7. März 2015

Unzufriedene Bündner Englischlehrer

Die Mehrheit der Bündner Oberstufenlehrer würde lieber mit einem anderen Lehrmittel Englisch unterrichten. Die Regierung beharrt jedoch auf "New World", das auch in anderen Kantonen auf Kritik stösst.
Oberstufenlehrer sind nicht happy mit Englischlehrmittel, Südostschweiz, 7.3. von Stefan Bisculm


Über zwei Drittel von insgesamt 79 befragten Bündner Oberstufenlehrern zeigten sich in einer Umfrage «unzufrieden» bis «sehr unzufrieden» mit dem neuen Englischlehrmittel «New World» des Verlags Klett und Balmer. Über die Hälfte der Lehrpersonen würde lieber mit einem anderen Lehrmittel unterrichten und möchte, dass sich die Bündner Lehrergewerkschaft Legr für eine Auflockerung des Lehrmittelobligatoriums einsetzt. Mit dieser Forderung beisst der Legr bei der Bündner Regierung aber auf Granit (siehe Interview unten). Alternativ-Obligatorien wie sie etwa im Kanton Zürich zugelassen sind, würden zu Unsicherheiten unter anderem beim Übertritt in die Kantonsschule führen, teilte die Regierung dem Legr in einem Antwortschreiben mit.

Probeversion für Bündner Schüler
«Unsere Oberstufenlehrer sind sehr motiviert, Englisch zu unterrichten, doch sie haben ein unfertiges Lehrmittel und damit das falsche Werkzeug erhalten», findet Andreas Spinas, Präsident der Legr-Kommission Sek I, der die Umfrage bei den Lehrern durchführte. Von einem unfertigen Lehrmittel spricht Spinas deshalb, weil in Graubünden der erste Jahrgang, der mit dem Lehrmittel «New World» unterrichtet wurde, während der ganzen Schulzeit mit einer Probeversion des Lehrmittels wird arbeiten müssen. Denn als Graubünden den Englischunterricht auf der Primarstufe im Schuljahr 2012/13 gestartet hatte, lag erst eine Probeversion von «New World» vor. Die Endversion für das erste Schuljahr war erst ein Jahr später fertig. Der Bündner Pionier-Jahrgang ist aktuell in der 1. Oberstufe, die von den Sekundarlehrern in der Umfrage geäusserte Kritik bezieht sich deshalb auf die Probeversion von «New World».
Doch auch die fertige Version von «New World» kommt bei vielen Lehrern nicht gut an. Im Kanton Baselland haben sieben Landräte aufgrund von Kritik am Lehrmittel einen Vorstoss im Kantonsparlament eingereicht und verlangen Lehrmittelfreiheit an der Sekundarschule. Philipp Loretz ist Geschäftsleitungsmitglied des Baselbieter Lehrerverbands und zog letzte Woche in der «Basler Zeitung» folgendes Fazit: «Das Lehrmittel überfordert die Primarschüler systematisch und kann nur gebraucht werden, wenn der praxisorientierte Lehrer die Defizite von ‘New World’ permanent ausgleicht.»
Ähnliche Töne sind auch aus Graubünden zu hören. Urs Kalberer, Sprachdidaktiker und Sekundarlehrer aus Landquart, hat alle sechs Englisch-Lehrmittel, die in Schweizer Schulstuben gelehrt werden, miteinander verglichen. Sein Fazit: «‘New World’ ist das Lehrmittel mit der geringsten Substanz. Es verfügt über die kleinste Wörterliste und die kleinste Anzahl an Übungen für Schreiben, Lesen und Sprechen.» Kalberer bezeichnet das Lehrmittel ausserdem als ideologisch. «Die Schüler sollen möglichst viel selber erproben und sind dabei ständig überfordert.»

Unzufriedenheit zieht sich durch
Keine guten Noten erhält das Lehrmittel «New World» auch in einem aktuellen Evaluationsbericht, den Malgorzata Barras vom Institut für Mehrsprachigkeit in Freiburg verfasst hat. Ihre Beobachtungen führte sie in drei sogenannten Passepartout-Kantonen durch. In diesen Kantonen wird wie in Graubünden als erste Frühfremdsprache ab der dritten Klasse eine Landessprache unterrichtet, Englisch folgt in der fünften Klasse. Gemäss Evaluationsbericht war nach der Einführung von «New World» nur noch «ein Drittel der Lehrpersonen allgemein mit dem neuen Englischunterricht zufrieden». Das ist ein frappanter Rückgang zu den Vorjahren. Die Mehrheit der Lehrer ist zudem der Ansicht, mit dem neuen Lehrmittel könne nicht mehr ausreichend auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Schüler eingegangen werden.

In der Bündner Primarschule wird schon das dritte Jahr mit dem Lehrmittel «New World» unterrichtet. Das Urteil über das neue Lehrmittel fällt auf dieser Stufe generell positiver aus. Ein Primarlehrer erklärt die unterschiedliche Wahrnehmung unter anderem damit, dass «New World» sprachdidaktisch immer noch einiges besser sei als das Italienischlehrmittel «Grande amici», das ebenfalls an Bündner Primarschulen zum Einsatz kommt.

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