Mit dem Baselbieter Urs Wüthrich getraut sich erstmals auch ein SP-Bildungsdirektor Kritik gegenüber dem Lehrplan 21 zu äussern. Schulevaluatoren sprechen gerne vom 360°-Feedback. So gesehen wird der Lehrplan nun von allen Seiten mit Beanstandungen überhäuft. Interessant ist die Bemerkung Wüthrichs, wonach sich der Lehrplan den Baselbieter Niveaueinteilungen anzupassen habe. Es gebe nicht einfach den Schüler, sondern es gebe die Schüler in den Niveaus A, E und P.
Wüthrich: Lehrplan wird dem einzelnen Schüler nicht gerecht, Bild: Michael Koller
Wissen statt Birchermüesli, Basler Zeitung, 18.12. von Peter de Marchi
Die Baselbieter Regierung würdigt zwar das Bestreben der
eidgenössischen Erziehungsdirektorenkonferenz, mit dem Lehrplan 21 eine
Harmonisierung des Bildungswesens in der Schweiz anzustreben, lehnt den
vorliegenden Entwurf aber ab. Der Lehrplan müsse nachgebessert werden, sagt
Bildungsdirektor Urs Wüthrich. «Nur mit deutlichen Verbesserungen kann der
Kanton Baselland für den Lehrplan 21 gewonnen werden.»
Der Lehrplan als
öffentlicher Bildungsauftrag müsse verständlicher gefasst werden, kritisiert Wüthrich
ganz generell. Notwendig sei auch die Kürzung des Werks auf einen
praxistauglichen Umfang. Der Lehrplanentwurf enthalte zu viele ungewichtete
Einzelkompetenzen. Nur mit einer radikalen Vereinfachung könne er zu einem
Werkzeug für den Schulalltag werden. «In diesem Umfang ist der Lehrplan 21
nicht lebbar.»
Dann werde auch
den unterschiedlichen Leistungen der einzelnen Schüler zu wenig Rechnung
getragen. Der Lehrplan 21 sei zu wenig differenziert, und er lege die Latte für
einzelne Schülerinnen und Schüler viel zu hoch, sagt Wüthrich. Über den
Mindestansprüchen im dritten Zyklus für die Sekundarstufe I, also vor dem
Übertritt in die Lehre oder an ein Gymnasium, müssen jeweils zwei
Kompetenzstufen für erweiterte und hohe Anforderungen ausgewiesen werden. Dies
sei für die Abstimmung der Anforderungen zu den Anschlüssen der weiterführenden
beruflichen und allgemeinbildenden Angeboten der Sekundarstufe II hilfreich.
Den Niveaus gerecht werden
Dasselbe müsse im
zweiten Zyklus der Primarstufe im Hinblick auf den Übertritt in die
Sekundarstufe I konkretisiert werden. Nicht korrekt sei im Lehrplanentwurf,
dass das Erreichen des Mindestanspruchs im dritten Zyklus gleichzusetzen sei
mit der Befähigung zum Übertritt in die berufliche Grundbildung: Viele Lehrberufe
setzen das Beherrschen von Kompetenzstufen voraus, die deutlich über den
Mindestanspruch hinausgehen und attraktiv seien für besonders begabte und
interessierte Schüler. Ganz generell: Der Lehrplan 21 müsse den drei Niveaus im
Baselbieter Schulsystem Rechnung tragen, sagt Wüthrich. Es gebe nicht einfach
den Schüler, sondern es gebe die Schüler in den Niveaus A, E und P.
Die Bedeutung des
Wissens als Voraussetzung von Kompetenz sei hervorzuheben, sagt Wüthrich
weiter. Dem möglichen Missverständnis, dass Wissen angesichts der erleichterten
Zugänglichkeit zu Informationen obsolet werde, müsse entgegengetreten werden.
Verstehen und vernetztes Wissen als Aspekte der Bildung und der Kompetenzen
hätten angesichts der Risiken oberflächlicher Informiertheit an Bedeutung
zugenommen.
«Haltungen müssen
ergebnisoffen formuliert werden», so Wüthrich weiter: Die Schule soll die
Entwicklung von Haltungen unterstützen und begleiten, sie aber nicht inhaltlich
zu eng bestimmen und bewerten. Die in den fächerübergreifenden Themen zu
erwerbenden Kompetenzen müssen zudem in den Fachbereichen verortet werden. Der
fachübergreifende Unterricht sei wichtig, sagt Wüthrich. Dieser brauche aber
ein Fundament in den einzelnen Disziplinen. Das Fachwissen sei die
Voraussetzung für fachübergreifende Kompetenzen. «Vernetztes Denken, aber kein
Birchermüesli.»
Die Regierung
nimmt auch ein Anliegen der Wirtschaftskammer Baselland auf: Die berufliche
Orientierung solle stärker mit Bezug zu einem differenzierten Bild der
Wirtschaft und ihrer zukünftigen Weiterentwicklung profiliert werden. Eine
aktive Berufswahlvorbereitung helfe, dass die Schüler ihre Interessen und
Möglichkeiten für ihr Ausbildungsprojekt nach Abschluss besser einbringen. Die
duale Berufsbildung müsse mit einem zeitgemässen Bild im Lehrplan mit ihren
attraktiven Bildungsmöglichkeiten sowie ihrer Durchlässigkeit zu anderen
Laufbahnen präsent sein.
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