2. März 2014

"Mille Feuilles" unter Druck

Das Französischlehrmittel "Mille Feuilles" gerät immer stärker unter Druck von Eltern und Lehrern. Die Schulleitungen sehen sich mit einem grösseren Informationsbedarf der Eltern konfrontiert. Doch am Lehrmittel selbst wird nicht gerüttelt.




Spass und Spiel im Fremdsprachenunterricht, Bild: Der Bund

Schüler sollen in Französisch baden, Basler Zeitung, 27.2. von Franziska Laur


Sandra darf in der Französischstunde singen, Geschichten lauschen und viel am Computer sitzen. Doch ein Coca-Cola in den Ferien kann sie auch nach einem Jahr Unterricht nicht bestellen. Ähnlich bei Simon. Er scheitert kläglich, wenn er in Südfrankreich nach dem Weg fragen muss.
Nun gehen Basler Eltern auf die Barrikaden. An verschiedenen Primarschulen, so etwa im Sevogel-Schulhaus sowie in Bettingen und Riehen, stand das neue Lehrmaterial in der Kritik. «Ich halte ‹Mille Feuilles› für ein problematisches Lehrmittel. Es ist zeitintensiv und komplex und die Kinder wissen nicht, wie sie üben sollen», sagt Andrea Pfleiderer, Mutter von drei Kindern und Gerichtsschreiberin am Appellationsgericht Basel. Sie befürchtet, dass die mit «Mille feuilles» unterrichteten Kinder beim Übertritt an eine Mittelschule leistungsmässig hinterherhinken werden.
Über die Sprache nachdenken
Bildungsbürokraten preisen «Mille feuilles» jedoch als Unterrichtsmaterial, das modernste pädagogische und didaktische Ansprüche erfülle. Es ermögliche einen spielerischen Einstieg in die Fremdsprache und fördere die Kompetenz. «Es sind Französisch-Texte mit einem neuen Verständnis der Sprachengewichtung», sagt Matthias Henke, Schulleiter des Sevogel-Schulhauses. Die Schüler müssten nicht mehr auswendig gelernte Wörter zusammensetzen, sondern würden ermuntert, über die Sprache nachzudenken. «So lernt man, wie man an einen Text herangehen muss, auch wenn man nicht alles versteht», sagt der Schulleiter. Angestrebt werde ein tieferes Verständnis für die Sprache.
Doch Henke räumt ein, dass die Sprachfortschritte der Kinder in den Anfangszeiten nicht so schnell ersichtlich sind wie mit der herkömmlichen Fremdsprachendidaktik. Dafür sei das Ergebnis nach ein paar Jahren umso effektiver. Dass diese neue Fremdsprachendidaktik aber bereits erste Früchte trägt, zeige sich im Französischunterricht auf der Primarstufe. «Auch dort arbeitet man neu auf diese Weise und dort wird das Schulmaterial nicht infrage gestellt», sagt er.
Dies könnte allerdings auch damit zusammenhängen, dass Kinder schon von frühster Jugend an Tag für Tag mit Englisch berieselt werden und diese Sprache freudig und leicht lernen. Ganz so süffig läuft dies beim Französischen nicht, dort flossen bis anhin meist Schweiss und Tränen, bis die Sprache einigermassen sass. Die Verunsicherung der Eltern nimmt Schulleiter Henke denn auch ernst: Man organisiere nächstens einen weiteren Informationsabend, an dem eine Unterrichtsstunde exemplarisch durchgeführt wird.
Auch die Primarschule Riehen/Bettingen ergreift Massnahmen, um der Verunsicherung der Eltern konstruktiv zu begegnen. Wie die Leiterin der Gemeindeschulen, Regina Christen, sagt, habe man einen Massnahmenkatalog erstellt: So würde man den Umgang mit Hausaufgaben, Wortschatzarbeit und Beurteilung erfassen, Empfehlungen formulieren und diese in einer Fachgruppe aller Fremdsprachenlehrpersonen bearbeiten. Die Eltern würden künftig auch regelmässiger und umfassender informiert. Am Lehrmittel «Mille feuilles» selbst werde man jedoch nichts ändern. «Milles feuilles sei vom Projekt «Passepartout» in Auftrag gegeben worden und werde von allen sechs beteiligten Kantonen (Bern, Baselland, Basel-Stadt, Solothurn, Wallis und Freiburg) im Unterricht eingesetzt. Das Lehrmittel sei vom Erziehungsrat genehmigt und setze den Lehrplan von «Passepartout» um. Dieser orientiere sich am Kompetenzraster des euro­päischen Sprachenportfolios, auf den auch die Sprachzertifikate ausgerichtet seien.
Keine Wörter mehr lernen
«Ich habe noch nicht mit ‹Mille feuilles› gearbeitet, aber mich intensiv mit dessen Sprachdidaktik auseinandergesetzt», sagt Alain Pichard, Französischlehrer in Orpund bei Biel. «Und ich habe grösste Bedenken», sagt er. So sollten sich die Schüler die Grammatik selber beibringen und es dürften keine Wörtchen mehr gelernt werden. «Es soll nur noch in der französischen Sprache gebadet werden», sagt Pichard. Für ihn stellt sich auch die Frage, wie man die Übertrittskriterien festlegen und überprüfen will, wenn am Ende der sechsten Klasse keine schriftlichen Kenntnisse vorhanden sind.
Pichard spricht auch die Kosten an. So könne man das Unterrichtsmaterial nur en bloc kaufen und die Schulen müssten computertechnisch aufrüsten, da sehr viel mit CD-Rom gearbeitet wird. Ausserdem würde allein die Weiterbildung die Lehrer 72 Stunden vom Klassenzimmer fernhalten. «Das sind genau gleich viele Stunden wie bei den Unterstufenlehrkräften, die noch gar nie Französisch unterrichtet haben.» Und die Rückmeldungen aus den Kursen seien teilweise verheerend.
Lehrer wie auch Eltern sind zunehmend verunsichert über die ständig neuen Schulprojekte. So stellt auch Walter Herzog, Professor für Pädagogische Psychologie an der Universität Bern, fest: «Die Idee eines öffentlichen Schulwesens, das von den Bürgerinnen und Bürgern gewollt ist und demokratisch kontrolliert wird, scheint uns genauso abhandenzukommen wie das Bild eines Lehrerberufs, der nur professionell ausgeübt werden kann, wenn er nicht nach politischem Belieben an die Kandare genommen wird.»

An die Leine genommen werden die Lehrpersonen bei der Arbeit mit «Mille feuilles» tatsächlich. Minutiös wird ihnen vorgeschrieben, was sie tun und was sie lassen sollen. Keinesfalls erwünscht sind Wörter- oder Grammatiktests, Diktate oder eine Beurteilung mit Bezug auf das Klassenniveau.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen