«Wenn ich
traurig bin, tröstet mich Yoshi», sagt Anna*. «Manchmal kommt er zu mir, und
ich kann ihn streicheln.» Das Mädchen aus der sechsten Klasse von Lehrerin
Sandra Bucher spricht freimütig über ihre Gefühle, wenn es um den Schulhund
geht. Auch Beni, ein Knabe mit Tendenz zu unkontrolliert aggressivem Verhalten,
wird sanft, wenn er schildert, wie ihn Yoshi einmal aus der WC-Kabine lockte,
in die er sich im Ärger eingeschlossen hatte. «Er hat den Ball unter der Türe
durch geschubst, weil er mit mir spielen wollte.» Und besonders toll findet
Lena, «wenn wir in der Turnstunde mit Yoshi im Wald spielen gehen».
Yoshi bringt Ruhe in die Klasse, NZZaS, 28.8. von René Donzé
Die
Hände der 18 Schülerinnen und Schüler fliegen nur so in die Höhe, wenn sie von
Yoshi erzählen dürfen. Der knapp 2-jährige Border Collie mit etwas Entlebucher
Sennenhund im Blut begleitet seine Lehrerin praktisch täglich in die Schule
Würenlos (AG). Manchmal liegt er einfach auf seiner Matte unter der Wandtafel,
oft wandert er zwischen Stühlen und Bänken umher, lässt sich streicheln und
zieht weiter. «Häufig geht er genau zu jenen, die etwas auf dem Herzen haben
oder gestresst sind», erzählt Bucher.
In
Schwyz nicht erlaubt
Yoshi
ist Klassenmitglied und Schulassistent in einem. «Seine Anwesenheit beruhigt
die Kinder und lässt sie konzentrierter arbeiten», sagt Bucher. «Gleichzeitig
fördert er die Empathie und das Sozialverhalten.» An der Wand hängen Regeln,
von den Schülern selbst geschrieben, an die sich alle halten müssen: «Nicht
schreien, nicht rennen, den Hund in Ruhe lassen, wenn er sich zurückzieht»,
heisst es unter anderem. «Wenn es einmal laut wird, dann halten sich die Kinder
gegenseitig wieder zur Ruhe an», sagt Bucher.
Yoshi
ist bei weitem nicht der einzige Hund, der regelmässig mit einer Lehrerin zur
Schule geht. Der Verein Schulhunde Schweiz, erst vor gut drei Jahren gegründet,
hat bereits 140 Mitglieder. Präsidentin Lorena Singy schätzt, dass es bereits
200 bis 300 Schulhunde in der ganzen Schweiz gibt. Längst nicht alle stehen die
ganze Woche im Einsatz, oft sind sie nur tage- oder lektionenweise im
Schulzimmer.
Allerdings
sind die Tiere nicht überall willkommen. So hat die Bildungsdirektion des
Kantons Schwyz ein Verbot für Hunde verfügt: wegen ängstlicher Kinder,
Haftungs- und Hygienefragen und weil die schulische Notwendigkeit nicht gegeben
sei, wie die Direktion mitteilt. Im Kanton Aargau hingegen liegt der Entscheid
bei der Schulleitung und der Schulpflege. Allein in Würenlos gehen fünf Hunde
in die Schule und einer in den Kindergarten. «Die Erfahrungen sind rundum
positiv», sagt Schulleiterin Claudia Stadelmann. Wichtig seien klare Regeln und
die Möglichkeit, dass Eltern ihr Kind in eine Klasse ohne Hund schicken können.
«Bis jetzt hat das aber niemand gefordert. Im Gegenteil: Manche wünschen
ausdrücklich eine Hundeklasse für ihr Kind.»
Warum
das so ist, lässt sich an den Augen der Schüler ablesen, wenn sie mit Yoshi ein
Kunststück zeigen dürfen. Lena legt ihm ein Guetsli auf die Schnauze, sagt:
«Warten!» Erst auf «Nimm!» katapultiert er es in die Luft und schnappt es sich.
Dass solche Nummern nicht immer einfach sind, muss Diego erfahren: Der Hund
will zuerst nicht über den Stab springen, den zwei Mitschüler halten. Erst nach
mehreren Anläufen gelingt der Trick. Die Kinder lernen, Abläufe einzuhalten und
klare Anweisungen zu geben. Dann wird wieder ruhig gearbeitet. Yoshi geht in
seine Box neben dem Lehrerpult. Er ist offensichtlich müde. Diego geht zur
Wandtafel und schiebt sein Bild auf dem «Glücksbarometer» auf die Maximalzahl
10.
Eine
Untersuchung des Wiener Instituts für die interdisziplinäre Erforschung der
Mensch-Tier-Beziehung kommt zum Ergebnis, «dass Hunde in der Klasse bedeutende
Katalysatoren für die Entwicklung von Sozialverhalten und der sozialen
Integration in Gruppen sind». Resultat: bessere Stimmung, mehr Lernfreude,
weniger Aggression in der Klasse. «Vor allem Buben profitieren verstärkt»,
schreiben die Autoren. Eine andere Studie stellt fest, dass Kinder, die vor
einer schwierigen Aufgabe einen ihnen bekannten Hund streicheln durften,
weniger Stresshormone im Speichel hatten.
Ausbildung
ist wichtig
Der
Schulhunde-Boom in der Schweiz der letzten Jahre hat auch seine Kehrseiten.
«Nur eine Minderheit aller Schulbegleithunde ist adäquat ausgebildet», sagt
Barbara Rufer. Die gelernte Primar- und Sekundarlehrerin ist Dozentin am
Freiburger Institut für tiergestützte Therapie und schult jedes Jahr gegen 50
Schulbegleithundeteams – also Hund und Halter. «Schlechte Beispiele führen
dazu, dass wir immer wieder um Akzeptanz kämpfen müssen», sagt Rufer. Zudem
brauche es das nötige Wissen, um mit dem Hund in der Klasse gute Ergebnisse zu
erzielen. Auch die Tiertherapeutin Therese Germann-Tillmann schätzt, dass
weniger als die Hälfte aller Schulhunde angemessen trainiert und geprüft worden
sind. Oft würden die Hunde auch überfordert, kritisiert sie. «Das kann sogar
zum Burnout führen.»
Auch
Yoshi ist noch kein ausgelernter Schulhund. Lehrerin Bucher hat mit ihm die
üblichen Hundekurse besucht und die Prüfung zum Begleithund I absolviert. Im
Moment belegt sie Seminare bei Schulhunde Schweiz und bereitet sich auf die
Therapiehundeausbildung mit Yoshi vor.
Für
heute hat der Hund genug geleistet: Schüler und Lehrerin gehen Basketball
spielen. Yoshi geniesst die Ruhe im Zimmer. Nächste Woche wird es streng für
ihn: Im Klassenlager wird er seine Qualitäten als Hütehund beweisen. «Er hält
bei Ausflügen seine Schäfchen immer schön zusammen», sagt Bucher.
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