6. April 2014

Flickenteppich und Lehrplanmonstrum

Hans Zbinden, alt-Nationalrat (SP) und Vater des Bildungsartikels und heute Präsident der eidgenössischen Fachhochschulkommission EFHK, äussert sich zu den Entwicklungen rund um Harmos und den Lehrplan 21.


Die Projektscrew muss nachsitzen, Bild: Berner Zeitung



Quelle: Nordwestschweiz Zeitung, 3.4.



Bis vor wenigen Jahren galten Schulreformen als Gütezeichen fortschrittlicher Kantone und Gemeinden. Tempi passati! Unüberschaubar viele und nur noch für Fachleute verständliche Innovationen im Bildungswesen mündeten in einer breiten Reformverdrossenheit, innerhalb und ausserhalb der Schule. Mit der finalen und fatalen Konsequenz, dass wir heute in der Schweiz mancherorts ein eigentliches schulisches Reformmoratorium vorfinden. Irritierend an dieser Innovationsbremsung im Bildungswesen ist allerdings der Umstand, dass diese ausgerechnet im Land des inoffiziellen Innovationsweltmeisters stattfindet. Diese Spitzenposition im Feld der 140 wichtigsten Volkswirtschaften verdankt die Schweiz seit Jahren nicht zuletzt auch ihrem qualitativ guten und innovationsoffenen Volksschulfundament.
So erstaunt es nicht, dass auch die beiden kantonsübergreifenden Vorhaben der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) von dieser politisch noch geschürten Schulreformskepsis erfasst worden sind. Auch das Harmos-Konkordat und der Lehrplan 21 stiessen auf namhaften Widerstand. Aus pädagogischen sowie aus bildungs- und staatspolitischen Gründen. Deshalb täte die EDK gut daran, die Reformplanung und -umsetzung der beiden Projekte einmal selbstkritisch unter die Lupe zu nehmen. Zum einen, indem sie jeweils zu Beginn eines Vorhabens mit allen Kantonen eine gemeinsame und verbindliche Projektstrategie vereinbart. An dieser Richtschnur haben sich anschliessend beim Umsetzungsvorgehen alle Kantone und Experten zu orientieren.
Zum zweiten verkannte die Projektsteuerung die Alltagsrealität, in der die Schulgemeinschaften vor Ort die vorgegebene Reform letztlich umzusetzen haben: von der Lehrerschaft über die Eltern bis hin zu den Behörden. Denn die einverlangten Innovationsarbeiten haben die Lehrpersonen meist neben der täglichen Arbeit zu bewältigen. Und nicht zuletzt haben es die EDK-Organe unterlassen, wichtige Lehren aus der prägenden Geschichte unseres Volksschulwesens zu ziehen. Sie übersahen die bis heute nachwirkenden Verletzungen, welche die harten Auseinandersetzungen um unser Volksschulwesen hinterlassen haben. Vom Sonderbundskrieg bis hin zum erbitterten Ringen um einen eidgenössischen Schulsekretär («Schulvogtabstimmung»).
Einschlägige Erfahrungen zeigen: Engagierte Mitwirkende lassen sich heute nur für eine Reform gewinnen, wenn diese das Vorhaben als stimmiges Ganzes für ihren Schulalltag wahrnehmen. Mit einem erkennbaren pädagogischen und schulischen Mehrwert. Drei Voraussetzungen sind zentral:
Beim Projekt HarmoS hat man den kantonalen Hürdenlauf von Parlaments- und Volksentscheiden in den Inner- und Ostschweizer Kantonen begonnen. Also ausgerechnet in Regionen, die im Verlauf unserer Volksschulgeschichte stets gegen nationale Projekte opponierten. In ihnen wurde dann auch die Harmonisierungsidee mit Plakaten von weinenden Schulkindern diskreditiert. Entsprechend zwiespältig präsentiert sich das vorläufige Harmos- Ergebnis: 15 Kantone traten dem Konkordat bei. 7 Kantone lehnten es ab. In 4 Kantonen ist der Entscheid noch offen. Im Kanton Basel-Landschaft droht sogar eine Initiative mit dem Wiederaustritt aus dem Konkordat Der unrühmliche interkantonale Flickenteppich im Volksschulwesen droht also weiterzubestehen.

Auch der aktuell diskutierte Deutschschweizer Lehrplan 21 ist stark umstritten. Auch hier erhielten die beigezogenen Expertenkreise keine leitenden Vorgaben. Etwa zur Handhabung des Lehrplans im praktischen Schulalltag. Oder zu einer benutzerfreundlichen Fassung des Arbeitsinstrumentes, mit obligatorischen und fakultativen Elementen. Im Gegenteil: Die fehlenden politischen Leitplanken förderten eine überbordende Eigendynamik der Fachleute. Das daraus resultierende Lehrplanmonstrum umfasst heute 500 Seiten und 4000 anzustrebende Teilkompetenzen für die Schulkinder. Die unterlassene Empathie der Verantwortlichen, das ganze Vorhaben zuerst einmal aus der Warte der Betroffenen zu betrachten, zeitigt spät noch ihren Preis: Die Projektcrew muss nachsitzen und etliche Anpassungen vornehmen! Also in einer der Schule durchaus vertraute Art einer Strafe! 

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