Binswanger findet pointierte Worte zum Lehrplan 21, Bild: HR Aeschbacher
FH-Professor findet kritische Worte für Lehrplan 21, Oltner Tagblatt, 7.5. von Clemens Ackermann
Die Ausbildung von
jungen Menschen zu kompetenten Berufsleuten ist der Sektion Solothurn des
Schweizerischen Nutzfahrzeugverbandes Astag ein wichtiges Anliegen. Sie ist
damit aber auch von den Veränderungen der Gesellschaft und der
Bildungslandschaft direkt betroffen.
Noch vor wenigen Jahren,
erinnerte sich Sektionspräsident Peter Eggenschwiler an der Generalversammlung
der Sektion in Balsthal, sei an die Mitglieder appelliert worden, genügend
Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Heute müsse er feststellen, dass
ein nicht unbedeutender Teil der Lehrstellen nicht besetzt werden könnten.
Lehrstellen
bereitgestellt
Zurzeit sind im Kanton
Solothurn 24 Lernende in Ausbildung, etwa 15 weitere Ausbildungsplätze stünden
zur Verfügung, nannte Eggenschwiler die konkreten Zahlen. Das Fazit von
Eggenschwiler: Es mangelt an Nachwuchs. Er forderte die Mitgliedfirmen auf, in
ihren Anstrengungen nicht nachzulassen und weiter daran zu arbeiten, dass
Branche und Berufe des Lastwagen- und Transportgewerbes in ein gutes Licht
gerückt werden.
In diesem Sinne hatte
der Verband an seine Generalversammlung Mathias Binswanger für ein Referat
eingeladen. Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der
Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St.
Gallen. Mit sichtlicher Freude an pointierten Aussagen blickte Binswanger auf
einige Aspekte des Lehrplans 21 und sprach Tendenzen in der heutigen
Bildungslandschaft an, um schliesslich eine Lanze zu brechen für das Duale
Schweizer Berufsbildungssystem.
Kritisch steht
Binswanger der Kompetenzorientierung des Lehrplans 21 gegenüber. Wissen werde
mit einer reinen Kompetenzorientierung in den Hintergrund gedrängt, erklärte er
und belegte als erfahrener Redner und Hochschuldozent seine Aussage mit einem
Beispiel: Nach dem Lehrplan 21 genüge es, dass der Schüler das Einmaleins kenne
und wisse, wo er es finden könne, er müsse es nicht mehr beherrschen nach dem
Motto: warum selber rechnen können, wenn man jederzeit einen Taschenrechner
zurate ziehen kann.
Die
Kompetenzorientierung des Lehrplans 21 sieht Binswanger zudem im Widerspruch zu
dessen Anspruch auf messbare und kontrollierbare Ziele: «Die Kompetenzen, die
im Lehrplan 21 im Mittelpunkt stehen, sind solche, die sich einer Messung
entziehen.» Es gehe im Lehrplan nicht um Wissen, sondern um «Selbstreflexion,
Eigenständigkeit, Beziehungsfähigkeit, Konfliktfähigkeit und um das Vermögen,
Informationen zu nutzen» – für Binswanger weitgehend nichtssagende Worthülsen.
Für ihn ist klar: Es gibt keine Kompetenz ohne Wissen, die reine
Kompetenzorientierung führe zur «Ausbildung von pseudokompetenten Schwätzern»,
denen grundlegende Fähigkeiten fehlten.
Eine weitere Kritik
Binswangers richtete sich an die Tendenz des Lehrplans, dass dieser überall den
möglichst gleichen Unterricht nach den gleichen Prinzipien erreichen wolle.
Binswanger sprach von einer inhaltlichen, methodischen und gesinnungsmässigen
Standardisierung des Unterrichts und einem Zurechtstutzen auf ein politisch
korrektes normiertes Mittelmass – von einer Freiheit der Lehre werde nicht mehr
gesprochen.
Das Beispiel Finnland
Die Hinterfragwürdigkeit
von Statistiken und Messungen im Bereich Bildung zeigte Mathias Binswanger am
Pisa-Test. Hier schneiden die Schülerinnen und Schüler in Finnland regelmässig
mit Bestwerten ab. Binswanger stellte zu diesen Zahlen Statistiken, die
aufzeigen, dass Kinder und Jugendliche in Finnland am wenigsten gerne zur
Schule gehen (Binswanger: «Man muss die Schule offenbar hassen, damit der
Lernerfolg gross ist.»), dass sie sich am wenigsten gesund ernähren und dass
sie im Vergleich ausserordentlich viel rauchen und sich oft betrinken.
Trotz des guten
Abschneidens in den Pisa-Tests ist aber die Jugendarbeitslosigkeit in Finnland
sehr hoch, und die Hälfte aller Maturanden macht nie einen Hochschulabschluss.
Ironisches Fazit von Mathias Binswanger: «Das ist also das Beispiel, dem wir
nacheifern sollen.»
Der Referent sprach sich
natürlich klar dagegen aus. Es würden da teilweise Dinge gemessen, auf die es
gar nicht ankomme. Er hob die Vorteile des Berufsbildungssystems in der Schweiz
gegenüber dem schulischen Bildungssystem von Finnland hervor: «In Wirklichkeit
ist für viele Aufgaben ein Training on the job, wie wir es in der Lehre kennen
– die beste Ausbildung.»
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