"Akzeptanz-Reflex-Generator on? - OK, Lehrperson gut!" Südostschweiz Blog, 28.5. von Fritz Tschudi
«Akzeptanz-Reflex-Generator
on? – OK, Lehrperson gut!»
So tönte es aus den
Lautsprechern des für die Beurteilung von Junglehrpersonen zuständigen
FLOP_BüGr_2084 des kantonseigenen Verwaltungszentrums für Exzellenz. Der
Beurteilte rief reflexartig zurück: «Warum denn das?» Doch die Schalltrichter
blieben stumm. Die Rückfrage war ziemlich sinnlos: Zum einen haben Horntreiber-Lautsprecher
keine Hörkompetenz, zum andern steht die Beurteilungssicherheit der
omnipotenten Rechenmaschine völlig ausser Zweifel: Die Leistung des
FLOP_BüGr_2084 mit27 Teraflops (Floating Point Operations Per
Second) spricht für sich. Einfach exzellent! Der Kandidat, er heisst
übrigens Gian (oder war es Giachen?), geriet ob des Lobes völlig aus dem
Häuschen, hüpfte auf die Strasse und rief heftig gestikulierend: «Ich bin ein
Leuchtturm, ein Leuchtturm, ja…, ein Leuchtturm…!» Gian feierte seine Systemkompatibilität
so lange, bis schliesslich die berüchtigte schwarze Luxuslimousine mit dem
Kennzeichen OR-1984 der Bildungsdirektion vorfuhr und zwei schwarz verhüllte
Gestalten den Übergeschnappten wegbrachten. Wohin wusste niemand. Es wird
gemunkelt, nach einiger Zeit im Resetorium sei der Arme geistig neu formatiert
aus der Zementfabrik zurück und umgehend einem fallspezifischen Sondersetting
an der Pädagogischen Hochschule zugeführt worden. Ja, wir können stolz sein:
FLOP_BüGr_2084 kümmert sich auch um die Wiedereingliederung ganz im Sinne der
Einhaltung der Chancengerechtigkeit.
Eine absurde Vision?
Ist Ihnen ein Lehrer oder
eine Lehrerin in Erinnerung, die sich mutig dem herrschenden Zeitgeist
entgegenstellte, sich ohne Rücksicht auf persönliche Widerwärtigkeiten als
Verfechterin beruflicher Selbstverantwortung, Autonomie und Überzeugung outete
(Denken on? Akzeptanz-Reflex-Generator out?)? FLOP_BüGr_2084 würde wohl
irritiert «Error» melden, aber auch die heute zuständige Nomenklatura geriete
darob ins Grübeln.
Eigenständige, souverän
agierende Lehrer sind den Bildungsverwaltern seit Längerem suspekt, denn
Persönlichkeiten eilt der Ruf voraus, nicht pflegeleicht zu sein. Das
berufliche Selbstverständnis dieser bedrohten Spezies beruht niemals auf
aufgepfropften Zwangskonditionierungen, gewachsene Überzeugungen bestimmen ihr
Handeln.
Deshalb wird viel
unternommen, Querdenker los zu werden. Die Lehrerausbildungsstätten haben die
wenig exzellente Aufgabe, mit der Produktion von hoch angepassten Technokraten
Abhilfe zu schaffen, denn Lehrpersonen mit ausgeprägten «Akzeptanzreflexen»
gelten heute als Standard.
·
Da ist kein Platz für eigenständige Denker
Tragisch für einen Beruf,
der das Vermitteln von Bildung zur Hauptaufgabe hat(te). Bildungsvermittlung
setzt Freiheit im Denken und einen selbstbestimmten Unterricht voraus. Die
systematische Bevormundung signalisiert unverhohlen den Verzicht auf Lehrerindividuen.
Für innovative Schweizer Bildungsadministratoren war es nur konsequent, die
Herabstufung des ehemals geachteten Berufs verbal durch die Zuweisung des
Unwortes «Lehrperson» öffentlich zu machen (Wikipedia kennt den Begriff
nicht!). In geistige Schranken gewiesene Vollzugsfunktionäre schaffen mit
Sicherheit keinen Mehrwert in den Schulstuben.
·
Der «Akzeptanzreflex» ist zur grundlegenden Eigenschaft der postmodernen
«Lehrperson» geworden
Von zentraler Bedeutung ist
das Qualitätssicherungssystem. Die flächendeckende
Überwachung, Kontrolle und Steuerung der Volksschule, beziehungsweise deren
Lehrpersonen, bezweckt die Dekonstruktion unerwünschter
Persönlichkeitsmerkmale.
Die Umerziehung hat
widerspruchsloses, leicht steuerbares Lehrerverhalten zu generieren, welches
die zugedachte Qualität des
Unterrichts eher sicherzustellen verspricht. Den schön formulierten
Qualitätskriterien gebührt nichts anderes als allgemeine Zustimmung. Wie so oft
liegt das Verderben in der Praxis. Gelobt wird der Unterrichtende nur, wenn er
sich aktiv den aktuellen, durch die Evaluationsinstanz gestützten zeitgeistigen
Moden der Unterrichtsgestaltung unterstellt. Dass die Authentizität vieler
Lehrer, als Grundvoraussetzung guten Unterrichts, damit entsorgt wird, ist ein
offiziell nicht registrierter Kollateralschaden.
Selten diskutiert, doch von
besonderer Perfidie ist die reale Wirkung fremd verordneter Teamarbeit. Die Verherrlichung der
Teamorientierung als die ideale Arbeitsform nützt den
Gruppenzwang als Gleichschaltungsinstrument, als Instrument zur internen Disziplinierung
der Lehrerschaft. Die auch im Schulbereich praktizierten Teamentwicklungsprojekte vertiefen
bewusst die Personenmanipulation. Die Fremdbestimmung wird rasch zur
unbewussten Normalität.
Der produzierte Eintopf aus
der Zwangsharmonie, das zeigt die Erfahrung, ist vergleichsweise unwichtig, die gegenseitige
Personenkontrolle im Team das Entscheidende. Wie sagt das
Sprichwort? «Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selbst».
·
Nicht der Bildungsgehalt, sondern die «Messbarkeit» definiert Inhalt und
Form des künftigen Unterrichts
Das Bestehen von Prüfungen
wird zum eigentlichen Zweck des Lehrens und Lernens und die Ergebnisse zum
entscheidenden Gütekriterium von Unterricht (Teaching to the test).
Die Kompetenzorientierung
im neuen Lehrplan 21 ist eine Mogelpackung. Es wird gründlicheres und
sinnvolleres Lernen versprochen. In Wahrheit stützt sich die Worthülse
«Kompetenz» auf eine von keiner Seite je angezweifelten Binsenwahrheit: Lernen
ist Wissen, Können (=Fähigkeit) und Wollen. Wie das Wollen auf technokratischer
Basis vermittelt werden soll, steht allerdings in den Sternen. Es wird in
Unkenntnis der Sachlage (oder zur Verschleierung) so getan, als ob schulisches
Lehren und Lernen bisher reines Faktenwissen beinhaltet hätte.
Die neue «Unterrichtskultur»
disqualifiziert sich zudem selbst, in dem sie faktisch Bildungsziele
negiert. Eine technokratisch geprägte, auf reine Employability eingeschränkte
Sicht fördert Paukerei unter dem Deckmantel moderner Methoden. Der drohende
«substanzfreie Unterricht» erfordert kaum noch Fachkompetenz. Er könnte
vollständig an Computernetzwerke ausgelagert werden. Realisiert sind derartige
Konzepte des gesichtslosen digitalen Lernens, als MOOC (Massive Open Online
Courses) bereits an europäischen und amerikanischen Hochschulen, aber auch an
asiatischen Volksschulen (!).
Jeder nicht absolut
zwingende Eingriff in die berufliche Autonomie der Lehrerinnen und Lehrer
seitens der Vorgesetzten ist als Grenzüberschreitung zu werten und zu
unterbinden.
«Die Gleichrichtung des Unterrichtes
hat zu einer unorganischen und wesensfremden Kollektivierung der Lehrerschaft
geführt und hat deren Stärke, nämlich die individuellen Kompetenzen,
Berufsmotivation, Innovation und Engagement erlahmen lassen. Die Schule
braucht Lehrerindividuen.»
Pfister-Wüest/Krummenacher,
Diplomarbeit «Lehrpersonen als Mittelpunkt vs. Lehrpersonen als Mittel.
Punkt!», Universität Luzern, 2007.
Die Volksschule wird uns
als Dauerbaustelle so lange erhalten bleiben, wie es uns an Vernunft fehlt: Die
Experimentiererei unter dem Diktat der OECD, die bildungspolitischen
Nachäffereien, der unerschütterliche Glaube an Pisa, die Machtfülle der
Bürokraten, die unverhohlene Gleichschaltung der Lehrer, die Stereotype «Neu
ist immer besser», vorab auch das Primat der Theorie, sind gründlich zu
hinterfragen.
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