9. April 2014

Eymann will bei Integration schärfer hinsehen

Der Basler Erziehungschef und EDK-Präsident Christoph Eymann sieht Verbesserungspotenzial bei der Integration. In einer Studie soll abgeklärt werden, ob die Integration in dieser Form für die Lehrer leistbar ist. Doch eine Wiedereinführung der Kleinklassen kommt für ihn nicht in Frage. Zur zunehmenden Bürokratisierung des Lehrberufs mein Eymann: "Jede Lehrperson kann zu mir kommen und sich beschweren, wenn sie unnötige Bürokratie in ihrem Schulhaus ausmacht".




Eymann: "Basel hat die grösste Heterogenität in ganz Europa", Bild: Dominik Plüss

"Wir könnten die Aussonderung erhöhen", Basler Zeitung, 9.4. von Franziska Laur und Markus Somm


Herr Eymann, Sie sind neu Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK). Wo liegen die wichtigsten Konfliktlinien?
Im Moment ist es die Sprachenthematik. 2004, als Zürich mit Frühenglisch vorgeprescht ist, haben wir den Kompromiss erreicht, dass je eine Frühfremdsprache in der dritten und fünften Klasse eingeführt werden soll. Jetzt gibt es verschiedene Kantone, die verlangen, dass man das ändern und in der Primarschule nur eine Fremdsprache einführen soll. Wir müssen das ernst nehmen und das ist eine grosse Herausforderung, denn wenn man jetzt das Frühfranzösisch schleifen würde, wäre das ein Affront gegenüber den Westschweizer Kantonen.
Die Vereinheitlichung der ersten Frühsprache hat man nicht einmal in der Nordwestschweiz geschafft. Ist es eigentlich nötig, dass alle Kantone gleich entscheiden?
Das stimmt, der Kanton Aargau ist unter dem Einfluss von Zürich ausgeschert und hat entschieden, Frühenglisch einzuführen. Doch die Frage einer möglichst einheitlichen Einführung der Fremdsprachen hat auch mit dem Zusammenhalt des Landes zu tun. Vielen behagt der Gedanke nicht, dass beispielsweise der Appenzeller kein Französisch mehr kann und sich in Genf auf Englisch unterhalten muss.
Die EDK bedeutet letztendlich die Zentralisierung des Bildungswesens. Das müsste Sie als Liberaler doch stören.
Das finde ich gar nicht. Im Gegenteil, die EDK ist ein Instrument, um den Föderalismus zu erhalten und das Notwendigste miteinander zu koordinieren. Ich sehe die EDK als ziemlich föderalistische Institution an. Übrigens: Bei internationalen Treffen wird der EDK-Präsident geschickt, da wir im Bundesrat ja keinen Bildungsvertreter haben.
Die Lehrer haben aber die Nase voll von all den Reformen. Verstehen Sie das?
Ja, durchaus. Doch jetzt werde ich vielleicht etwas technokratisch. Wir hatten Anträge im Grossen Rat und die sind ohne grosse Einwände, ohne Referendum oder Opposition gutgeheissen worden. Das hat mich gefreut, denn bei vorgängigen Schul­reformen wurden diese lediglich hauchdünn angenommen und das hat man danach stets gespürt. Ich begreife sehr gut, dass die Lehrpersonen belastet sind. Doch ich bin überzeugt, dass wir mit dieser Schulreform etwas Gutes für die Kinder tun.
Was genau soll das sein?
Es ist sicher gut, wenn wir sechs Jahre Primarschule einführen. So können sie länger mit ihren Schulkameraden, zusammen sein und haben länger dieselbe Bezugsperson. Auch kann man nicht mehr ständig das «exotische Schulmodell» in Basel kritisieren, wie es in der Vergangenheit geschehen ist.
Man hätte ein besseres Schulmodell entwickeln können.
Das Modell ist gut, und es ist das gleiche wie im Baselbiet. Wir hatten politisch keinen grossen Spielraum, um Änderungen zu machen. Die Linke konnte nur mit Mühe akzeptieren, dass wir auf Sekundarstufe drei Leistungszüge einführen wollten. Sie wünschte zwei und ein Teil wollte gar keinen. Bei den Bürgerlichen gab es solche, die ein Langzeitgymnasium wollten, das kam politisch nicht durch. Mir war wichtig, dass der nächste Anlauf einer Reform glückt und wir nicht wieder basteln und werkeln müssen, um schliesslich eine zufällige Mehrheit hinzukriegen.
Kommen wir auf die Integration zu sprechen. Da gibt es Eltern, die vor Gericht gehen, damit ihr Kind in eine Sonderschule darf, und es gibt Kinder, die in der Regelklasse unglücklich sind, weil sie tagtäglich spüren, wie anders sie sind. Macht Ihnen das nicht zu schaffen?
Ihre Sicht ist falsch. Fast alle Eltern von Kindern mit besonderem Bildungsbedarf wünschen die Integration in die Regelschule. Wir integrieren in Basel aber nicht auf Teufel komm raus. Wir haben eine der höchsten Aussonderungsquoten in der Schweiz. Sechs Prozent kommen in eine Sonderschule, in der Stadt Zürich sind es 4,5 Prozent. Der Vorteil einer Integration ist jedoch, dass es später weniger Stigmatisierungen gibt. Ein wichtiges Ziel von uns ist die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und wenn jemand das Etikett Sonderschule hat, hat er es schwerer, eine Lehrstelle oder eine Arbeit zu bekommen. Übrigens gibt es auch Eltern, die vor Gericht ziehen, weil sie ihr Kind in einer Regelklasse haben wollen.
Verschiedene Gemeinden und auch der Kanton Zürich sind bei der Integration zurückgekrebst. Auch Sie selbst haben gesagt, dass man zurückbuchstabieren muss. Wie könnte das aussehen?
Ich habe nur gesagt, dass man schärfer hinschauen muss. Daher habe ich eine Studie in Auftrag gegeben, um abzuklären, ob die Integration in dieser Form für die Lehrerinnen und Lehrer leistbar ist. Die Resultate sollten demnächst vorliegen. Wir könnten die Aussonderung erhöhen, die Ressourcen verstärken oder die Kriseninterventionsstellen ausbauen. Wir befinden uns in Basel sowieso in einer Sondersituation, wir haben die grösste Heterogenität in ganz Europa. Der Anteil an Schülern mit Fremdsprachen ist bei uns am grössten.
Wäre für Sie auch eine Option, Kleinklassen wieder einzuführen?
Nein, wir haben dafür Spezialangebote eingeführt, die auch kleine Klassen beinhalten. Dort kann man differenzierter auf die unterschiedlichen Möglichkeiten der Kinder eingehen.
Lehrer fühlen sich zunehmend bevormundet, instrumentalisiert und verbürokratisiert. Nun bekommen sie mit dem Lehrplan 21 zusätzlich ein riesiges Regelwerk von 557 Seiten verordnet, mit dem sie unterrichten sollen.
Die heutigen Lehrpläne sind genauso umfangreich und Lehrpersonen waren auch bei der Erarbeitung des gemeinsamen Lehrplans beteiligt. Im Lehrplan 21 hat es tatsächlich viele Dinge drin, die auch Leute schlecht finden, die ihn insgesamt mögen. Doch er soll lediglich eine Richtlinie sein. Er ist keine Bibel und muss auch nicht sklavisch befolgt werden.
Weshalb wurde dann der ganze Aufwand überhaupt betrieben?
Es ist einerseits ein Auftrag des Volkes. Ausserdem muss man auch sehen, dass heute eine andere Form der Wissensvermittlung gefragt ist. Nehmen wir beispielsweise das Französisch. Dort ist keine komplizierte Grammatik mehr gefragt, sondern man legt vielmehr Gewicht darauf, dass sich die Kinder im Alltag verständigen können. Oder in Geschichte: Es hat keinen Wert, wenn Schüler die Daten der Punischen Kriege auswendig wissen. Sie sollen die Zusammenhänge verstehen.
Wenn wir so weit sind, dass wir nicht mehr die Fakten lernen, sondern den Umgang mit ihnen, ist der Ideologie Tür und Tor geöffnet.
Das Wissen ist auch im Lehrplan 21 die Grundlage. In der heutigen Zeit braucht es einen anderen Umgang mit den Schülern. Lehrmeister beispielsweise sagen über ihre Lehrlinge, dass sie in Deutsch und Mathematik zwar nicht fehlerfrei sind, sich andererseits jedoch vor eine Gruppe stellen und Referate halten können. Das ist eine Kompetenz.
Haben Sie keine Probleme, gute Lehrer zu finden?
Interessanterweise haben wir jetzt wieder einen stärkeren Zustrom an den Fachhochschulen. Das ist gut, denn wir laufen aufgrund von gehäuften Pensionierungen auf einen Lehrermangel zu. Aber die Nachfrage hängt immer damit zusammen ob andere Berufe im Hoch oder Tief stecken.
Der Lehrerberuf entfernt sich immer mehr von der Kernaufgabe, dem Unterrichten. Ein grosser Teil besteht aus Absprachen mit Heilpädagogen und Zweitlehrpersonen sowie dem Studium von Krankheitsgeschichten der Schüler. Ist das noch attraktiv?
Unterricht ist heute Teamwork, Absprachen sind darum oft nichts Unterrichtsfremdes. Es stimmt, Lehrer müssen sich heutzutage viel stärker absprechen und müssen der Logopädin beispielsweise sagen können, was mit dem Kind los ist. Es gibt jedoch auch viel mehr Eltern, die protegieren, und solche, die auf den Lernerfolg der Kinder keinen Einfluss nehmen können oder wollen.
Doch sagen Sie uns: Wird mit der Therapie von Kindern nicht übertrieben?
Da möchte ich betonen: Die Schule therapiert nicht. Es sind teilweise Eltern, die verlangen, dass etwas getan wird. Ausserdem gibt es anscheinend tatsächlich bei Kindern immer häufiger Sprachprobleme. Wenn Sie denken, wir wollten nur unsere Logopädinnen auslasten, so liegen Sie falsch. Doch natürlich ist es so, dass man heute die Eltern früher auf mögliche Entwicklungen und Störungen aufmerksam macht.
