18. Juli 2014

"Lehrplan 21 inkompatibel mit Selektion"

Der Berner SP-Grossrat und Schulleiter Roland Näf beurteilt das vom Lehrplan 21 skizzierte moderne Bildungssystem und die Selektion als "absolut unkompatibel". Weiter meint Näf: "Wären die Lehrerinnen und Lehrer konsequent, würden sie die Selektion schlicht verweigern".





Es herrscht weiterhin Unklarheit über die Art von Selektion. Bild: Uli Olschewski

"Man kann schon heute förderorientiert selektionieren", Bund, 17.7. von Samual Thomi


Statt nur Grammatik und Wörtli zu büffeln, sollen Berner Schüler die französische Sprache in all ihren Facet­ten erlernen. Um dies zu prüfen, können Lehrkräfte jedoch nicht mehr nur Noten verteilen, sondern müssen auch individuelle Lernfortschritte der Kinder beurteilen. An der Oberstufe Bremgarten führt dies zu Verunsicherung. Aktuell geht das so weit, dass die Lehrkräfte den ­Eltern einen Brief geschrieben haben, um darzulegen, dass der neue, kompe­tenz­­orien­­tier­te Französischunterricht schlecht vereinbar sei mit der in einem Jahr anstehenden Selektion für den Übertritt in die Sekundarschule.
Näf rät: «Selektion verweigern»
«Wären die Lehrerinnen und Lehrer kon­sequent, würden sie die Selektion schlicht verweigern», kommentiert Roland Näf, SP-Grossrat aus Gümligen und Co-Schulleiter. Denn das vom Lehrplan 21 skizzierte moderne Bildungssystem und die Selektion seien «absolut unkompatibel». Erst recht bei den aktuell schwierigen Betreuungsverhältnissen an den Schulen: «Will man die individuellen Lernfortschritte der Schülerinnen und Schüler seriös testen, bringt das einen viel grösseren Aufwand mit sich.» Mit dem neuen Lehrplan Passepartout und dem dazugehörigen neuen Lehrmittel «Mille Feuilles» fehlten zudem die Grundlagen, um überhaupt kompetenzorientiert zu prüfen. So prüften die Lehrkräfte eben wie bisher Wörtli und Grammatik, was völlig sinnlos sei. Darum fordert Bildungspolitiker Näf: «Will die Gesellschaft an der Selektion festhalten, soll sie diese auch selber vornehmen und nicht an die Lehrkräfte delegieren.»
Nicht ganz so dramatisch sieht die Situa­tion Corinne Schmidhauser. Auch wenn die Vize­präsi­dentin der Bildungskommission (BIK) und FDP-­Grossrätin das Problem «keinesfalls herunterspielen» will: «Die BIK wird sicher ein Auge darauf haben und demnächst bei einem Treffen mit der Erziehungsdirektion Fragen stellen, ob der Kanton genügend auf die neue Situation vorbereitet ist.» Ansonsten bleibe fast nur abzuwarten, wie die ersten Übertritte nach neuem Lehrplan und Lehrmittel in einem Jahr verlaufen werden.
Schmidhauser: «Etwas irritierend»
Dann wird Bildungspolitikerin Schmidhauser grundsätzlicher: «Etwas irritierend ist es schon, wenn man findet, die förderorientierte Selektion falle einfach so vom Himmel.» Am Ende der Schulzeit würden die Schülerinnen und Schüler ohnehin verglichen respektive erwarte die Wirtschaft ein gewisses Nive­au. Komme hinzu, dass Übertritts­entscheide bereits heute nicht nur aufgrund von ­Noten gefällt würden; vielmehr dürfen bei unterschiedlicher Einschätzung Lehr­kräfte wie Eltern ihre Meinung zu Sek-­Kandidaten abgeben und werden beim Gymer-­Übertritt die vier Fäch­er mit gleich vielen Betragensnoten ergänzt. «So kann man schon heute stark förderorientiert selektionieren.»
Ins selbe Horn bläst Grossrat Daniel Steiner-Brütsch (EVP, Langenthal): «Ich verstehe den Brief in Bremgarten auch als Appell an den Kanton, den Lehrkräften mehr und geeignete Instrumente zur Verfügung zu stellen, um diesen schwierigen und umfangreichen Selektionsentscheid seriös treffen zu können.» Dabei dürfe nicht vergessen werden, dass die Schule seit je den Spagat machen müsse, Kinder individuell zu fördern und dem gesellschaftlichen Anspruch nach Selektion nachzukommen: «Diesem Dilemma zwischen Fördern und Auslesen müssen sich die Lehrpersonen jedoch stellen.»
Auch national ein Thema
Die Frage nach dem Beurteilungssystem stellt sich übrigens nicht nur im Kanton Bern, sondern ist mit dem Lehrplan 21, der in dieselbe Richtung zielt wie der aktu­elle Berner Fremdsprachenlehrplan Passepartout, auch national ein Thema. Der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) forderte beispielsweise im April eine Arbeitsgruppe, die Kriterien definiert, wie in den Kantonen Kompetenzen einheitlich beurteilt und in den Zeugnissen ausgewiesen werden sollen. LCH-Präsident Beat W. Zemp: «Bis der Lehrplan 21 kommt, müssen diese Fragen auf jeden Fall geklärt sein.»


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