8. April 2016

Glücklich mit dem "Non"

Der Kanton Thurgau will das Frühfranzösisch in der Primarschule abschaffen. Appenzell Innerrhoden hat das vor rund 15 Jahren bereits getan. Und will nicht mehr zurück. Denn die Erfahrungen seien positiv.
Glücklich mit dem Non, Thurgauer Zeitung, 8.4. von Christian Kamm


Alle kritisieren den Thurgau und seine Absicht, das Frühfranzösisch aus dem Lehrplan der Primarschule zu kippen. Wirklich alle? Nein, ein kleiner Halbkanton in der Ostschweiz hat das, was der Thurgau möchte, schon längst selber getan. Seit 2001 wird in Innerrhoder Primarschulen Frühenglisch unterrichtet – auf Kosten von Frühfranzösisch. Nicht zum Nachteil der Französischkenntnisse der Schulabgänger, ist man in Appenzell Innerrhoden nach 15 Jahren Erfahrung von diesem Weg überzeugt.

Die Stimme des Praktikers

Der Innerrhoder Ständerat Ivo Bischofberger (CVP) beispielsweise kann mit der Autorität eines Praktikers sprechen, der damals in der Pionierphase hautnah dabei gewesen ist. Bischofberger war bis 2010 zehn Jahre lang Rektor am Gymnasium Appenzell. Er sagt über die Erreichung der Lernziele auch ohne Frühfranzösisch: «Es geht, das kann ich klar bestätigen.» Aber: Analog zu den heutigen Plänen im Thurgau wurden auch in Innerrhoden die Französischpensen auf der Oberstufe entsprechend aufgestockt.

Das Gymnasium Appenzell stand laut Bischofberger vor einer speziellen Herausforderung. Die meisten Schüler wechseln nach der sechsten Klasse ins Kollegium, wie die Kanti in Innerrhoden heisst. Dort drücken jedoch nicht nur Innerrhoder die Schulbank. «Wir hatten Schüler aus Innerrhoden mit Frühenglisch, aber null Französischkenntnissen, Ausserrhoder mit Frühfranzösisch, bis 2008 aber ohne Englisch und mussten das alles auffangen», blickt Bischofberger zurück.

«Wenn man will, dann geht's»

Gelöst wurde diese heterogene und entsprechend schwierige Ausgangslage mit einer Schnittstelle nach zwei Jahren. Dann, so das Ziel der Schule, sollten alle Schüler des Kollegiums punkto Französisch und Englisch auf demselben Level die verbleibenden vier Jahre bis zur Matura in Angriff nehmen. «Das ist uns gelungen», bilanziert Bischofberger. «Wenn man wirklich will, dann funktioniert's. Aber es braucht einen gewissen Aufwand.» Klagen von weiterführenden Schulen, dass die Innerrhödler einen Rückstand beim Französisch hätten, sind Bischofberger jedenfalls nie zu Ohren gekommen.

Norbert Senn, Chef des Innerrhoder Volksschulamtes, verweist an diesem Punkt auch auf die Maturaquote, die 2014 sogar leicht über dem schweizerischen Durchschnitt lag. Zwar hat der Halbkanton die Französischkenntnisse seiner Schulabgänger nie speziell evaluiert. Senn bestätigt aber, dass es keine negativen Rückmeldungen etwa von Berufsschulen gibt. Was den Amtschef nicht überrascht. Auf der Primarstufe unterrichte eine nicht auf Sprachen spezialisierte Lehrperson Frühfranzösisch als eines unter acht oder neun Fächern, gibt Senn zu bedenken. Hingegen betreue auf der Oberstufe eine speziell für Fremdsprachen ausgebildete Lehrkraft homogene Niveauklassen – und das in höherer Lektionendotation. Hier sei deutlich effizienteres Lernen möglich. «Wir stehen zu unserem Weg und sind überzeugt, dass es ein guter Weg ist.»

Kantonswechsel ein Problem

Immerhin: Einen Einwand gegen die Aufkündigung des Sprachenkompromisses durch die Streichung des Frühfranzösisch lässt auch Ständerat Bischofberger gelten: Wenn ein Schüler ohne Frühfranzösisch in einen Kanton mitwechselt. Deshalb brauche es vor dem Entscheid, auf Frühfranzösisch zu verzichten, auch eine Güterabwägung. Nicht zuletzt müsse man sich die Frage stellen: «Wie viele Schüler sind überhaupt betroffen?»
Senn verweist auf die Problematik der Migrantenkinder, die bekanntlich in der Schule überall bei null beginnen müssten. «Verglichen damit ist die Migration innerhalb der Schweiz doch kein Problem.»

So geschlossen sich beide hinter den Innerrhoder Weg stellen, so entschieden lehnen sie eine mögliche Intervention des Bundes ab. «Ein Eingreifen des Bundesrates wäre höchst problematisch. Das darf keine Option sein», so Bischofberger. Ein gewisser Wettbewerb unter den Kantonen sei eine Stärke der Schweiz, sagt Senn. Dieser bringe mehr, «als alles zu reglementieren».

Lehrmittel erneuern


Bleibt die Frage der Lehrmittel. Die Neueren sind alle auf eine Schule mit Frühfranzösisch ausgerichtet. Senn räumt denn auch ein, dass hier etwas geschehen müsse und ein Lifting nötig sei. «Wir sind interessiert, mit andern Kantonen etwas Neues zu machen.» Also auch bald mit dem Thurgau? Senn selber dürfte dieser Kontakt über die Kantonsgrenze hinweg nicht allzu schwer fallen. Er ist zwar Amtsleiter in Innerrhoden, aber von Haus aus ein Thurgauer. Und er sitzt in seinem Wohnkanton Thurgau auch im Grossen Rat. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen