3. Juni 2014

Ankli: "Lehrplan ist keine umstürzende Neuerung"

Der Solothurner Bildungsdirektor Remo Ankli äussert sich in einem Interview zu aktuellen Fragen. In Solothurn fehlen Studenten, weshalb dieser PH-Standort keine Sekundarlehrer ausbilden kann. Ankli schliesst sich bezüglich des Lehrplans 21 den Beschwichtigungen anderer Bildungsdirektoren an: "Wir versuchen die Skeptiker davon zu überzeugen, dass der harmonisierte Lehrplan keine umstürzende Neuerung darstellt". Punkto integrative Förderung erlaubt es der Kanton, dass an der Oberstufe weiterhin separierte Kleinklassen geführt werden können. 




Ankli ist seit Sommer 2013 im Amt, Bild: Felix Gerber

"Der Sparauftrag ist eine grosse Herausforderung für den Bildungsbereich", Grenchner Tagblatt, 3.6. von Elisabeth Seifert und Lucien Fluri


Remo Ankli, man munkelt, der Bildungsdirektor habe mehr Baustellen als der Baudirektor. Wie sehen Sie das?
Remo Ankli: Ich würde das nicht als Baustellen bezeichnen. Es handelt sich vielmehr um Projekte, die noch nicht vollständig umgesetzt sind. Bei einigen Projekten ist die Realisierung aber bereits ziemlich weit fortgeschritten. So zum Beispiel bei der Sek-I-Reform. Der erste Jahrgang verlässt im Sommer bereits die Schule.
Sie haben von Ihren Vorgängern viele Projekte geerbt - und müssen jetzt die schwierige Umsetzungsphase begleiten...
Zum Teil kann ich aber auch die ersten positiven Früchte ernten. Die teilautonomen geleiteten Schulen sind sehr gut angelaufen, wie gerade auch Umfragen des Volksschullehrerverbands zeigen. Meine Aufgabe sehe ich vor allem darin, die aufgegleisten Reformen sorgfältig umzusetzen und keine neuen Baustellen aufzureissen. Ich verstehe mich nicht als Reformer, die Konsolidierung steht im Vordergrund. Damit entspreche ich auch dem politischen Willen des Kantonsrats, der sich für ein Reformmoratorium im Bildungsbereich ausgesprochen hat. Diesen Auftrag kann ich im Übrigen sehr gut nachvollziehen. Die Belastungsgrenze ist erreicht. Ruhe wird in den nächsten Jahren dennoch keine einkehren. Bei den angerissenen Projekten gilt es sicher da und dort, Verbesserungen vorzunehmen.
Neben dem Reformmoratorium zwingt Sie der Sparauftrag in ein enges Korsett...
Dieser Sparauftrag ist tatsächlich eine Herausforderung. Der Bildungsbereich ist davon stark betroffen. Meine Aufgabe sehe ich darin, diesen Sparauftrag so umsetzen, dass wir keine bleibenden Schäden verursachen. Der Abbau von Lektionen zum Beispiel, den die Regierung beschlossen hat, lässt sich in finanziell besseren Zeiten wieder rückgängig machen. Wichtig scheint mir, dass keine Strukturen für immer zerstört werden.
Solothurn gibt im Vergleich zu anderen Kantonen schon jetzt eher wenig Geld aus für die Bildung. Ist es nicht irgendwann zu wenig?
Ich halte die beschlossenen Lektionenkürzungen für eine vertretbare Sparmassnahme. Es kann aber gut sein, dass wir bei der Einführung des Lehrplans 21 wieder etwas aufstocken müssen. Es ist aber nicht jeder Franken, der in die Bildung fliesst, wirklich entscheidend für die Bildungsqualität. Obwohl wir weniger Geld ausgeben, schneidenSolothurner Schülerinnen und Schüler im Quervergleich nicht schlechter ab als Schüler aus anderen Kantonen.
Bleiben wir beim Sparen: Wird es weiterhin möglich sein, an der PH in Solothurn ein Sek-I-Studium zu absolvieren?
Der Leistungsauftrag für die Pädagogische Hochschule macht klare Vorgaben zu Studierendenzahlen im zweijährigen Masterstudiengang für Sek-I-Lehrpersonen. Und diese Zahlen sind am Standort der PH in Solothurn nicht erreicht worden. Der neue Leistungsauftrag, der im Juni im Regierungsrat behandelt wird, zieht daraus die Schlussfolgerungen. Mehr kann ich dazuz jetzt nicht sagen.
Der Lehrplan 21 wird in vielen Kantonen, auch in Solothurn, kritisiert. Geben Sie dem Projekt noch eine Chance?
Eine Harmonisierung des Bildungswesens ist seinerzeit politisch ausdrücklich gewünscht worden. Mittlerweile ist Harmonisierung ein Reizwort geworden. Es wäre auch unrealistisch anzunehmen, dass ein solches Mammutprojekt diskussionslos durchgewunken wird. Ich glaube aber, dass es immer noch einen breiten Konsens dafür besteht, Mobilitätsschranken abzubauen. Wichtig ist jetzt, dass wir einen Konsens darüber finden, wie weit die Harmonisierung gehen soll.
Wie weit soll die Harmonisierung Ihrer Meinung nach gehen?
Um gerade auch die Skeptiker eines harmonisierten Lehrplans zu überzeugen, ist ein pragmatisches Vorgehen gefragt. Ein solch pragmatischer Schritt ist zum Beispiel, dass der erste Entwurf jetzt überarbeitet wird. Zudem heisst Harmonisierung für mich nicht Gleichschaltung. Die Kantone brauchen einen gewissen Spielraum in der Gestaltung des Unterrichts.
...zum Beispiel, was die Abfolge und die Zahl Fremdsprachen betrifft?
Entscheidend ist für mich, dass die Schüler am Ende der Volksschule über die gleichen Kompetenzen verfügen. Nicht akzeptabel wäre es allerdings, wenn jeder Kanton hier plötzlich sein eigenes Süppchen kocht und sowohl über die Abfolge als auch die Zahl der Fremdsprachen in der Volksschule eigene Regeln aufstellt. Wir müssen alles unternehmen, damit es nicht so weit kommt.
Ist die Einführung des Lehrplans 21 im Kanton Solothurn auf das Schuljahr 2017/2018 realistisch?
Das Einführungsjahr ist für mich nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr, dass wir für die Einführung gut gerüstet sind. Wir versuchen die Skeptiker davon zu überzeugen, dass der harmonisierte Lehrplan keine umstürzende Neuerung darstellt. Schon heute zum Beispiel erfolgt der Unterricht in der Mathematik nach den Regeln der Kompetenzorientierung. Ähnliches gilt für das Fach Deutsch. Zudem möchten wir den Lehrpersonen die Angst vor dem Lehrplan nehmen, indem wir ihnen rechtzeitig die nötigen Unterlagen und Hilfsmittel zur Verfügung stellen werden.
Zur integrativen Schule: Durch die Hintertür werden wieder separative Formen wie Klassen für besondere Förderung eingeführt. Ist die Integration ein zu ehrgeiziges Projekt?
Gerade auch in der Bildung ist es wichtig, dass man dazu lernt. Die Integration entspricht einem bereiten gesellschaftlichen Konsens und ist auf Bundesebene gesetzgeberisch vorgespurt worden. Auch bei diesem Projekt aber scheint es mir nur realistisch, dass man in der Umsetzung den Weg erst suchen muss. Wichtig ist dabei für mich, dass wir in dieser Phase den Praktikern zuhören und bereit sind, Anpassungen vorzunehmen. Wenn die Gemeinden jetzt die Möglichkeit haben, verschiedene Formen auszuprobieren, dann erachte ich das als zielführend. Ich selbst verschaffe mir ein realistisches Bild über den Schulalltag, indem ich einmal pro Monat einen Schulbesuch mache.
Ist vor allem auf der Stufe Sek I der integrative Unterricht nicht eine allzu grosse Herausforderung?
Die Leistungsunterschiede werden auf der Oberstufe tatsächlich besonders deutlich. Im Rahmen des erneuten Schulversuchs haben die Schulen deshalb auch die Möglichkeit, weiterhin Kleinklassen zu führen. In diesen Kleinklassen werden die Schülerinnen und Schüler dann speziell unterstützt. Der Fokus muss aber immer darauf liegen, dass die betreffenden Schüler wieder in die Regelklasse integriert werden.
Macht es Sinn, dass lernschwache Schülerinnen und Schüler in der Primarschule und auf der Stufe Sek I zwei Fremdsprachen lernen?
Ich habe die Erfahrungen der Lehrpersonen zu diesem Thema noch nicht systematisch erhoben. Und ich habe bis jetzt auch keine Rückmeldungen, dass grössere Probleme bestehen würden. Sollte Anpassungsbedarf vorhanden sein, dann werden wir zum gegebenen Zeitpunkt reagieren. Auch in diesem Bereich müssen wir pragmatisch vorgehen.
Zum Frühfremdsprachenprojekt in der Primarschule: Kritiker behaupten, dass zwei Fremdsprachen zu viel sind. Was sagen Sie?
Bei meinen Schulbesuchen beeindruckt mich, wie die Kinder mit den beiden Fremdsprachen umgehen. Gerade im Englischunterricht sind die Schüler topmotiviert. Und in beiden Fremdsprachen führt die neue spielerische Unterrichtsmethodik zu erstaunlichen Ergebnissen. Es gibt natürlich immer Kinder, die Probleme haben. Aber das ist auch in anderen Fächern der Fall. Für eine abschliessende Beurteilung des Frühfremdsprachenprojekts ist es aber noch zu früh.
Sie haben es bereits erwähnt: Der erste Jahrgang der neu strukturierten Oberstufe verlässt diesen Sommer die Schule. Können Sie eine erste Bilanz ziehen?
Wir sind jetzt daran, uns einen Überblick zu verschaffen, was gut läuft und wo eventuell noch Verbesserungsbedarf besteht. Auch die Anzahl der Sek-P-Standorte müssen wir überprüfen. Was ich jetzt bereits sagen kann: das neue Übertrittsverfahren in die Sek I stösst auf allgemeine Akzeptanz. Die Beschwerden gegen Übertrittsentscheide sind zurückgegangen. Eine grosse Errungenschaft ist das Fach Berufsorientierung in der Sek B und Sek E. Möglicherweise ist dies auch eine Erklärung dafür, dass die Zahl der Lehrvertragsabschlüsse dieses Jahr höher ist als im letzten Jahr. Wir haben entsprechend positive Signale aus der Wirtschaft.


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