17. März 2014

Unsicheres Frühfranzösisch im Aargau

Im Aargau soll Frühfranzösisch zusammen mit dem Lehrplan 21 eingeführt werden. Angesichts der Verzögerungen, die zu erwarten sind, ist dies frühestens 2017. Doch angesichts des Sparprogramms könnte die Einführung noch weiter verzögert werden. "Bevor man daran geht, das bestehende Angebot der Volksschule zu kürzen, soll man zuerst auf zusätzliche teure Reformen verzichten", findet ALV-Präsident Stöckli.





Niklaus Stöckli vom ALV will in erster Priorität das bestehende Angebot an der Volksschule erhalten, Bild: alv

Müssen die Primarschüler ab 2017 Französisch büffeln oder erst viel später? Aargauer Zeitung, 16.3. von Hans Fahrländer


Darf Kulturminister Alain Berset verlangen, dass alle Schweizer Kinder bereits in der Primarschule Französisch lernen? Die Frage wird zurzeit landesweit hektisch diskutiert. Berset hatte die Forderung in der Fragestunde des Nationalrates gestellt. Es ging um die Bestrebungen in mehreren Deutschschweizer Kantonen, nur noch eine Primarschul-Fremdsprache für obligatorisch zu erklären. Und weil in vielen Kantonen zuerst Englisch unterrichtet wird, könnte es zum Ärger des welschen Bundesrates und für die Sprachfrage zuständigen Innenministers dem Französisch demnächst an den Kragen gehen.
Der Aargau hat sich bisher gar nicht im Sinne Alain Bersets verhalten. Er hat im Gefolge von Zürich, aber in Opposition zu den Nordwestschweizer Partnern Basel-Stadt, Baselland und Solothurn auf «English first» gesetzt. Und er hat die ursprünglich auf 2015 geplante Einführung von Primarschulfranzösisch hinausgeschoben; Franz in der 5. Klasse soll nun gemeinsam mit dem Lehrplan 21, das heisst frühstens auf das Schuljahr 2017/18 eingeführt werden. 
Ab August 2014 kommt der Aargau zwar quasi «geschenkt» ebenfalls zu Primarschul-Franz: Der Französisch-Unterricht beginnt ja zurzeit im 6. Schuljahr, das heisst im ersten Oberstufenjahr. Nun rutscht dieses 6. Jahr mit dem neuen Strukturmodell von der Oberstufe auf die Primarstufe. Doch trotz dieser Verschiebung wird vorderhand kaum «richtiges» Frühfranzösisch unterrichtet. Was für Französisch genau – darauf warten Lehrpersonen fünf Monate vor dem Start immer noch. Die in Aussicht gestellten Sonderlehrpläne sind noch in Arbeit.
Nun erscheint für das Primarschulfranzösisch ein zusätzlicher Störfaktor am Horizont, und zwar in Form der regierungsrätlichen Leistungsanalyse, besser bekannt unter dem Namen Sparpaket. Es ist allerdings nicht die Regierung, welche die Verschiebung oder Sistierung vorschlägt. Der Vorschlag taucht in verschiedenen Vernehmlassungen auf – nach dem Motto: Lieber auf anstehende Reformen verzichten als das heutige Angebot kürzen. Die sich so äussern, stammen nicht alle aus dem gleichen Lager.
«Ich verstehe Bundesrat Berset», sagt spontan Sabine Freiermuth, FDP-Grossrätin aus Zofingen, Mitglied der Bildungskommission. In der Vernehmlassung der FDP zur Leistungsanalyse steht beim Frühfranzösisch geschrieben: «Der Verzicht auf diese Reform ist zu prüfen oder sie ist zumindest zeitlich zu verschieben.»
Steht Sabine Freiermuth nicht hinter diesem Vorschlag der Partei? «Doch», betont sie. Erstens stelle sie sich hinter den Grundsatz, bei Geldmangel nicht zusätzliche Reformen anzupacken. Und zweitens habe sie Signale von der Schulfront, dass zwei Primarschulfremdsprachen viele Kinder überfordern könnten. «Persönlich hätte ich es aber lieber gesehen, wenn im Aargau zuerst Französisch eingeführt worden wäre. Der Aargau hat sich von Zürich ins Schlepptau nehmen lassen und sehr schnell Frühenglisch eingeführt. Französisch ist eine wichtige Sprache und es ist eine Landessprache.» Für zentral hält es Sabine Freiermuth aber, «dass mit dem Lehrplan 21 endlich auch das Fremdsprachengewirr gelöst und eine verbindliche Reihenfolge festgelegt wird».
Ein noch radikaleres Vorgehen punkto Primarschulfremdsprachen schlägt die SVP vor. In ihrer Vernehmlassungsantwort zur Leistungsanalyse heisst es schlicht: «Streichung Frühfranzösisch und Frühenglisch». Übrigens auch: «Verzicht auf Umsetzung Lehrplan 21». «Nein, die Debatte um das Vorpreschen von Bundesrat Berset ändert nichts an unserer Haltung», betont Richard Plüss, SVP-Grossrat aus Lupfig und Mitglied der Bildungskommission. Natürlich sei Englisch eine wichtige Sprache, gerade für die Wirtschaft, «aber früher, mit dem späteren Beginn, hat man auch gut Englisch gelernt.»
Nachdem nun die Primarstufe bis zum 6. Schuljahr dauert – würde Plüss den Start für Französisch noch weiter nach hinten, also auf das erste Oberstufenjahr verschieben? Das denn doch nicht: «Drei Jahre sind zu kurz, man muss den Start in der 6. Klasse belassen.»
Der Aargauische Lehrerinnen- und Lehrerverband (alv) hat das Heu selten auf derselben Bühne wie FDP und SVP. Hier aber schon: «Bevor man daran geht, das bestehende Angebot der Volksschule zu kürzen, soll man zuerst auf zusätzliche teure Reformen verzichten», sagt alv-Präsident Niklaus Stöckli. Das sei keine Aussage gegen das Frühfranzösisch: «Es gibt keine pädagogischen Argumente gegen seine Einführung. Aber wir möchten in erster Priorität das bestehende Angebot an der Volksschule erhalten.» Auch Stöckli wünscht sich im Übrigen, «dass der Lehrplan 21 endlich eine verbindliche Reihenfolge der Fremdsprachen durchsetzt».

Ob diese Verschiebebereitschaft aus verschiedenen Lagern genügt, um das Frühfranzösisch im Rahmen der Spardebatte auf eine noch längere Bank zu schieben, werden die kommenden Wochen zeigen. Alain Berset jedenfalls hätte keine Freude daran.

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