18. Dezember 2013

Wissen statt Birchermüesli

Mit dem Baselbieter Urs Wüthrich getraut sich erstmals auch ein SP-Bildungsdirektor Kritik gegenüber dem Lehrplan 21 zu äussern. Schulevaluatoren sprechen gerne vom 360°-Feedback. So gesehen wird der Lehrplan nun von allen Seiten mit Beanstandungen überhäuft. Interessant ist die Bemerkung Wüthrichs, wonach sich der Lehrplan den Baselbieter Niveaueinteilungen anzupassen habe. Es gebe nicht einfach den Schüler, sondern es gebe die Schüler in den Niveaus A, E und P.




Wüthrich: Lehrplan wird dem einzelnen Schüler nicht gerecht, Bild: Michael Koller

Wissen statt Birchermüesli, Basler Zeitung, 18.12. von Peter de Marchi

Die Baselbieter Regierung würdigt zwar das Bestreben der eidgenössischen Erziehungsdirektorenkonferenz, mit dem Lehrplan 21 eine Harmonisierung des Bildungswesens in der Schweiz anzustreben, lehnt den vorliegenden Entwurf aber ab. Der Lehrplan müsse nachgebessert werden, sagt Bildungs­direktor Urs Wüthrich. «Nur mit deutlichen Verbesserungen kann der Kanton Baselland für den Lehrplan 21 gewonnen werden.»
Der Lehrplan als öffentlicher Bildungsauftrag müsse verständlicher gefasst werden, kritisiert Wüthrich ganz generell. Notwendig sei auch die Kürzung des Werks auf einen praxistauglichen Umfang. Der Lehrplanentwurf enthalte zu viele ungewichtete Einzelkompetenzen. Nur mit einer radikalen Vereinfachung könne er zu einem Werkzeug für den Schulalltag werden. «In diesem Umfang ist der Lehrplan 21 nicht lebbar.»
Dann werde auch den unterschiedlichen Leistungen der einzelnen Schüler zu wenig Rechnung getragen. Der Lehrplan 21 sei zu wenig differenziert, und er lege die Latte für einzelne Schülerinnen und Schüler viel zu hoch, sagt Wüth­rich. Über den Mindestansprüchen im dritten Zyklus für die Sekundarstufe I, also vor dem Übertritt in die Lehre oder an ein Gymnasium, müssen jeweils zwei Kompetenzstufen für erweiterte und hohe Anforderungen ausgewiesen werden. Dies sei für die Abstimmung der Anforderungen zu den Anschlüssen der weiterführenden beruflichen und allgemeinbildenden Angeboten der Sekundarstufe II hilfreich.
Den Niveaus gerecht werden                            
Dasselbe müsse im zweiten Zyklus der Primarstufe im Hinblick auf den Übertritt in die Sekundarstufe I konkretisiert werden. Nicht korrekt sei im Lehrplanentwurf, dass das Erreichen des Mindestanspruchs im dritten Zyklus gleichzusetzen sei mit der Befähigung zum Übertritt in die berufliche Grundbildung: Viele Lehrberufe setzen das Beherrschen von Kompetenzstufen voraus, die deutlich über den Mindestanspruch hinausgehen und attraktiv seien für besonders begabte und interessierte Schüler. Ganz generell: Der Lehrplan 21 müsse den drei Niveaus im Baselbieter Schulsystem Rechnung tragen, sagt Wüthrich. Es gebe nicht einfach den Schüler, sondern es gebe die Schüler in den Niveaus A, E und P.
Die Bedeutung des Wissens als Voraussetzung von Kompetenz sei hervorzuheben, sagt Wüthrich weiter. Dem möglichen Missverständnis, dass Wissen angesichts der erleichterten Zugänglichkeit zu Informationen obsolet werde, müsse entgegengetreten werden. Verstehen und vernetztes Wissen als Aspekte der Bildung und der Kompetenzen hätten angesichts der Risiken oberflächlicher Informiertheit an Bedeutung zugenommen.
«Haltungen müssen ergebnisoffen formuliert werden», so Wüthrich weiter: Die Schule soll die Entwicklung von Haltungen unterstützen und begleiten, sie aber nicht inhaltlich zu eng bestimmen und bewerten. Die in den fächerübergreifenden Themen zu erwerbenden Kompetenzen müssen zudem in den Fachbereichen verortet werden. Der fachübergreifende Unterricht sei wichtig, sagt Wüthrich. Dieser brauche aber ein Fundament in den einzelnen Disziplinen. Das Fachwissen sei die Voraussetzung für fachübergreifende Kompetenzen. «Vernetztes Denken, aber kein Birchermüesli.»
Die Regierung nimmt auch ein Anliegen der Wirtschaftskammer Baselland auf: Die berufliche Orientierung solle stärker mit Bezug zu einem differenzierten Bild der Wirtschaft und ihrer zukünftigen Weiterentwicklung profiliert werden. Eine aktive Berufswahlvorbereitung helfe, dass die Schüler ihre Interessen und Möglichkeiten für ihr Ausbildungsprojekt nach Abschluss besser einbringen. Die duale Berufsbildung müsse mit einem zeitgemässen Bild im Lehrplan mit ihren attraktiven Bildungsmöglichkeiten sowie ihrer Durchlässigkeit zu anderen Laufbahnen präsent sein.

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