27. Dezember 2013

Zu PISA, Rankings und Bildungspolitik

Der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann beobachtet die Bildungspolitik seit vielen Jahren. In einem Interview äussert er seine Kritik an PISA und am Bildungssystem. Seine Gedanken sind nicht nur für Österreich relevant. In der Schweiz klopfte man sich nach der Veröffentlichung der PISA-Resultate auf die Schulter und begründete die guten Resultate mit den gemachten Anpassungen im Rahmen der Förderung der Lesekompetenz. Dann stellte sich heraus, dass die Verbesserungen nicht in erster Linie mit der Schule, sondern mit der Ausländerpolitik zu tun hatten. Liessmann:"Fällt ein PISA-Test schlecht aus, muss die Ministerin fast zurücktreten, fällt er gut aus, sagt sie: Das ist das Ergebnis meiner Politik. Beides ist Unsinn."




Liessmann:"Zumindest das Bachelorstudium sollten alle Studierenden eines Faches gemeinsam absolvieren", Bild: Kleine Zeitung
"PISA ist verzichtbar", Salzburger Nachrichten, 5.12. von Maria Zimmermann


Warum Lehrer künftig weniger wissen werden als heute und dauerndes Reformieren nur schädlich ist.
Maria Zimmermann Der Philosoph Konrad Paul Liessmann ist seit vielen Jahren aufmerksamer Beobachter der Bildungspolitik. Im SN-Gespräch erklärt er, warum er Rankings für sinnlos hält und der Philosophieunterricht bald ohne Philosophen auskommen muss.
Sie äußern sich seit Jahren kritisch zu Rankings im Bildungssystem. Was stört Sie denn an PISA?
Liessmann: All diese Tests und Studien messen nicht das, was sie zu messen vorgeben. PISA misst in erster Linie die Fähigkeit von 15-Jährigen, PISA-Tests zu lösen. Der Zusammenhang mit den Schulleistungen, der Qualität des Schulsystems, den Fähigkeiten der Jugendlichen, sich in die Gesellschaft und in den Arbeitsprozess einzugliedern, gar mit allgemeiner Bildung, ist nicht nachweisbar. Dafür betreibt man einen unheimlichen Aufwand, versetzt ganze Nationen in Erregung, steckt viel Geld hinein. Das führt zu einer Testindustrie, die Heerscharen von Bildungsforschern und Testauswertern beschäftigt – mit dem Ergebnis, dass das rauskommt, was wir ohnehin wissen: Österreich liegt beim Lösen der PISA-Aufgaben im Mittelfeld.
Wir sollten also bei PISA gar nicht mehr mitmachen?
Liessmann: PISA ist verzichtbar – so wie 90 Prozent all dieser Tests. Das Verheerende daran ist ja, dass die Bildungsfrage darauf reduziert wird, was bei einem fragwürdigen Test herauskommt. Man hat kein Vertrauen mehr in jene Menschen, die im Bildungssystem arbeiten. Es hätte genügt, Lehrer aufzufordern, ehrlich zu sagen, wie es um die Lese- und Rechenkompetenzen ihrer Schüler bestellt ist. Dann hätten wir authentischere und umfassendere Ergebnisse. Und solche Tests ersticken jede Frage danach, welche Kenntnisse und Fähigkeiten junge Menschen in einem umfassenden Sinn haben sollen. Alles dreht sich um die Frage: Was tun, um beim nächsten Test besser zu sein?
Was ist die Konsequenz?
Liessmann: Die Bildungspolitik glaubt, sich daran orientieren zu müssen. Fällt ein PISA-Test schlecht aus, muss die Ministerin fast zurücktreten, fällt er gut aus, sagt sie: Das ist das Ergebnis meiner Politik. Beides ist Unsinn.
Was bedeutet für Sie Bildung?
Liessmann: Der Erwerb von Kulturtechniken wie Schreiben oder Rechnen ist die Voraussetzung für Bildung. Bildung selbst setzt sich aus Wissen, Kenntnissen von kulturellen Traditionen, Verständnis für die Wissenschaften und der Fähigkeit, wertend und kritisch mit Informationen und Informationssystemen umzugehen, zusammen. Ich halte nichts davon, den Bildungsbegriff auszudehnen von der frühkindlichen Erziehung bis zum Doktoratsstudium. Das führt zu fatalen Konsequenzen wie bei der Reform der Lehrerausbildung: Es soll nur noch eine einheitliche Ausbildung für alle Pädagogen geben. Das ist für mich ziemlich fragwürdig.
Sie kritisieren, dass die Träger der Wissensgesellschaft, die Lehrer, durch die aktuelle Reform immer weniger wissen werden?
