11. März 2015

Ärzte hinterfragen den Lehrplan

Kinderärzte haben Vorbehalten und offene Fragen zum Lehrplan 21. Das Ostschweizer Kinderspital und der Verein Ostschweizer Kinderärzte laden deshalb zu Vorträgen ein. Damit wollen sie eine Diskussion auslösen.




Die Schule kann Kinder krank machen, Bild: fotolia

Ärzte hinterfragen den Lehrplan, Thurgauer Zeitung, 11.3. von Fritz Bichsel


Schulprobleme machen krank. «Kinder, die den Anforderungen der Schule nicht genügen, erscheinen über kurz oder lang in der Kinderarztpraxis oder im Kinderspital»: Das schreiben Roger Lauener, Chefarzt des Ostschweizer Kinderspitals, und Andreas Würmli, Präsident des Vereins Ostschweizer Kinderärzte, zur Vortragsreihe «Schule und Pädiatrie». Diese öffentlichen, auch für Eltern gedachten Referate beginnen heute abend in St. Gallen. Den Lehrplan, den 21 Kantone einführen wollen – darunter die Ostschweizer Kantone –, erläutern und bewerten Fachleute für Pädagogik (Bildungs- und Erziehungswissenschaft), Psychologie und Pädiatrie (Kinderheilkunde).
Psychosomatische Störungen
Mit Auswirkungen von Lehr- und Lernmethoden müssen sich Kinderärzte befassen, wenn diese für Schüler nicht passen, Kinder deshalb an psychosomatischen Störungen leiden. «Diese nehmen zu», berichtet Vereinspräsident Andreas Würmli. Es gelte zu verhindern, dass das noch verstärkt werde durch den neuen Lehrplan.
Dieser enthalte viele für den Verein der Kinderärzte noch unklare Aussagen und lasse zweifeln, «ob da immer das Wohl des Kindes im Zentrum stand». Offene Fragen gebe es zum Beispiel zu den vieldiskutierten Zielen im Bereich Wissen und Kompetenzen. Vorbehalte hätten Kinderärzte beim angestrebten selbständigeren Lernen. «Die Erfahrung als Kinderarzt und Vater zeigt mir, dass das mindestens im Primarschulalter mehr Unterstützung durch Eltern erfordert», sagt Würmli. Da sei zu klären, wie jene Schüler die Ziele erreichen, deren Eltern wenig helfen können. Am Lehrplan 21 konnten Vereinigungen der Kinderärzte nicht mitwirken. Der Präsident des Ostschweizer Vereins hofft nun, «dass bei der Umsetzung das Informationsmanko in unseren Reihen und in der Bevölkerung behoben wird».
Lehrkräfte nicht überfordern
Gelegenheit zur Stellungnahme hatte der Verein beim «Konzept erste Schuljahre» im Kanton St. Gallen. Mit diesem soll die Einschulung möglichst ohne Separierung von Kindern in Kleinklassen erfolgen. «Integrativ und individueller unterrichten ist ein gutes Ziel», sagt Andreas Würmli. Eine Arbeitsgruppe des Vereins habe jedoch festgestellt, dass auch hier Fragen ungeklärt seien. «Zum Beispiel jene, wie Lehrkräfte – von denen etliche bereits jetzt am Anschlag sind – den damit entstehenden Mehraufwand bewältigen können.»
Der Vereinspräsident verweist darauf, dass Kinderärzte vielfältig am Schulgeschehen beteiligt sind: Sie wirken bereits bei Früherfassung und Frühförderung mit. Sie entscheiden mit über Sonderschule oder integrierte Beschulung von Kindern mit Behinderung, über Rückstellung oder frühere Einschulung. Und in ihrer Praxis sind gesundheitliche Störungen wegen Schulschwierigkeiten häufig. Beim Beizug von Kinderärzten durch Eltern, Schule oder Schulpsychologischen Dienst gebe es Hemmschwellen, sagt Würmli. Diese könnten durch klarere Regelungen abgebaut werden.
«Klarere Aussagen nötig»
All diese Fragen stellten sich auch zum neuen Lehrplan. Der Verein bedauere, dass sie dort nicht oder ungenügend geklärt seien. Nun brauche es mindestens bei der Umsetzung in den Kantonen «klarere Aussagen».


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