Der Konformitätsgedanke hat aber eindeutig zugenommen. Ist es denn so tragisch, wenn die einen oder anderen Kinder aus dem Normband herausfallen?
Der Unterricht heute versucht mehr als früher der Breite der Begabungen gerecht zu werden. Das ist für Lehrpersonen sehr anspruchsvoll. Doch es geht darum, ob das Lernziel erreichbar ist und welche Massnahmen es gibt, um ebendies zu erreichen.
Pädagogen müssen sich immer mehr mit dem Ausfüllen von Formularen und Lernberichten beschäftigen. Mit einer solchen Verbürokratisierung dürfte man die wirklich guten Lehrpersonen nicht mehr erreichen.
Es geht um Qualitätsanforderungen, die auch von den Eltern verlangt werden. Ich finde Lernberichte überhaupt nicht schlecht. Sie sind differenzierter als Noten und helfen dem Kind mehr. Da sehe ich nicht das grosse Problem. Wir werden aber aufmerksam beobachten, welchen Aufwand dies tatsächlich für die Lehrpersonen generiert.
Der schlechte Lehrer wird so nicht besser, doch der potenziell gute Lehrer wird davor zurückschrecken, diesen Beruf zu ergreifen.
Danach sieht es nicht aus: Die Zahl der Lehrerstudierenden steigt in der ganzen Schweiz! Wir sorgen wirklich dafür, dass es nicht ausufert. Jede Lehrperson kann zu mir kommen und sich beschweren, wenn sie unnötige Bürokratie in ihrem Schulhaus ausmacht.
Sagen Sie uns, kann ein Pädagoge in einer Schulklasse wirklich noch Führungsfunktion übernehmen?
Ich und meine Klasse, das soll so bleiben. Es ist eine Führungsaufgabe und wir wollen auch ermöglichen, dass das so bleibt.
Zwischen Schulleitungen und Bildungsverwaltung steht die Kreisleitung. Braucht es diese zusätzliche Hierarchiestufe?
Schulkreisleitungen gibt es in allen Schweizer Städten. Das hat man eingeführt, damit die Volksschulleitung nicht eine zu grosse Führungsspanne innehaben muss. Das ist jedoch nur eine Person in jedem Stadtkreis und sie funktioniert als Ansprechperson. Das wird von der Lehrerschaft auch mehr als Segen denn als Fluch angesehen. Sie können sich auch bei ihnen melden, wenn sie mit der Schulleitung nicht zurechtkommen. Das Gleiche gilt für die Eltern.
Doch insgesamt haben Sie in der Bildungsverwaltung in den vergangenen Jahren Stellen aufgestockt?
Ja, das ist so, doch es war ein Volksentscheid und weder Jux noch Tollerei des Bildungsdepartements. Die Frage ist auch, ob man Schulleitungen zur Verwaltung zählt, wie das heute geschieht, oder zum Lehrpersonal, wie es früher war. Ausserdem hat man die Schulstruktur umgebaut, die Rektoren abgeschafft und die Schulleitungen eingestellt. Doch natürlich mussten wir mehr Schulleiter als früher Rektoren einstellen. Das hat den Schulen auch einen Mehrnutzen gebracht. Die Schulleitungen sind dafür da, eine eigene Kultur im Schulhaus zu erarbeiten. Ohne sie gäbe es keine Teilautonomie. Sie haben Kompetenzen, machen Qualitätskontrollen und können bei Anstellungen mitreden.
Schreibt Ihr Ressort schwarze Zahlen?
Wir haben in den letzten Jahren stets das Budget unterschritten, in den vergangenen zwei Jahren gar um 20 Millionen. Wenn wir Überschreitungen hatten, gab es einen Grund. Natürlich geben wir in Basel-Stadt im interkantonalen Vergleich viel aus für die Schule, aber die Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler erfordert das auch.
Was hat Ihnen persönlich an Ihrer Schulzeit am besten gefallen?
Ich war zuerst enttäuscht, denn mein Bruder war drei Jahre älter als ich und kam zu einem Lehrer und in eine reine Bubenklasse. Ich hingegen kam in eine gemischte Klasse und zu einer Lehrerin, das fand ich zunächst gar nicht toll. Doch sie tat mir gut und förderte mich sehr. Sie führte uns streng, strafte auch ab und zu, sie ­forderte und lobte. Das alles zusammen genommen führte zu einer grossen Geborgenheit. Im Gymnasium schliesslich wurden eine Klasse A und eine D geführt. In der A sassen die Bildungsnahen, diejenigen, deren Väter Professoren und Akademiker waren. In die Klasse D gingen die Kinder aus der Grundschicht, dem folgte auch ein wenig die Qualität der Lehrer
...
In welcher Klasse waren Sie?
In Klasse D. Ich kam aus dem Kleinbasel und meine Eltern waren akademisch nicht gebildet. Doch darunter habe ich nie gelitten.


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