31. Mai 2014

Vom Akzeptanzreflex zur Demontage

Mein pensionierter Kollege Fritz Tschudi identifiziert die Schwachstellen unseres Bildungssystems in einer bitterbösen Satire auf eine Art, wie nur er es kann. Die Kombination von Analyse und Science Fiction ist erhellend und unterhaltsam gleichzeitig.




"Akzeptanz-Reflex-Generator on? - OK, Lehrperson gut!" Südostschweiz Blog, 28.5. von Fritz Tschudi


«Akzeptanz-Reflex-Generator on? – OK, Lehrperson gut!»
So tönte es aus den Lautsprechern des für die Beurteilung von Junglehrpersonen zuständigen FLOP_BüGr_2084 des kantonseigenen Verwaltungszentrums für Exzellenz. Der Beurteilte rief reflexartig zurück: «Warum denn das?» Doch die Schalltrichter blieben stumm. Die Rückfrage war ziemlich sinnlos: Zum einen haben Horntreiber-Lautsprecher keine Hörkompetenz, zum andern steht die Beurteilungssicherheit der omnipotenten Rechenmaschine völlig ausser Zweifel: Die Leistung des FLOP_BüGr_2084 mit27 Teraflops (Floating Point Operations Per Second) spricht für sich. Einfach exzellent! Der Kandidat, er heisst übrigens Gian (oder war es Giachen?), geriet ob des Lobes völlig aus dem Häuschen, hüpfte auf die Strasse und rief heftig gestikulierend: «Ich bin ein Leuchtturm, ein Leuchtturm, ja…, ein Leuchtturm…!» Gian feierte seine Systemkompatibilität so lange, bis schliesslich die berüchtigte schwarze Luxuslimousine mit dem Kennzeichen OR-1984 der Bildungsdirektion vorfuhr und zwei schwarz verhüllte Gestalten den Übergeschnappten wegbrachten. Wohin wusste niemand. Es wird gemunkelt, nach einiger Zeit im Resetorium sei der Arme geistig neu formatiert aus der Zementfabrik zurück und umgehend einem fallspezifischen Sondersetting an der Pädagogischen Hochschule zugeführt worden. Ja, wir können stolz sein: FLOP_BüGr_2084 kümmert sich auch um die Wiedereingliederung ganz im Sinne der Einhaltung der Chancengerechtigkeit.

