8. Mai 2014

"Kompetenzorientierung führt zu pseudokompetenten Schwätzern"

Der Ökonom Mathias Binswanger lässt sich von den scheinbar wohlmeinenden Rückmeldungen zum Lehrplan 21 nicht beirren und kritisiert die Normierung des Unterrichts scharf.

Binswanger findet pointierte Worte zum Lehrplan 21, Bild: HR Aeschbacher

FH-Professor findet kritische Worte für Lehrplan 21, Oltner Tagblatt, 7.5. von Clemens Ackermann


Die Ausbildung von jungen Menschen zu kompetenten Berufsleuten ist der Sektion Solothurn des Schweizerischen Nutzfahrzeugverbandes Astag ein wichtiges Anliegen. Sie ist damit aber auch von den Veränderungen der Gesellschaft und der Bildungslandschaft direkt betroffen.
Noch vor wenigen Jahren, erinnerte sich Sektionspräsident Peter Eggenschwiler an der Generalversammlung der Sektion in Balsthal, sei an die Mitglieder appelliert worden, genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Heute müsse er feststellen, dass ein nicht unbedeutender Teil der Lehrstellen nicht besetzt werden könnten.
Lehrstellen bereitgestellt
Zurzeit sind im Kanton Solothurn 24 Lernende in Ausbildung, etwa 15 weitere Ausbildungsplätze stünden zur Verfügung, nannte Eggenschwiler die konkreten Zahlen. Das Fazit von Eggenschwiler: Es mangelt an Nachwuchs. Er forderte die Mitgliedfirmen auf, in ihren Anstrengungen nicht nachzulassen und weiter daran zu arbeiten, dass Branche und Berufe des Lastwagen- und Transportgewerbes in ein gutes Licht gerückt werden.
In diesem Sinne hatte der Verband an seine Generalversammlung Mathias Binswanger für ein Referat eingeladen. Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Mit sichtlicher Freude an pointierten Aussagen blickte Binswanger auf einige Aspekte des Lehrplans 21 und sprach Tendenzen in der heutigen Bildungslandschaft an, um schliesslich eine Lanze zu brechen für das Duale Schweizer Berufsbildungssystem.
Kritisch steht Binswanger der Kompetenzorientierung des Lehrplans 21 gegenüber. Wissen werde mit einer reinen Kompetenzorientierung in den Hintergrund gedrängt, erklärte er und belegte als erfahrener Redner und Hochschuldozent seine Aussage mit einem Beispiel: Nach dem Lehrplan 21 genüge es, dass der Schüler das Einmaleins kenne und wisse, wo er es finden könne, er müsse es nicht mehr beherrschen nach dem Motto: warum selber rechnen können, wenn man jederzeit einen Taschenrechner zurate ziehen kann.
Die Kompetenzorientierung des Lehrplans 21 sieht Binswanger zudem im Widerspruch zu dessen Anspruch auf messbare und kontrollierbare Ziele: «Die Kompetenzen, die im Lehrplan 21 im Mittelpunkt stehen, sind solche, die sich einer Messung entziehen.» Es gehe im Lehrplan nicht um Wissen, sondern um «Selbstreflexion, Eigenständigkeit, Beziehungsfähigkeit, Konfliktfähigkeit und um das Vermögen, Informationen zu nutzen» – für Binswanger weitgehend nichtssagende Worthülsen. Für ihn ist klar: Es gibt keine Kompetenz ohne Wissen, die reine Kompetenzorientierung führe zur «Ausbildung von pseudokompetenten Schwätzern», denen grundlegende Fähigkeiten fehlten.
Eine weitere Kritik Binswangers richtete sich an die Tendenz des Lehrplans, dass dieser überall den möglichst gleichen Unterricht nach den gleichen Prinzipien erreichen wolle. Binswanger sprach von einer inhaltlichen, methodischen und gesinnungsmässigen Standardisierung des Unterrichts und einem Zurechtstutzen auf ein politisch korrektes normiertes Mittelmass – von einer Freiheit der Lehre werde nicht mehr gesprochen.
Das Beispiel Finnland
Die Hinterfragwürdigkeit von Statistiken und Messungen im Bereich Bildung zeigte Mathias Binswanger am Pisa-Test. Hier schneiden die Schülerinnen und Schüler in Finnland regelmässig mit Bestwerten ab. Binswanger stellte zu diesen Zahlen Statistiken, die aufzeigen, dass Kinder und Jugendliche in Finnland am wenigsten gerne zur Schule gehen (Binswanger: «Man muss die Schule offenbar hassen, damit der Lernerfolg gross ist.»), dass sie sich am wenigsten gesund ernähren und dass sie im Vergleich ausserordentlich viel rauchen und sich oft betrinken.
Trotz des guten Abschneidens in den Pisa-Tests ist aber die Jugendarbeitslosigkeit in Finnland sehr hoch, und die Hälfte aller Maturanden macht nie einen Hochschulabschluss. Ironisches Fazit von Mathias Binswanger: «Das ist also das Beispiel, dem wir nacheifern sollen.»
Der Referent sprach sich natürlich klar dagegen aus. Es würden da teilweise Dinge gemessen, auf die es gar nicht ankomme. Er hob die Vorteile des Berufsbildungssystems in der Schweiz gegenüber dem schulischen Bildungssystem von Finnland hervor: «In Wirklichkeit ist für viele Aufgaben ein Training on the job, wie wir es in der Lehre kennen – die beste Ausbildung.»


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen