In den Köpfen der meisten Menschen gehören sie zur Schule wie das
Schrillen der Pausenglocke und die Wandtafel – Hausaufgaben. Weil sie in der
Familie «zu viel Zoff» verursachen, sollen sie nun abgeschafft werden.
Zumindest, wenn es nach den Schulleitungen der deutschen Schweiz geht. Das berichtete gestern die Zeitung
«Schweiz am Sonntag». Lisa Lehner ist Vizepräsidentin des Schweizerischen
Schulleiterverbands und sagt: «Eltern können heute nicht immer mehr Zeit
aufwenden, den Stoff mit ihren Sprösslingen durchzugehen.» Ihr Kollege Bernhard
Gertsch, der Präsident des Verbandes, macht sich Sorgen um die
Chancengleichheit. Durch die Verlagerung schulischer Aufgaben an das Elternhaus
wachse die Kluft zwischen den Kindern, die aufgrund ihrer Herkunft nicht gleich
günstige Voraussetzungen mitbringen.
Heilige Kuh der Volksschule, NZZ, 29.8. Kommentar von Seraina Kobler
Wie immer, wenn Kinder im Spiel sind, sorgt auch das Thema Hausaufgaben
für eine emotional gefärbte Debatte. Oft hat der Schweizer Bestsellerautor und
Kinderarzt Remo Largo in den letzten Jahren Kritik geäussert an den «heiligen
Kühen» der Volksschule: Hausaufgaben, Auswendiglernen, Prüfungen und Selektion. Obwohl zahlreiche Studien den
«Uufzgi» einen geringen Lernerfolg attestieren und Aufwand und
Ertrag in keinem vernünftigen Verhältnis stehen, geniessen sie einen
«pädagogischen Heimatschutz». Gründe dafür formuliert etwa der Freiburger
Professor und Pädagoge Alois Niggli: «Hausaufgaben greifen in die
freie Zeit ein. So lernen Kinder und Jugendliche, dass es ausserhalb der
Schulzeit Pflichten gibt, die sie selbständig erledigen müssen.» Bestimmt!
Eigenverantwortung und Pflichtgefühl sind wichtige Lehrmeister. Doch müsste die
Schule in der Lage sein, diese Eigenschaften und den Stoff innerhalb der ihr
zur Verfügung stehenden Zeit zu vermitteln.
Es sollte nicht sein, dass Dinge wie das Vorbereiten eines Vortrages
zusehends an die Familie delegiert werden und so in die elterliche Erziehung
eingegriffen wird. Nicht in Zeiten, in denen drei von vier Müttern in der
Schweiz neben der Familienarbeit noch erwerbstätig sind. Nicht in Zeiten, in
denen die Organisation des Alltags deswegen einer Quadratur des Kreises
gleichkommt – wenn die Kinder krank sind, zum Zahnarzt müssen oder man nach der
Arbeit, mit schlechtem Gewissen, weil man immer irgendwo zu spät ist, an den
Elternabend eilt.
Ein verstecktes Mittel zur Abschaffung der Hausaufgaben, das an vielen
Orten heute praktiziert wird, sind sogenannte Wochenpläne. Dabei wird innerhalb
der Schulstunden Zeit für selbständiges Arbeiten zur Verfügung gestellt. Wäre
es nicht mutiger, die Verantwortung gleich ganz zu übernehmen und die
Hausaufgaben – auch offiziell – im letzten Jahrhundert zu lassen? Nach dem
Grundsatz: Schule ist Schule, und Freizeit ist Freizeit. Die Trennung von
Elternhaus und Schule dürfte den Lehrern entgegenkommen – sie klagen viel über
die starke Einmischung der Eltern.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen