20. Oktober 2014

Der Spagat des LCH

Der Deutschschweizer Lehrer-Dach­verband LCH möchte es in der Frage der Fremdsprachen allen recht machen. Als Kompromisslösung in der Kontroverse um die Fremdsprachen­politik schlägt er vor, Französisch ab der 3. Primar und Englisch als Wahlfach ab der 5. Primar zu unterrichten. Was ist von dieser Idee zu halten?


Primarwahlfächer und ehrgeizige Eltern, Bild: Mamablog Tages Anzeiger

Frühlernen als Vorteil, Basler Zeitung, 20.10. von Urs Kalberer


Die Sprachenstrategie der Schweizerischen Konferenz der ­kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) aus dem Jahr 2004 sieht vor, dass bereits an der Primarschule zwei Fremdsprachen gelehrt werden. Die beiden Primarfremdsprachen sind auch Bestandteil von Harmos und des Lehrplans 21. In der Zwischenzeit ­werden von verschiedenen Seiten ernsthafte Zweifel am Sinn des frühen Fremdsprachen­unterrichts geäussert. Aus wissenschaftlicher Sicht konnten die Vorteile des frühen Sprachen­lernens nie nachgewiesen werden. Nun zweifeln auch immer mehr Lehrkräfte und Eltern aufgrund der gemachten Erfahrungen am Sinn dieses Experiments.
Mit seinem Wahlfach-Vorschlag übt der LCH den Spagat zwischen ­seiner Basis und den Erziehungs­direktoren und versucht angesichts der wachsenden Kritik zu retten, was noch zu retten ist. Dabei vergisst die Lehrerorganisation auch ihre eigenen «Gelingensbedingungen» zum ­Fremdsprachenunterricht, die sie zur Beruhigung der Mitglieder jeweils ­hervorzaubert. Das Wahlfach-Modell für Englisch in der Primarschule ­überrascht aber in erster Linie wegen seines unausgereiften Konzepts, das neben vielen Risiken auch Kosten nach sich ziehen würde.
Mit der LCH-Forderung werden ­erstens die Weichen für die spätere Schulkarriere an der Sekundarstufe viel zu früh gestellt. Die Teilnahme am Wahlfach Englisch wird verständlicherweise als Grundlage für den späteren Selektionsprozess interpretiert. Der Druck, am Wahlfach teilzunehmen, wird besonders für weniger Sprach­begabte zu einer Last werden. Zweitens entscheiden ja nicht die ­Lehrkräfte über den Besuch des ­Wahlpflichtfaches, sondern die Kinder und besonders deren Eltern. Falscher Ehrgeiz der Eltern wird dazu führen, dass genau das eintritt, was man ­vermeiden wollte: überforderte Kinder. Doch da es sich um ein Wahlfach ­handelt, dürfen auch schwache Schülerinnen und Schüler nicht ausgeschlossen werden. Die Folge davon wird ein Unterricht sein, der sich aufgrund der grossen Heterogenität gar nicht so stark vom jetzigen unterscheidet.
Ein Wahlfach Englisch würde ­ausserdem an der Sekundarschule zu einer problematischen Zerstückelung des Klassengefüges führen. Es müssten nämlich sowohl die Klassen mit ­Grundanforderungen als auch jene mit erweiterten Anforderungen in ­separierte Gruppen (mit und ohne ­Primarenglisch) unterteilt werden. An kleineren und mittleren Schulen wäre diese Unterteilung nicht nur kaum durchführbar, sie führte auch zu unverhältnismässigen Mehrkosten.
Ungeachtet der wissenschaftlichen Evidenz, die dem frühen schulischen Fremdsprachenlernen wenig ­Erfolgschancen zuspricht, löst der Wahlfach-Vorschlag keine Probleme. Er schafft im Gegenteil viele neue. Letztlich handelt es sich dabei um ein teures Rückzugsgefecht einer aus den Fugen geratenen Sprachen­förderung.

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