25. März 2014

Zielkonflikt Föderalismus vs. Harmonisierung

Der Westschweizer Korrespondent der NZZ, Christophe Büchi versteht sich als Vermittler zwischen dem deutsch- und dem französischsprachigen Kulturraum. Natürlich macht auch er sich Gedanken zu Bundesrat Berset und dessen Drohungen in der Frage der Primarfremdsprachen.


"Französisch erst ab Oberstufe ist zwar bedauerlich, aber man muss es akzeptieren"

Schulföderalismus, ade? NZZ, 25.3. von Christophe Büchi


Dank Bundesrat Berset wissen wir es: Die Landesregierung will es nicht zulassen, dass die Landessprachen vom Englischen aus den (Deutschschweizer) Primarschulen verdrängt werden. Notfalls möchte der Bundesrat den Landessprachen zu Hilfe eilen.
Konkret: Sollten die Kantone den Unterricht einer zweiten Landessprachen auf Primarschulstufe nicht sicherstellen, könnte Bundes-Bern das Erlernen einer zweiten Landessprache in der Primarschule über die “Köpfe” der Kantone hinweg als obligatorisch erklären – kraft der subsidiären Kompetenz in Bildungsfragen, die dem Bund von der Bundesverfassung zugesprochen wird.
Bersets Statement in der Fragestunde des Nationalrats zielte natürlich vor allem auf jene Deutschschweizer Kantone, in denen Vorstösse gegen den Unterricht zweier Fremdsprachen in der Primarschule hängig sind. Denn diese Vorstösse stellen zwar nicht explizit, aber de facto den Französischunterricht und nicht das Englische in Frage.
Nun – als quasi amtlicher Verteidiger der Sprachminderheiten und der Romandie müsste ich eigentlich über Bersets Winken mit dem Zaunpfad glücklich sein. Aber ich bin es nicht.
Ich verstehe zwar, dass sich die Landesregierung um die Landessprachen Sorgen macht. Und ich verstehe auch die Irritation der Romands, die tapfer ab der Primarschule Deutsch lehren und lernen, gleichzeitig aber zusehen müssen, wie die französische Sprache in gewissen Deutschschweizer Kantonen als quantité négligeable behandelt wird. Sie haben zu Recht das Gefühl, dass hier eine schleichende Erosion stattfindet.
Und dennoch wäre eine Intervention des Bundes keine gute Sache. Aus folgenden Gründen.
Zuerst: Wenn es eine Domäne gibt, in denen der Föderalismus à la suisse weiter seine Berechtigung hat, dann ist es der Schulbereich. Ich bin kein bedingungsloser Anhänger des real existierenden Föderalismus helvetischer Prägung. Wenn zwei Dutzend Kantonsparlamente Monate lang an kantonalen Gesetzen über Kampfhunde herumlaborieren und schliesslich in allen Kantonen andere Vorschriften über Leinenzwang und Maulkorb-Obligatorium gelten, so scheint mir dies ein gewaltiger Verschleiss an Zeit und Geld. Denn Kampfhunde beissen ja nicht anders, wenn sie die Kantonsgrenze überschreiten.
Im Schulwesen dagegen fallen regionale und lokale Besonderheiten schwer ins Gewicht, und sie sollten auch respektiert werden, gerade auch im Bereich des Sprachenunterrichts. Es ist doch sonnenklar, dass die Frage, wie und wann welche Sprachen gelehrt und unterrichtet werden sollten, etwa in der Ostschweiz und in Basel nicht gleich beurteilt wird.
Statt alle Kantone über den gleichen Leisten zu schlagen, sollte deshalb jeder die für seine Situation beste Lösung suchen dürfen.
Föderalismus vs. Harmonisierung: ein Zielkonflikt
Das grosse Problem ist allerdings, dass das Prinzip Föderalismus sich mit einem anderen Grundsatz der Schweizer Schulpolitik, mit dem Prinzip Vereinheitlichung (in der Regel harmlos als “Harmonisierung” bezeichnet), nicht gut verträgt, oder deutsch und deutlich gesagt: ihm letzten Endes diametral entgegenläuft. Auch wenn dies gern verwedelt wird: Es besteht hier ein Zielkonflikt, obwohl Kompromisse und Arrangements möglich sind. Der Bildungsartikel der Bundesverfassung ist ein Kompromiss, da er den Kantonen zwar grundsätzlich die Hoheit über die Schulpolitik zuspricht, aber für den Fall, dass sie diese nicht “richtig” einsetzen, dem Bund ein Interventionsrecht einräumt.
Nun ist die Bereitschaft, föderalistische Vielfalt zu akzeptieren oder gar gut zu finden, in den letzten Jahren offensichtlich stark gesunken. Man will immer mehr einheitliche Lösungen. Und deshalb wurde in der deutschen Schweiz die Grossbaustelle Harmos eröffnet.
Und darum haben wird jetzt ein massives Problem in der Sprachenpolitik. Denn wenn man harmonisieren und vereinheitlichen will, dann kommt man um die Sprachenfrage nicht herum. Denn es ist klar, wie mein Kollege Michael Schoenenberger in der NZZ schon mehrmals überzeugend nachgewiesen hat, dass es wenig Sinn macht, die kantonalen Schulsysteme zu vereinheitlichen, ausgerechnet bei den Sprachen aber eine Ausnahme zu machen. Wer A sagt, muss man auch B sagen.
Harmonisierung, warum eigentlich?
Nun könnte man sich aber auch die Frage stellen, ob eine Vereinheitlichung der kantonalen Schulsysteme wirklich das Alpha und das Omega eidgenössischer Schulpolitik sein muss.
Eines der Hauptargumente für die Hamonisierung, nämlich die Erleichterung der Mobilität zwischen den Kantonen, ist zumindest diskussionswürdig. Denn erstens stellt man fest, dass die Schweizer ohnehin nicht gern den Wohnort wechseln und lieber pendeln, was ja dank dem guten öffentlichen Verkehr in den meisten Fällen kein Problem darstellt.
Und zweitens ist es auch nicht sicher, dass Kinder überfordert werden, wenn sie sich an ein anderes Schulsystem anpassen müssen. Wechsel des Wohnorts haben immer Wechsel in der Lebensführung zur Folge. Wer sich nicht ändern will, muss halt zu Hause bleiben.
Riskante Abservierung des Schulföderalismus
Überhaupt habe ich bisher kein definitiv überzeugendes Argument gehört, weshalb man die kantonalen Schulsysteme unbedingt vereinheitlichen sollte. Deshalb schiene es mir klüger, die zur Heiligen Kuh erklärte Harmonisierung zu schlachten, als den Schulföderalismus auszuhebeln. Denn Letzteres wäre der sicherste Weg, um aus der lösbaren Frage des Sprachenunterrichts einen ernsthaften Sprachenkonflikt zu machen und die Landesteile gegeneinander aufzubringen.
Um es noch konkreter zu sagen. Wenn die Bevölkerung, die Lehrerschaft und die Behörden gewisser Innerschweizer Kantone wirklich der Meinung sein sollten, ihren Schülern und Schülerinnen sei Französisch in der Primarschule nicht zuzumuten, so finde ich dies zwar äusserst bedauerlich und auch etwas kleinkariert. Aber man muss es akzeptieren. Es macht ja wenig Sinn, die kulturelle Vielfalt der Schweiz in Festreden zu loben und immer dann, wenn sie sich konkret manifestiert, nach einer einheitlichen Lösung zu rufen.
Zudem wäre eine Intervention des Bundes auch in pädagogischer Hinsicht wenig zweckdienlich. Denn würde der Bund gewissen Kantonen im Namen einer raison d’Etat helvétique das Französische ab Primarstufe aufzwingen, so wäre dies die denkbar schlechteste Ausgangslage für den Französischunterricht. Ich wollte jedenfalls nicht unter solchen Umständen Französisch unterrichten müssen.
Es gibt eigentlich nur zwei erfolgreiche Sprachenlehrer. Der eine ist die Notwendigkeit. Wer eine Sprache lernen muss, um zu überleben, lernt sie. Deshalb können beispielsweise alle Rätoromanen perfekt Deutsch.
Der andere Sprachlehrer ist die Lust. Wenn man eine Sprache lernen will, beispielsweise, weil man sich verliebt hat, dann lernt man sie auch.
Schwierig wird das Sprachenlernen, wenn man weder muss noch will. Dies ist offenbar bei einem Teil der Deutschschweizer mit dem Französischen der Fall.
Schüleraustausch muss gefördert werden
Sprachenunterricht ist nur dann erfolgreich, wenn er bei den Schülern und Lehrern mit etwas Libido verbunden ist. Nun könnte man diese Lust ja auch etwas wecken. Deshalb lese ich mit Freuden in der “Zentralschweiz am Sonntag”, dass die SP Schweiz den Schüleraustausch zwischen den Landesteilen fördern will. Lieber etwas weniger Unterricht und etwas mehr Austausch.
Völlig verblüfft bin ich aber, wenn ich in der gleichen Zeitung lese, dass ausgerechnet SVP-Nationalrat Peter Keller aus Nidwalden, der gegen das Französisch in den Primarschule vom Leder zieht, auch diese Idee ablehnt. “Das bringt nur viel Aufwand und wenig Ertrag”, wird Keller zitiert.
Mir scheint dies etwas gar kurz zu sein. Ist das wirklich der ganze Grund der Ablehnung? Oder will man bei der SVP nicht zugeben, dass auch die SP eine gute Idee haben kann?
Oder findet man, die Innerschweizer Schüler sollten besser keinen Kontakt mit einem Landesteil haben, der die SVP-Masseneinwanderungsinitiative abgelehnt hat?
Oder ist es einfach so, dass die SVP gar nicht mehr anders kann, als “nein nein und nochmals nein” zu sagen?
Nun, es ist möglich, dass SVP-Nationalrat Keller mehr zum Thema zu sagen hat als das kurze, von der “Zentralschweiz am Sonntag” zitierte Statement. Ich bin zu lange Journalist um zu glauben, man könne die Haltung eines Politikers 1:1 aus einem Zeitungsartikel ablesen.
Ich bin deshalb gespannt, was in den nächsten Wochen aus der SVP zum Thema Schüleraustausch zu vernehmen sein wird. Ich kann akzeptieren, dass man findet, der Sprachenunterricht müsse nicht allein den nationalen Zusammenhalt des Landes sicherstellen. Aber weshalb man dann gegen die Förderung des Schüleraustauschs sein kann, ist mir schleierhaft.



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