Eine absurde Vision?
Ist Ihnen ein Lehrer oder eine Lehrerin in Erinnerung, die sich mutig dem herrschenden Zeitgeist entgegenstellte, sich ohne Rücksicht auf persönliche Widerwärtigkeiten als Verfechterin beruflicher Selbstverantwortung, Autonomie und Überzeugung outete (Denken on? Akzeptanz-Reflex-Generator out?)? FLOP_BüGr_2084 würde wohl irritiert «Error» melden, aber auch die heute zuständige Nomenklatura geriete darob ins Grübeln.
Eigenständige, souverän agierende Lehrer sind den Bildungsverwaltern seit Längerem suspekt, denn Persönlichkeiten eilt der Ruf voraus, nicht pflegeleicht zu sein. Das berufliche Selbstverständnis dieser bedrohten Spezies beruht niemals auf aufgepfropften Zwangskonditionierungen, gewachsene Überzeugungen bestimmen ihr Handeln.
Deshalb wird viel unternommen, Querdenker los zu werden. Die Lehrerausbildungsstätten haben die wenig exzellente Aufgabe, mit der Produktion von hoch angepassten Technokraten Abhilfe zu schaffen, denn Lehrpersonen mit ausgeprägten «Akzeptanzreflexen» gelten heute als Standard.
·         Da ist kein Platz für eigenständige Denker
Tragisch für einen Beruf, der das Vermitteln von Bildung zur Hauptaufgabe hat(te). Bildungsvermittlung setzt Freiheit im Denken und einen selbstbestimmten Unterricht voraus. Die systematische Bevormundung signalisiert unverhohlen den Verzicht auf Lehrerindividuen. Für innovative Schweizer Bildungsadministratoren war es nur konsequent, die Herabstufung des ehemals geachteten Berufs verbal durch die Zuweisung des Unwortes «Lehrperson» öffentlich zu machen (Wikipedia kennt den Begriff nicht!). In geistige Schranken gewiesene Vollzugsfunktionäre schaffen mit Sicherheit keinen Mehrwert in den Schulstuben.
·         Der «Akzeptanzreflex» ist zur grundlegenden Eigenschaft der postmodernen «Lehrperson» geworden
Von zentraler Bedeutung ist das Qualitätssicherungssystem. Die flächendeckende Überwachung, Kontrolle und Steuerung der Volksschule, beziehungsweise deren Lehrpersonen, bezweckt die Dekonstruktion unerwünschter Persönlichkeitsmerkmale.
Die Umerziehung hat widerspruchsloses, leicht steuerbares Lehrerverhalten zu generieren, welches die zugedachte Qualität des Unterrichts eher sicherzustellen verspricht. Den schön formulierten Qualitätskriterien gebührt nichts anderes als allgemeine Zustimmung. Wie so oft liegt das Verderben in der Praxis. Gelobt wird der Unterrichtende nur, wenn er sich aktiv den aktuellen, durch die Evaluationsinstanz gestützten zeitgeistigen Moden der Unterrichtsgestaltung unterstellt. Dass die Authentizität vieler Lehrer, als Grundvoraussetzung guten Unterrichts, damit entsorgt wird, ist ein offiziell nicht registrierter Kollateralschaden.
Selten diskutiert, doch von besonderer Perfidie ist die reale Wirkung fremd verordneter Teamarbeit. Die Verherrlichung der Teamorientierung als die ideale Arbeitsform nützt den Gruppenzwang als Gleichschaltungsinstrument, als Instrument zur internen Disziplinierung der Lehrerschaft. Die auch im Schulbereich praktizierten Teamentwicklungsprojekte vertiefen bewusst die Personenmanipulation. Die Fremdbestimmung wird rasch zur unbewussten Normalität.
Der produzierte Eintopf aus der Zwangsharmonie, das zeigt die Erfahrung, ist vergleichsweise unwichtig, die gegenseitige Personenkontrolle im Team das Entscheidende. Wie sagt das Sprichwort? «Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selbst».
·         Nicht der Bildungsgehalt, sondern die «Messbarkeit» definiert Inhalt und Form des künftigen Unterrichts
Das Bestehen von Prüfungen wird zum eigentlichen Zweck des Lehrens und Lernens und die Ergebnisse zum entscheidenden Gütekriterium von Unterricht (Teaching to the test).
Die Kompetenzorientierung im neuen Lehrplan 21 ist eine Mogelpackung. Es wird gründlicheres und sinnvolleres Lernen versprochen. In Wahrheit stützt sich die Worthülse «Kompetenz» auf eine von keiner Seite je angezweifelten Binsenwahrheit: Lernen ist Wissen, Können (=Fähigkeit) und Wollen. Wie das Wollen auf technokratischer Basis vermittelt werden soll, steht allerdings in den Sternen. Es wird in Unkenntnis der Sachlage (oder zur Verschleierung) so getan, als ob schulisches Lehren und Lernen bisher reines Faktenwissen beinhaltet hätte.
Die neue «Unterrichtskultur» disqualifiziert sich zudem selbst, in dem sie faktisch Bildungsziele negiert. Eine technokratisch geprägte, auf reine Employability eingeschränkte Sicht fördert Paukerei unter dem Deckmantel moderner Methoden. Der drohende «substanzfreie Unterricht» erfordert kaum noch Fachkompetenz. Er könnte vollständig an Computernetzwerke ausgelagert werden. Realisiert sind derartige Konzepte des gesichtslosen digitalen Lernens, als MOOC (Massive Open Online Courses) bereits an europäischen und amerikanischen Hochschulen, aber auch an asiatischen Volksschulen (!).
Jeder nicht absolut zwingende Eingriff in die berufliche Autonomie der Lehrerinnen und Lehrer seitens der Vorgesetzten ist als Grenzüberschreitung zu werten und zu unterbinden.
«Die Gleichrichtung des Unterrichtes hat zu einer unorganischen und wesensfremden Kollektivierung der Lehrerschaft geführt und hat deren Stärke, nämlich die individuellen Kompetenzen, Berufsmotivation, Innovation und Engagement erlahmen lassen. Die Schule braucht Lehrerindividuen.»
Pfister-Wüest/Krummenacher, Diplomarbeit «Lehrpersonen als Mittelpunkt vs. Lehrpersonen als Mittel. Punkt!», Universität Luzern, 2007.
Die Volksschule wird uns als Dauerbaustelle so lange erhalten bleiben, wie es uns an Vernunft fehlt: Die Experimentiererei unter dem Diktat der OECD, die bildungspolitischen Nachäffereien, der unerschütterliche Glaube an Pisa, die Machtfülle der Bürokraten, die unverhohlene Gleichschaltung der Lehrer, die Stereotype «Neu ist immer besser», vorab auch das Primat der Theorie, sind gründlich zu hinterfragen.


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