14. August 2014

Das Zeter und Mordio hat begonnen

Wie nicht anders zu erwarten hat nach dem Sprachenentscheid des Kantons Thurgau nun das Zeter und Mordio-Schreien der Politker eingesetzt. Zur Erinnerung: Thurgau hat Harmos abgelehnt. Das heisst, dass der Kanton nein gesagt hat zum Sprachenkonzept mit zwei Fremdsprachen an der Primarschule. Der Kanton ist also nicht an dieses interkantonale Konkordat gebunden. Trotzdem hyperventilieren die Politiker: Die jurassische Bildungsdirektorin Elisabeth Baume-Schneider ist entrüstet. Der Thurgauer Entscheid sei "schädlich". Der Berner Erziehungsdirektor Bernhard Pulver erinnert mahnend an Belgien. Auch EDK-Chef Christoph Eymann bedauert den Entscheid: Die Abschaffung des Frühfranzösisch gefährde den Zusammenhalt des Landes. 
Nochmals: Niemand bestreitet ernsthaft, dass frühes schulisches Sprachenlernen ein Flop ist. Entscheidend ist nicht, wann man beginnt, sondern was man am Ende der Schulzeit kann. 
Und den kurzsichtigen Verantwortungsträgern in Sachen Bildung sei gesagt, dass unsere Jugend dem Staat kein Sprachenlernen aus Staatsschutzgründen schuldig ist. Der Staat hat im Gegenteil dafür zu sorgen, dass die Kinder, ihre Eltern und Lehrkräfte mit Frühfremdsprachen nicht länger für dumm verkauft werden. (uk)


Elisabeth Baume-Schneider befürchtet einen Domino-Effekt in der Deutschschweiz, Bild: Elisabeth Baume-Schneider

Zankapfel Frühfranzösisch - Kanton Thurgau prescht vor, Rendez-vous SRF, 14.8. von Gaudenz Wacker


Thurgauer Kinder sollen bis zur sechsten Klasse nur Englisch als Fremdsprache lernen, erst danach Französisch. Denn viele Primarschülerinnen und -schüler seien mit zwei Fremdsprachen überfordert und interessierten sich ohnehin noch für anderes als für Französisch-Vokabeln, hiess es gestern im Thurgauer Grossen Rat. «Sie haben auch Freude an Fragestellungen wie: Warum erlöscht eine Kerze in einem umgestülpten Glas? Warum ist der Himmel blau?», argumentierte etwa Kantonsrätin Katharina Winiger von den Grünen.
Statt Französisch sollten Primarschulkinder lieber zuerst einmal die eigene Sprache richtig lernen, erklärt die heutige Nationalrätin Verena Herzog von der SVP, die den Vorstoss damals noch als Thurgauer Kantonsrätin lanciert hat. «Es ist Fakt, dass Schulen und Lehrbetriebe seit der Einführung des Frühfranzösisch mangelnde Deutsch- und Mathematikkenntnisse beklagen.»
Formularende
Das sei daher kein Votum gegen Französisch, sondern für andere Fächer. Ganz anders wird der Thurgauer Entscheid in der Westschweiz verstanden. Die Bildungsdirektorin des Kantons Jura, Elisabeth Baume-Schneider, zeigt sich entrüstet. Der Thurgauer Entscheid gegen Frühfranzösisch sei schädlich. In der Westschweiz werde er so verstanden, als fänden es die Deutschschweizer nicht so wichtig, mit ihren Nachbarn, den Romands, zu reden.
Ganz ähnlich klingt es beim Erziehungsdirektor des grössten zweisprachigen Kantons, beim Berner Regierungsrat Bernhard Pulver: Die Schweiz zeichne aus, dass Romands und Deutschschweizerinnen nicht Englisch miteinander sprächen. «In Belgien ist das anders, da verstehen sich die Sprachgruppen nicht. In der Schweiz ist das gerade einer der grossen Trümpfe. Nun entwickelt sich das in eine andere Richtung.»
Bedauern äussert auch der Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz Christoph Eymann. Zwar respektiere er die Autonomie jedes Kantons. Aber die Abschaffung des Frühfranzösisch gefährde den Zusammenhalt des Landes. «Es geht auch um den Einblick in die Kultur eines wichtigen Teils unseres Landes. Da geht sehr viel kaputt, wenn unbedacht und ohne wissenschaftliche Erkenntnisse solche Entscheide gefasst werden.»
Die Initiantin des Thurgauer Vorstosses, SVP-Nationalrätin Verena Herzog, mag das Argument vom Zusammenhalt des Landes nicht mehr hören. Sie kontert mit einer rhetorischen Frage: «Haben Sie das Gefühl, dass der Röstigraben durch das Frühfranzösisch nur einen Millimeter kleiner wurde?»
In der Westschweiz hingegen befürchtet Bildungsdirektorin Elisabeth Baume-Schneider bereits einen Dominoeffekt. Andere Kantone könnten nun nachziehen. Tatsächlich wurden und werden in der Zentral- und Ostschweiz bereits Unterschriften gesammelt – mit demselben Ziel: der Abschaffung des Frühfranzösisch. Das Thema hat für die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) hohe Priorität. Sie wird es im Oktober an einer zweitägigen Sitzung behandeln.

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