17. Januar 2014

Komitee bekämpft Harmos

Im Baselbiet macht sich Ernüchterung breit. Seinerzeit, als man über Harmos abstimmte, stellte sich bloss der Lehrerverband quer. Das Volk wollte dabei sein, nicht auf die warnenden Stimmen hören, am "Fortschritt" mitarbeiten: an einem gemeinsamen Schweizer Bildungssystem. In der Zwischenzeit ist der Lack ab. Harmos ist wahnsinnig teuer. Harmos ist ein Etikettenschwindel bei den Fremdsprachen  und Harmos toleriert unterschiedliche Stundentafeln. 





Mit solchen Kampagnen wurden Abstimmungen gewonnen. Bild: Keystone

Komitee fordert Austritt aus Harmos, Basler Zeitung, 17.1. von Franziska Laur



Das ist ein grosser Wurf: Im Baselbiet macht sich eine Gruppe bereit, um per Volksinitiative den Austritt aus dem Harmos-Konkordat zu erwirken. Saskia Olssen, Geschäftsführerin der Organisation «Starke Schule Baselland», wiegelt zwar noch ab. Es seien lediglich Gespräche im Vorstand im Gang, entschieden sei noch gar nichts.
Doch der BaZ liegt ein Papier des ­Initiativkomitees vor mit diesem Inhalt: Weil sich die Kantone weder auf eine gemeinsame Stundentafel noch auf die wesentlichen Eckpunkte der Lerninhalte einigen konnten, sei das Harmos-Konkordat gescheitert und zudem überteuert. Ein Ausstieg würde Baselland deutliche Vorteile bringen, da das Stimmvolk und das Parlament das Mitsprache- und Entscheidungsrecht behalten könnten und es nicht an die Erziehungsdirektorenkonferenz abtreten müssten. Inhaltlich könne man diejenigen Massnahmen von Harmos umsetzen, die pädagogisch wertvoll, sinnvoll und finanzierbar seien.
Harmonisierung ist gescheitert
Gestern Abend hatte auch der Lehrerinnen- und Lehrerverein Baselland (LBV) an seiner Sitzung die geplante ­Initiative thematisiert. Man warte mit einer offiziellen Stellungnahme noch ab, sagt Roger von Wartburg, Mitglied der Geschäftsleitung des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland. Doch er verweist auf die Haltung des LBV vor der Harmos-Abstimmung im Jahr 2010. Damals habe man die Nein-Parole ausgegeben und sehe heute einen grossen Teil der damaligen Argumente gegen den Beitritt zum Harmos-Konkordat bestätigt. Denn die inhaltliche Harmonisierung der Schulen sei in wesentlichen Punkten gescheitert – beispielsweise die zeitgleiche Einführung der Fremdsprachen oder gemeinsame Stundentafeln: Nicht einmal im Bildungsraum Nordwestschweiz konnte man sich auf dieselbe Sprachenstaffelung einigen.
In den beiden Basel und im Kanton Solothurn wird zuerst Französisch unterrichtet, im Aargau Englisch. So haben Kinder, die mit ihren Familien beispielsweise von Kaiseraugst nach Pratteln zügeln, einen Nachteil von zwei Jahren. «Dieses Problem dürfte es unter dem Label ‹Harmonisierung› definitiv nicht mehr geben», sagt von Wartburg. Auch im personalrechtlichen Bereich ortet er grosse Herausforderungen, da rund ein Viertel der Sekundarlehrerstellen in Baselland der Strukturanpassung auf 6/3 zum Opfer fallen wird.
Schon die frühere Präsidentin des Lehrerverbandes Baselland, Bea Fünfschilling, warnte vor der Abstimmung zum Harmos-Konkordat, dass ein Flickenteppich auch mit dem teuren Harmos-Modell drohe. So haben von den 22 deutsch- und zweisprachigen Kantonen 14 beschlossen, Harmos beizutreten. Sieben haben den Beitritt abgelehnt und Obwalden hat das Verfahren sistiert. So folgerte Fünfschilling, dass die Harmonisierung nicht vom Schul­modell, sondern von den harmonisierten Stundentafeln und Lehrplänen abhängig ist. Doch die Stundentafel wird auch künftig von jedem Kanton individuell gestaltet. Und der Lehrplan 21, der infolge des Harmos-Konkordates im Laufe von vier Jahren im stillen Kämmerchen von Fachgruppen entwickelt worden war, ist mit seinen 557 Seiten und über 4000 Kompetenzschritten im Schulalltag kaum anwendbar.
«Ein Kontrollwahn»
Rund tausend Lehrkräfte aus der ganzen Schweiz fordern in einem Memorandum denn auch die umfassende Überarbeitung des Lehrplans. Auch die Wissenschaft aus Erziehung, Wirtschaft und Pädagogik meldet sich regelmässig zum Thema zu Wort. Kurt M. Füglister, ehemals Dozent an der Pädagogischen Hochschule Basel, sagte zur BaZ: «Die erhoffte Bildungsharmonisierung wird eher zu einer Katastrophe und so auch der Lehrplan 21.» Lehrplanforscherin Anna-Verena Fries sagte in der WOZ: «Es ist der Kontrollwahn, der hier durchdringt. Der Lehrplan 21 entmündigt die Lehrpersonen.» Und der Solothurner Bildungsdirektor Remo Ankli sagte kürzlich im «Grenchner Tagblatt»: «Die Kompetenzen im Bereich Sprache musste ich dreimal lesen, bevor ich sie verstanden habe.»
Roger von Wartburg sieht jedoch auch Unwägbarkeiten, falls der Kanton Baselland aus dem Harmos-Konkordat austreten würde. «Auch wenn das Stimmvolk Ja zu einem Austritt aus Harmos sagen würde, wäre damit nicht alles gelöst. Der Vertrag sieht vor, dass ein Kanton erst drei Jahre nach einem entsprechenden Beschluss austreten könnte.» Dies wäre – vorausgesetzt die Initiative kommt im Jahr 2015 zur Abstimmung – per Ende 2018. Dann jedoch wären die Harmos-Reformen schon vollzogen und müssten sogleich wieder umgekrempelt werden. Daher müsse der LVB zuerst einmal von seinen Mitgliedern wissen, wie sie darüber denken.
Beide Basel preschen vor
Von Wartburg selbst ist jedoch klar der Meinung, dass das Vorgehen der Erziehungsdirektorenkonferenz bei der Schaffung des Lehrplans 21 falsch war. «Jahrelang hat man sich abgeschottet, um diesen Lehrplan auszuarbeiten, der Entwurf kam erst im Sommer 2013 in die Vernehmlassung und wurde von allen Seiten heftig und gut begründet kritisiert», sagt er. Deshalb stehe eine umfassende Überarbeitung an, deren Resultat noch niemand abschätzen könne. «Obwohl hier also noch überhaupt keine Klarheit herrscht, soll der Lehrplan 21 in den beiden Basel schon im kommenden Jahr eingeführt werden», sagt von Wartburg. Die meisten anderen Harmos-Kantone würden eine Einführung allerfrühestens 2017 planen.
Im Kanton Baselland wird der Bildungsrat mit Bildungsdirektor Urs Wüth­rich an der Spitze über die Einführung entscheiden, im Kanton Basel-Stadt ist es der Erziehungsrat mit Regierungsrat Christoph Eymann als Präsident. Wüthrich hat sich kürzlich sehr kritisch zum Lehrplan 21 geäussert.
Lehrplan braucht Anpassungen
Für Beat Siegenthaler, Präsident der Freiwilligen Schulsynode Basel-Stadt, ist der Ausstieg aus Harmos keine Option: «Natürlich, momentan findet ein Wahnsinns-Umbau statt. Doch es läuft den Umständen entsprechend gut», sagt er. Immerhin bekomme man voraussichtlich in allen Kantonen mit sechs Primar- und drei Sekundarschuljahren eine gemeinsame Schulstruktur hin.
Doch das scheint das Einzige zu sein, das von Harmos übrig geblieben ist. Nicht einmal die zeitgleiche Einführung der Frühfremdsprachen hat man hinbekommen. «Das ist tatsächlich nicht gelungen. Da ist die Erziehungsdirektorenkonferenz gescheitert», räumt Siegenthaler ein. Auch mit dem Lehrplan 21, so wie er sich jetzt präsentiere, könne man noch nicht arbeiten: «Dieser braucht Anpassungen. Unsere Argumente haben wir auch in die Vernehmlassung einfliessen lassen», sagt der Verbandspräsident.

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