der Welt zählt, am meisten Nobelpreisträger pro Kopf hervorbringt, am meisten Lehrlingsmeister/-meisterinnen und eine rekordtiefe Jugendarbeitslosigkeit hat und im europäischen Vergleich die grösste Integrationsleistung erreicht". Wenn dieses Loblied nun wirklich schmeichelhaft ist, muss man sich aber fragen, was denn die von Reformitis und Profilierungssucht getriebenen EDK-Leute - dies sind weitgehend Politiker, die in ihrer Mehrheit von Schulehalten überhaupt nichts verstehen - schon wieder über die Hintertür "Lehrplan 21" an unserer guten Schule herumdoktern wollen? Wir kennen das Sprichwort, dass "ein Berg eine Maus geboren habe". Im Falle des "Lehrplans 21" haben sich die EDK-Politiker erlaubt, einen "Elefanten" zu gebären: Einen Riesenschunken von 557 Seiten und darin eine Aufzählung von 4753 - sage und schreibe viertausendsiebenhundertunddreiundfünfzig Kompetenzen und Teilkompetenzen! Beispiel gefällig? Im Fachbereich Deutsch (D.1 Hören, C Verstehen ...) lautet Kompetenz 1 auf Kompetenzstufe a: "Die Schülerinnen und Schüler können ihre Aufmerksamkeit in Gesprächen nonverbal (z.B. Mimik, Körpersprache), paraverbal (z.B. Intonation) und verbal (Worte) über kurze Zeit zeigen". Geit s no? Und: Was bitte schön, lernen sie? Die etwas von Schule verstehen, z.B. das "Forum Allgemeinbildung Schweiz" (FACH), beurteilen dieses monströse Machwerk von Theoretikern als unübersichtlich, widersprüchlich, überfordernd und sehen eindeutig einen Bildungsabbau voraus.
- Kreativität weg. Das Wort "Kompetenz" stammt von lateinisch "competere" = zusammentreffen, zu etwas fähig sein. Die Komkpetenzhuberei und die damit verbundene Standardisierung im Bildungswesen, deren Bankrott man in Ländern wie den USA, Deutschland und Österreich schon längst einsieht, lässt der Kreativität des Schülers und der Lehrer im Erwerben und Lehren des Stoffs keine Chance. Kompetenz zielt auf messbare Handlungen. Die Schule sollte aber zu Kenntnissen, zu Kritik, Reflexion oder Neugierde und neuen, nicht nur zuvor "einbetonierten" Ideen führen. Nach Lehrplan 21 sollen dann auch Kompetenz-Lehrmittel die Lern- und Lehrwege vereinheitlichen. Die Lehrkräfte und Schüler werden so, wie ein Kommentator meint, "nicht getragen, sondern erschlagen". Und die Verleger von Lehrmitteln reiben sich die Hände. Die emotionalen und moralischen Fähigkeiten der Lernenden werden in dieser "Kompetenz-Arena" vernachlässigt - eine Katastrophe! Gerade die Welt der musischen Fähigkeiten in Musik, Literatur und Kunst muss frei bleiben und kann nicht standardisiert werden. 
- Der "einheitliche" Mensch. Lehrplan 21 definiert als wahre Autopsie den künftigen Menschen als Bündel genau beschriebener Einzelfähigkeiten. Er fordert einen sich nach einem standardisierten Verhalten benehmenden, einheitlichen Menschen, Lehrer und Schüler. Dieser staatlich gelenkte einheitliche Mensch wird nicht primär zu einem aufbauenden, selbständig und kritisch denkenden Staatsbürger, sondern zu einem flexiblen, steuerbaren Marktteilnehmer erzogen. Verstecktes Hintergrundbild der EDK-Bildungsbürolisten ist immer noch der Englisch sprechende, die Ökonomisierung der Schule vorantreibende Homo oeconomicus, der etwa die geisteswissenschaftlichen Fächer wie Geschichte, alte Sprachen, Philosophie usw. und natürlich die musischen Fächer als nicht rentabel einstuft und naserümpfend abschafft. Demokratie lebt aber gerade vom Austausch freier, nicht eingetrichterter Meinungen und origineller, nicht katalogisierter Fähigkeiten, von der Vielfalt der Ideen, die nicht in einem Korsett von Tausenden vom Einzelkompetenz-Definitionen ersticken.
Fazit. Es gilt, den eindimensional an staatliche Gleichschaltung denkenden EDK-"Harmonisatoren" das Handwerk zu legen, der "Vision des selbst gesteuerten Lernens" adieu zu sagen, nicht in Bildungsblasen wie "Natur, Umwelt und Gesellschaft" Dinge zu bequatschen, sondern klassische Fächer wie Physik, Mathematik, Biologie, Chemie, Geschichte, Philosophie, Deutsch usw. im Sinne von wahrer Wissenschaftsvermittlung zu unterrichten. Die, ich muss es so nennen, Riesen-EDK-Ejakulation von Tausenden von Kompetenzen auf Hunderten von Seiten ist nicht nur lächerlich, sondern für die Zukunft unseres Bildungssystems tötend. Dazu noch teuer! Wir haben, wie eingangs dargelegt, ein erstklassiges Schulsystem. Dafür zu kämpfen lohnt sich. Ohnmachtsschreie wie "Ach, du lieber Schwan!" nützen dabei wenig. Die Sache fordert Protest.
Alois Grichting ist Ingenieur, Volkswirtschafter, Lehrer i.R. und Publizist

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