21. Februar 2016

Beurteilung von Charaktereigenschaften

In den Deutschschweizer Schulen können künftig Charaktereigenschaften und persönliche Einstellungen derSchülerinnen und Schüler gemäss Lehrplan 21 auf einem Formular beurteiltwerden. Das zeigt der Entwurf der angepassten Beurteilungsberichte mit Zusatzformular für die Sekundarschulen im Kanton Bern, welchen die bernische Erziehungsdirektion zurzeit mit den Lehrkräften diskutiert. Beurteilt werden sollen gemäss dem Entwurf, welcher der BaZ vorliegt, etwa auch die Gefühlsregungen der Schülerinnen und Schüler oder deren Ansichten über fremde Religionen und Lebensformen.















Bern will Schülerbeurteilungen an den Lehrplan 21 anpassen, Bild: Keystone
Zensuren für Charaktereigenschaften, Basler Zeitung, 20.2. von Thomas Dähler


Mit der bevorstehenden Einführung des Lehrplans 21 plant die Erziehungsdirektion des Kantons Bern nach eigenen Angaben nur eine Anpassung des Beurteilungssystems. Es sei dies «kein neues Beurteilungssystem», erklärte Kommunikationsleiter Martin Werder der BaZ gestern. «Wir sind daran, zu schauen, wo allenfalls leichte Anpassungen sinnvoll sind.» Diese sind gemäss dem Entwurf jedoch weitreichend und füllen mehrere Seiten. Sie basieren auf dem umfangreichen Katalog von «überfachlichen Kompetenzen», den der neue Lehrplan 21 der Deutschschweizer Kantone enthält.
Skala von eins bis zehn
Die überfachlichen Kompetenzen seien zentral, heisst es in den Erläuterungen zum Formular für die Beurteilungen. Bewertet werden sollen diese auf einer Skala von eins bis zehn. Bis heute war lediglich in den Elterngesprächen die Sozialkompetenz ein Thema. Das soll anders werden. Die im Lehrplan 21 enthaltenen neuen überfachlichen Kompetenzen, welche die Schülerinnen und Schüler erreichen müssen, sind hoch umstritten. «Nie und nimmer werde ich diesen Mist beurteilen», schreibt ein Lehrer der BaZ.
So fallen in die neue Beurteilung des «Umgangs mit Vielfalt» die Anforderungen, die im Lehrplan 21 unter dem Titel «Vielfalt als Bereicherung erfahren» aufgelistet sind. Dort heisst es etwa: «Die Schülerinnen und Schüler können respektvoll mit Menschen umgehen, die unterschiedliche Lernvoraussetzungen mitbringen oder sich in Geschlecht, Hautfarbe, Sprache, sozialer Herkunft, Religion oder Lebensform unterscheiden.» Wie Schülerinnen oder Schüler genau bewertet werden, wenn sie die Zugehörigkeit eines Schülers zu einer Sekte kritisieren oder die Verschleierung einer muslimischen Mitschülerin missbilligen, geht aus der Anleitung nicht hervor.
Unklar sind die Angaben auch zu anderen Bereichen. So geht aus der Anleitung auch nicht hervor, was genau unter dem Begriff «Selbstreflexion» beurteilt werden muss. Geht es etwa darum, mit dem Zeugnis Gefühlsausbrüche oder Depressionen zu bekämpfen? Im Lehrplan 21 lauten die diesbezüglichen Anforderungen: «Die Schülerinnen und Schüler können eigene Gefühle wahrnehmen und situationsangemessen ausdrücken.» Oder: «Die Schülerinnen und Schüler können Fehler analysieren und über alternative Lösungen nachdenken.»
Mit fachlichem Lernen verknüpft
Zu den weiteren Qualifikationen gehören auch die Selbstständigkeit, die Kooperationsfähigkeit oder eine Charaktereigenschaft wie die Konfliktfähigkeit eines Schülers. Dabei sollen Anforderungen beurteilt werden wie «die Schülerinnen können sachlich und zielorientiert kommunizieren und Gesprächsregeln anwenden und Konflikte direkt ansprechen» oder «die Schülerinnen und Schüler können Kritik angemessen, klar und anständig mitteilen und mit konstruktiven Vorschlägen verbinden». Wer glaubt, die Neigung zu Empörung und Protest führe bei der Konfliktfähigkeit zu einer Beurteilung irgendwo zwischen 1 und 3, liegt vermutlich nicht ganz falsch.

Die Zeugnisse enthalten auch Qualifikationen etwa für Pünktlichkeit, Ordnungssinn oder Höflichkeit – alles Erziehungsaufgaben, die eng mit dem Elternhaus verbunden sind. Gemeinsam ist allen überfachlichen Kompetenzen, dass sie ein «verbindlicher Auftrag» sind, und dass sie in allen Fachbereichen aufgebaut und gefördert werden müssen. Sie würden mit dem fachlichen Lernen verknüpft. Die Frage, welches Gremium über die Neuerungen entscheidet, beantwortete die bernische Erziehungsdirektion gestern nicht.

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