23. April 2014

Der Kindergarten als gratis Betreuungsanstalt für Kinder

In Zürich und Basel wollen Eltern ihren Nachwuchs zunehmend vorzeitig in den Kindergarten schicken. Damit möchten sie in erster Linie Geld sparen. Kompetenzorientierung spielt keine Rolle, Hauptsache, jemand passt auf die Kinder auf.  





In der Krippe kostet das Spielen, im Kindergarten ist es gratis, Bild: 20 Minuten

Kindergarten statt Krippe - um Geld zu sparen, 20 Minuten, 23.4. von Camilla Alabor


Kindergarten? Lieber früher als später! So denken offenbar einige Eltern in der Schweiz – und versuchen, ihr Kind in den Kindergarten zu bringen, selbst wenn es noch keine vier Jahre alt ist. In Zürich sind es besonders Eltern aus dem Speckgürtel rund um die Stadt, die sich um einen früheren Kindergarten-Eintritt bemühen, wie der «Landbote» schreibt.
Formularende
Aber auch in Basel-Stadt möchten die Eltern teilweise bereits ihre dreijährigen Töchter und Söhne in den Chindsgi schicken. Das bestätigt Hansgeorg Signer vom Bildungsdepartement: «Die Anzahl entsprechender Gesuche hat in den letzten Jahren stetig zugenommen.» Das liege wohl daran, dass die Eltern ihre Kinder so früh wie möglich fördern wollten, vermutet er. «Sie glauben, den Kindern damit einen Bildungsvorsprung zu verschaffen.»
Alte Schweizer Kindergärtler
Dazu biete der Kindergarten eine Tagesstruktur, was es den Eltern leichter mache, ihrer Arbeit nachzugehen. Gerade Expat-Eltern seien sich ausserdem gewohnt, ihre Kinder viel früher in den Kindergarten zu schicken. Die Schweiz sei im internationalen Vergleich relativ spät dran. Martin Wendelspiess, Chef des Zürcher Volksschulamts, glaubt, dass bei einzelnen Eltern auch das Geld eine Rolle spielt: «Für sie ist es billiger, ihre Kinder in den Kindergarten zu schicken als in die Krippe.»
Allerdings kämpfen nicht alle Gemeinden gegen einen wachsenden Berg an Gesuchen. In Luzern, St. Gallen oder Schaffhausen bleiben die Zahlen stabil. Christian Amsler, Schaffhauser Regierungsrat und Präsident der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz glaubt deshalb, dass es sich dabei vor allem um ein städtisches Phänomen handle: Dort zeigten sich Trends meist zuerst.
«Kind wird nicht schlauer»
«Es ist ein Spiegel unserer Gesellschaft: Viele Eltern haben das Gefühl, das eigene Kind sei etwas Spezielles und für Höheres geschaffen», sagt Amsler. Dies zeige sich umso mehr in Zeiten sinkender Geburtenraten und Einkind-Familien. Die Eltern würden ihrem Nachwuchs mit dem frühen Kindergarten-Eintritt aber keinen Gefallen tun, sondern ihn lediglich überfordern. «Ein Kind wird nicht schlauer, weil es ein Jahr früher im Kindergarten ist.»
Tatsächlich bedeutet die steigende Anzahl von Gesuchen nicht unbedingt, dass entsprechend viele Jungen und Mädchen vorzeitig den Kindergarten besuchen. So lehnt Basel-Stadt alle Gesuche ab, weil es im Kanton dafür keine gesetzliche Grundlage gibt. Anders im Kanton Zürich. Dort entscheiden die Gemeinden selber, welche Kinder tatsächlich aufgenommen werden. Dennoch ist der Anteil Kinder, die beim Eintritt jünger als vier Jahre sind, im letzten Jahr leicht gesunken: von 3,16 auf 2,94 Prozent.
Gemeinden sind strikter
Mit ein Grund dafür dürfte die Reaktion der Gemeinden sein: Einige von ihnen haben auf die Flut an Gesuchen bereits reagiert. Statt alle Anträge durchzuwinken, verlangen sie eine schulpsychologische Abklärung. Damit sinkt die Rate der angenommenen Gesuche.

Ab 2016 ist aber sowieso Schluss mit den kantonalen Unterschieden. Mit dem Konkordat zur Harmonisierung der Schweizer Schulen (Harmos) gilt überall in der Schweiz, dass die Kindergärtler am Stichtag, dem 31. Juli, vier Jahre alt sein müssen. Zwar wird es auch dann möglich sein, Kinder ab dreieinhalb Jahren in den Kindergarten zu schicken – aber nur, falls ein Reifetest und eine schulpsychologische Abklärung ergeben, dass das Kind dafür auch wirklich bereit ist.

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