15. Februar 2014

Aargauer FDP stellt kritische Fragen zur IS

Die Aargauer FDP fordert in einem Postulat eine Überprüfung der Kosten/Nutzen-Entwicklung im Zusammenhang mit der Einführung der Integrativen Schulungsform (IS). Der Bericht soll die zahlenmässige Entwicklung in den Bereichen der Sonderschuleinweisungen, Repetitionen, Heilpädagogik-Lektionen und weiterer Unterstützungsmassnahmen aufzeigen. Ebenfalls sollen die Konsequenzen eines kantonsweiten Ausstiegs aus IS dargestellt werden.
Quelle: Grosser Rat, Kanton Aargau, 7.1.


Das Bildungsdepartement überlässt es bis heute den Schulgemeinden, sich für IS zu entscheiden oder nicht. Dabei ist IS aktuell fast flächendeckend eingeführt – ohne offiziellen Lead des BKS.
Ein ursprüngliches Hauptziel, nämlich die Einweisungen in die (kostenaufwändigen) Sonderschulen zu reduzieren, konnte jedoch bis heute nicht erreicht werden – im Gegenteil, die Einweisungen in die Sonderschulen steigen weiterhin in beträchtlichem Masse. Darüber hinaus gibt es gemäss Reaktionen aus dem Schulumfeld zahlreiche Verlierer:
   Lernende, die in der Regelklasse konstant überfordert sind und deshalb (trotz IS) ausgegrenzt werden. Ein wichtiges Ziel der IS wird damit nicht erreicht. Die Folge sind frustrierte Kinder, die früher oder später verhaltensauffällig werden. Damit werden Schulen vor grosse Herausforderungen gestellt, die oft wieder in der Separation enden.
   Begabte, motivierte Kinder, die sich in einem Lernumfeld befinden, welches darauf ausgerichtet werden muss, dass die Mehrheit der Unterstützungsbedürftigen den Schulalltag einigermassen meistern können. Nicht selten kommen damit die "Normalbegabten" zu kurz.
   Lehrkräfte, die aufgrund der grossen Heterogenität in den Klassen zunehmend überfordert werden (normalbegabte, hochbegabte, lernbehinderte, verhaltensauffällige Kinder unterschiedlichen Alters und mit vielfältigem Migrationshintergrund). Vor lauter administrativem und organisatorischem Zusatzaufwand können sie ihre Kernaufgabe – das Vermitteln von Schulstoff – oft nicht mehr zu ihrer Zufriedenheit ausüben. Die Folge sind Ausfälle mit entsprechendem Kostenaufwand. Darüber hinaus stuft die Lehrkraft, die sich den gestellten Herausforderungen nicht mehr gewachsen fühlt, ein Kind eher als "schwierig" und "untragbar" ein – was nicht selten zur kostentreibenden Einweisung in Sondermassnahmen oder Sonderschulung führt. Für die Betroffenen bleibt diese Art der Separation nicht ohne Folgen.
   Schulgemeinden, die sich für Integrative Schulung entscheiden, aber bei der Umsetzung sich selber überlassen sind, da das zuständige Departement weder einen Leitfaden noch eine klare Wegleitung zur Verfügung stellt. So muss jede Schule vor Ort unzählige Stunden und immense Energien in Arbeitsgruppen und Begleitgremien investieren für etwas, das eigentlich zentral erarbeitet und allen zur Verfügung gestellt werden könnte.
Die verschiedenen Förder- und Unterstützungsangebote sind heute so vielfältig geworden, dass der Aufwand, diese zu organisieren und aufeinander abzustimmen, von den Lehrern, Schulleitungen, Schulbehörden und Sonderpädagogen mitunter mehr als Belastung denn als Hilfe empfunden werden. Entsprechend inflationär entwickelt haben sich die zeitlichen und bürokratischen Aufwände bezüglich Abklärungen, Koordination und Bewilligungsverfahren im Zusammenhang mit durch die IS-Schulung verursachten zusätzlichen Stützmassnahmen/Ressourcenzuteilungen, die unter der BKS-Aufsicht durchgeführt werden.
Die Integrative Schulung steht heute Schweiz weit auf dem Prüfstand. Christoph Eymann, Basler Er-ziehungsdirektor und designierter Präsident der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), hat im Oktober 2013 gegenüber der "NZZ am Sonntag" Anpassungen angekündigt. Sie sollen im Frühjahr 2014 nach Erscheinen der Studie zur integrativen Schule rasch vorgenommen werden. Im Kanton Zürich wurde das sonderpädagogische Konzept 2010 nach harter Kritik zurückgezogen. Im Kanton Solothurn kam es im Dezember 2010 ebenfalls zu einem abrupten Bremsmanöver, als der Kantonsrat mit grosser Mehrheit eine Verordnung zur flächendeckenden Einführung der integra­tiven Schule ablehnte.
Auch eine Studie des Zürcher Volksschulamtes ergab kürzlich, dass die Lernfortschritte bei integrie­renden Schulformen nicht besser sind als in anderen Klassen (NZZ 31.1.11). Auf die engen Grenzen der integrativen Schulung verwies in den letzten Jahren auch der Psychologe Allan Guggenbühl: Wenn man für jedes Kind individuelle Lernziele formuliere, gehe der Gruppenaspekt verloren, und es bestehe die Gefahr einer Stigmatisierung. Indizien dafür, dass solche Effekte infolge der Integrationsbemühungen möglicherweise tatsächlich stattfinden, ergeben sich aus Zahlen der Berner Gesundheitsdirektion. Dort nimmt die Zahl der Kinder mit Sonderschul-Status in der Regelklasse massiv zu. Statt Sonderschüler in die Regelklasse zu integrieren, werden so aus Kindern in der Regelschule Sonderschüler.
Insgesamt scheint mittlerweile auch das Aargauer Modell vorwiegend Mehrkosten zu verursachen ohne die angestrebten Ziele und den erwarteten Nutzen zu erreichen.

Ein Vergleich mit andern Kantonen drängt sich darum neben der eigenständigen Nutzen/Kosten-Analyse auf. Der Kanton Bern zum Beispiel lässt ebenfalls integrative und separative Schulung zu, definiert dabei aber klar die Rahmenbedingungen und macht strikte Leistungsüberprüfungen. Dafür haben die Gemeinden eine höhere Eigenverantwortung im Bereich des Einsatzes der Massnahmen und Zusatzlektionen.

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