Liessmann: Im Gegensatz zu den Lehramtskandidaten der Vergangenheit, die eine Diplomarbeit zu verfassen hatten, schließen Bachelors mit zwei Seminararbeiten und ohne Abschlussprüfung ab. Was mich irritiert: Über die Trennung der Schüler mit zehn Jahren wird – aus guten Gründen – trefflich diskutiert. Auf der anderen Seite haben wir kein Problem damit zu sagen, jemand muss sich mit 17 oder 18 Jahren festlegen, ob er Lehrer werden und den Rest seines Lebens auch bleiben will. So jemand kommt aus dem Schuldenken nie heraus. Selbst ernannte Experten fordern immer, dass man schlechte Lehrer loswerden sollte. Natürlich soll man das. Aber wir arbeiten gerade daran, dass sie so gut wie gar keine andere Berufsmöglichkeit mehr haben.
Die Ausbildung müsste also wesentlich breiter angelegt sein?
Liessmann: Ja. Zumindest das Bachelorstudium sollten alle Studierenden eines Faches gemeinsam absolvieren. Ich habe es immer für einen Fehler gehalten, dass Lehramtsstudenten als Studenten zweiter Klasse behandelt werden. Aber durch das neue Konzept wird das noch verschärft. Wenn man will, dass Lehrer eine Ahnung von der Welt und der Wissenschaft haben, hätte man die Ausbildung ganz anders gestalten müssen. Nun trösten wir uns damit, dass der Lehrer der Zukunft nicht mehr so viel wissen muss, weil die Schüler ja eh im Internet nachschauen können und der Lehrer die Klasse nur noch managen oder beraten soll. Man muss aufpassen, dass man ein wesentliches Kind der Wissensgesellschaft, das Wissen, nicht mit dem Bade ausschüttet.
Ist also ein guter Lehrer die beste Garantie für gute Bildung?
Liessmann: Genau darum ginge es – und zwar nahezu unabhängig vom Bildungssystem. Das zumindest zeigt uns ja auch PISA: Finnland, das bisher aufgrund seiner Ergebnisse und der Gesamtschule als Bildungswunderland galt, ist nicht mehr an der Spitze. Und die Schweiz, die ein differenziertes Schulsystem hat, ist in manchen Bereichen zum besten Land Europas aufgestiegen. Zugleich ist die reiche und demokratisch reife Schweiz das Land mit dem geringsten Akademikeranteil Europas. Das könnte ja auch zu denken geben. Man hat ja auch nie dazugesagt, dass etwa Länder, die bei PISA hinter Österreich lagen, auch die Gesamtschule haben. Also weg von der Idee, aus PISA ließen sich triftige Rückschlüsse über Bildungssysteme ziehen.
Was müsste denn im heimischen Bildungssystem passieren?
Liessmann: Dauerreformen sind immer schädlich. Man sollte sich für eine Struktur entscheiden – egal welche – und dann alle Kräfte dort bündeln, statt ständig Strukturreformdebatten zu führen, die Energie und Zeit vergeuden. Wenn ich mich für die Gesamtschule entscheide, dann grundsätzlich und flächendeckend samt einem Verbot von Privatschulen. Wenn ich das nicht will, dann soll ich mich klar zu einem differenzierten Schulsystem bekennen und aus diesem das Beste machen.
Ist das nicht illusorisch, wenn sich die Koalition da uneins ist?
Liessmann: Das Problem ist ja nicht, dass keine Entscheidung getroffen wird, sondern dass ständig davon geredet wird, dass eine Entscheidung getroffen werden muss. Das schafft Unruhe. Auf der anderen Seite gibt es ja eine ganze Reihe von Strukturreformen, wie auch jetzt die Umstellung der Lehrpläne und der Matura auf die Kompetenzorientierung, die ich für verhängnisvoll halte. Denn am Ende wird der Unterricht nur noch unter die Prämisse gesehen: Was kann ich damit tun? Das führt in machen Fächer zu aberwitzigen Konstruktionen: In Zukunft etwa wird es möglich sein, Philosophie an Gymnasien zu unterrichten, ohne dass in einem Jahr auch nur der Name eines einzigen Philosophen fällt. Das kann es ja nicht sein. Manchmal habe ich den Eindruck, das einzige Glück ist, dass viele Lehrer versuchen, zu überspielen, was ihnen da an permanenter Reform zugemutet wird.
Führt das nicht alles zu einer Nivellierung nach unten?
Liessmann: Ich bin kein Kulturpessimist, meine These ist: Kein Schulsystem kann so schlecht sein, dass sich die Neugier nach Wissen bei jungen Menschen nicht irgendwann durchsetzt. Ich sehe weder den Untergang des Abendlandes noch den von Österreich. Ich sehe nur, dass wahnsinnig viele Ressourcen verschleudert werden und manches in die falsche Richtung läuft. Die Auswirkungen sehen wir erst in vielen Jahren. Ausgetragen wird diese Reformiererei aber auf Kosten der Schüler und Studenten. Änderungen sollten nicht dem Zeitgeist folgen, sondern stets mit großem Bedacht, dann aber mit Nachdruck gemacht werden.

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