2. März 2016

Was will uns der Lehrplan 21 sagen?

Elisabeth Calcagnini stellt die Broschüre von Bruno Nüsperli ("Was will uns der Lehrplan 21 sagen?") vor.



















Karikatur von B. Peyer
Was will uns der Lehrplan 21 sagen? Blog Südostschweiz, 2.3. von Elisabeth Calcagnini

Zugegeben, vordergründig mache ich es mir diesmal ein wenig einfach: Ich schaue über die Kantonsgrenze und schreibe (wohlgemerkt mit dem Einverständnis des Autors) ab. Doch meine Absicht ist, dass die Leserinnen und Leser meines Blogs sich wenigstens einmal einen Bruchteil der über 2300 Kompetenzstufen des Lehrplans 21 im Originalton zu Gemüte führen.
Bruno Nüsperli, Gegner der ersten Stunde im Kanton Aargau, hat sich in dankenswerter Weise durch das umfangreiche Elaborat gearbeitet, eine repräsentative Auswahl getroffen und mit spitzer Feder und Sachverstand kommentiert. Hand aufs Herz, wer von Ihnen hat sich diese Mühe gemacht? Wer hat sich die Zeit genommen, den umstrittenen Wälzer sorgfältig zu studieren? Nüsperli präsentiert uns mit seiner kürzlich erschienenen Broschüre «Was will uns der Lehrplan 21 sagen?» eine handliche Lesehilfe, die vielen zu einem eigenen Urteil verhelfen wird.
Ich beginne gleich vorne mit dem Fachbereich Deutsch, der aufgeteilt ist in die Kompetenzbereiche Hören, Lesen, Sprechen, Schreiben, Sprache im Fokus und Literatur im Fokus. Nüsperli hat aus 473 den Deutschunterricht betreffenden Kompetenzstufen bereits eine zehn bis 20 Beispiele umfassende Auswahl getroffen. Ich entscheide mich davon für jeweils zwei. Die vorangestellte Zahl bezieht sich auf den entsprechenden Zyklus (1: Kindergarten bis zweite Klasse, 2: dritte bis sechste Klasse, 3: siebte bis neunte Klasse).

Hören
«1 Schülerinnen und Schüler können unverbindliche Laute und Lautverbindungen heraushören, im Wort verorten (Anlaut, Mittellaute, Endlaut) und mit Erfahrungen aus der Erstsprache vergleichen. 2 ... können sich unter Anleitung darüber austauschen, welche Wirkung ein Gesprächsbeitrag auf sie hat.

Lesen
1 Schülerinnen und Schüler können Piktogramme und einfache Wortbilder aus ihrem Alltagsleben wieder erkennen (z.B. Migros, Coop, Volg, Coca Cola). 2 ... können eine inhaltliche und grammatikalische Leseerwartung aufbauen.
Sprechen
1 Schülerinnen und Schüler können eine angenehme und wertschätzende Gesprächsatmosphäre als Bereicherung erfahren und dies mit eigenen Worten ausdrücken. 
3 ... können Wörter, Wendungen und Satzmuster in für sie neuen Situationen angemessen anwenden.

Schreiben
1 Schülerinnen und Schüler können beschreiben, woher sie Informationen erhalten (z.B. Printmedien, Fernsehen, Internet). 2 ...  können in einem dem Formulieren dienlichen Tempo mit verschiedenen Schreibgeräten leserlich schreiben bzw. beherrschen die dafür notwendige Feinmotorik.

Sprache im Fokus
1 Schülerinnen und Schüler können sprachliches Material nach vorgegebenen Kriterien auswählen und ordnen (z.B. Wörter nach Anlaut sortieren, Reime ordnen, Wörter zu Begriffsfeld sammeln, Grussformen sammeln.) 3 ... können die Bedeutung von Rechtschreibregeln reflektieren.

Literatur im Fokus
2 Schülerinnen und Schüler können in einem Lesetagebuch beschreiben, wie sie einen literarischen Text gelesen haben und wie er ihnen gefallen hat. 3 ... können die Innensicht und die Gedanken von Figuren in eindeutigen Situationen erkennen und imaginieren (z.B. szenische Darstellung, innerer Monolog).»

Bruno Nüsperli kommentiert: «Was erwartet ein normaler Zeitgenosse vom Deutschunterricht an der Volksschule? Vermutlich zunächst die Beherrschung einer fehlerfreien Ausdrucksfähigkeit in Wort und Schrift, wozu auch Verstehen und Verständnis für den Inhalt zählen. Natürlich kommt Weiteres hinzu, zum Beispiel Ausdrucks-weise und Rhetorik; Denkschulung und Debattierkunst; Zugang zur Literatur etc.

Das geschah schon bisher so, kantonal vielleicht unterschiedlich. Entscheidend für den Erfolg waren weder Lehrmittel noch Lehrpläne, sondern Persönlichkeit und pädagogisches Flair der Lehrkraft.

Bekanntlich wünschte das Volk vor zehn Jahren eine Harmonisierung der kantonalen Unterschiede, was die EDK zu tun versprach. Sie tat es aber nicht, sondern liess sich von aussen (OECD, UNESCO) und innen (Bildungsbürokratie) unter Druck setzen, etwas Unmögliches zu tun: unser äusserst erfolgreiches Schulsystem durch ein «kompetenzorientiertes» und unerprobtes Experiment zu ersetzen, unter gleichzeitiger Degradierung der Lehrpersonen zu gesteuerten Vollzugsbeamten der neuen Ideologie.
Glaubt irgend jemand, die oben erwähnte Zielsetzung für den elfjährigen Deutschunterricht mit einem solchen Kompetenzengeschwurbel auch nur annähernd zu erreichen? Mit diesem Gestammel aus 473 Kompetenzstufen?»


Auch ich zweifle daran, ganz abgesehen davon, dass ein solcher «Lehrplan» grundsätzlich nicht praktikabel ist.

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