16. Februar 2014

Mit Harmos argumentieren

Mit Harmos kann fast alles begründet werden. Das durchlebt man derzeit im Baselbiet, wo Harmos als Rechtfertigung für grosse, neue Schulzentren hinhalten muss. Doch gute Schulen hängen nicht von Schulhäusern und Organisationskonzepten ab. 




Neue Schulhäuser wegen neuen Schulformen? Bild: baz

Reformen um der Reformen willen, Basler Zeitung, 16.2. von Thomas Dähler


Besorgte Eltern, die protestieren, und Gemeinderäte, die beschwichtigen: Die anstehende Schulreform treibt in einigen Baselbieter Gemeinden seltsame Blüten. Mit dem Schulkonkordat Harmos kann man alles begründen. Diesen Eindruck konnte gewinnen, wer am Mittwochabend in der Dorfturnhalle in Füllinsdorf oder am Donnerstagabend im Gemeindesaal in Reinach war. In beiden Gemeinden haben sich Eltern zusammengeschlossen, um für den Erhalt der Quartierschulen in ihrer Gemeinde zu kämpfen. An beiden Orten haben Eltern das Gefühl, dass über ihre Köpfe hinweg die Kinder aus dem Quartier verbannt werden. Die Begründung ist dieselbe: «Wegen Harmos geht es nicht anders.»
Das Harmos-Konkordat schreibt verbindlich vor, dass die 6. Klassen jetzt Primarschulklassen sind und in der ­Primarschule zwei Fremdsprachen unterrichtet werden müssen. Wirklich revolutionär ist das nicht. Harmos verpflichtet die Gemeinden nicht, alle Schulhäuser auf einmal zu renovieren und die Schulorganisation völlig umzukrempeln. Und schon gar nicht, die Quartierschulen abzuschaffen. Im Gegenteil. Nach wie vor steht im Bildungsgesetz unter Paragraf 17: «In Einwohnergemeinden mit mehreren Kindergärten oder Primarschulhäusern gilt in der Regel das Quartier als Einzugsgebiet.»
Zurück in die Dorfturnhalle in Füllinsdorf. Erstaunlicherweise war dort zu vernehmen, dass Behörden und Schulleitung 2011 in aller Heimlichkeit damit begannen, anstelle ihrer beiden Quartierschulen ein Schulzentrum für die Grossen und eines für die Kleinen zu planen. Erst zwei Jahre später erhielten Eltern Wind davon, schlossen sich zusammen und organisierten Unterschriften für den Erhalt der Quartierschulen. Ihnen wurde anfänglich sogar beschieden: «Es gibt nichts zu diskutieren, wir haben schon entschieden.» Das war aber etwas vorschnell: Die übergangenen Eltern haben das Recht auf ihrer Seite. Über das Einzugsgebiet ihrer Schulen entscheidet die Gemeindeversammlung und nicht die Schulleitung oder der Schulrat. Die Eltern werden deshalb die Quartierschulhäuser an der Gemeindeversammlung verteidigen können.
In Reinach lief es anfänglich ähnlich. Zwar hatte dort der Gemeinderat zehn Varianten einer neuen Schulorganisation ausgearbeitet, aber nur eine davon als finanziell interessant bezeichnet. Und diese sieht vor, dass das Primarschulhaus im Quartier Surbaum abgerissen und das Land verkauft wird, zugunsten eines Grossschulhauses im Zentrum – «Tram, Trottinett oder Velo sind zumutbar», sagte Gemeinderätin Béatrix von Sury am Donnerstag vor den vielen Eltern, die sich im Gemeindesaal versammelt hatten. Zwar haben die Behörden in Reinach ihr Projekt an Informationsveranstaltungen und Workshops vorgestellt: Doch die besorgten Eltern aus dem Surbaum-Quartier hatten dort nicht den Eindruck, dass ihre Einwände ernst genommen wurden. Ernst genommen werden sie erst, seit klar ist, dass die Baukredite im Einwohnerrat oder an der Urne bachab geschickt werden könnten. Ein Quartierschulhaus sei wie eine grosse Familie, meinten am Donnerstagabend besorgte Eltern. Auch wenn das Surbaum-Schulhaus etwas veraltet ist: Den Kindern werde es im modernen Grossschulhaus «trotz den grosszügigeren Räumlichkeiten» nicht besser gehen, wurde gesagt.
Sowohl in Füllinsdorf als auch in Rei­nach geht es den Eltern um kurze Schulwege, um das Quartierschulhaus, das Identität stiftet, und um das wertvolle Nebeneinander von jüngeren und älteren Schülern in Schule und Freizeit: Die Kinder kennen einander, die Lehrkräfte kennen die Kinder. Da können Pädagogen noch so lamentieren, die Organisation sei schwierig, die stufengerechten, modernen Unterrichtsformen würden erschwert, Besprechungszimmer für Elterngespräche fehlten oder Lehrer müssten in mehreren Schulhäusern unterrichten.
Reformen um der Reformen willen: Das wollen die Eltern nicht. Auch eine Kindergärtnerin hat es am Donnerstagabend in Reinach auf den Punkt gebracht: «Moderne, pädagogische Konzepte haben wir längst umgesetzt, ohne neue Schulhäuser und ohne Neuorganisation.» Unverständlich ist, dass sich Behörden wesentlich stärker für möglichst perfekte Reformen und modernste Schulräumlichkeiten einsetzen als die wirklich Betroffenen: die Kinder und die Eltern. Es gibt – Lehrplan 21 hin oder her – keinen Grund, die Primarschule im Baselbiet neu zu erfinden. Sie hat ein gutes Renommee. Gute Schulen hängen nicht von Schulhäusern und Organisationskonzepten ab. Entscheidend sind gute Lehrkräfte und ein gutes Klima im Dorf- oder Quartierschulhaus. Daran ändert auch Harmos nichts.


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