Im Interview mit der Aargauer Zeitung äussert sich Christoph Eymann über die Mitsprache des Volkes in Schulfragen. Er findet, dass Lehrplan und Sprachenfrage auf der Ebene von Fachleuten behandelt und beschlossen werden sollten.
"Schulfragen eignen sich nicht für Volksabstimmungen", Aargauer Zeitung, 14.9. von Florian Blumer
«Bürokratiemonster», «Keine Wissensvermittlung
mehr» – die Kritik am Lehrplan 21 ist heftig. Wie erklären Sie sich das?
Christoph Eymann: Seit dem
Volksentscheid 2006 haben wir den Auftrag, einen nationalen Lehrplan zu
erarbeiten. Es ist das erste Mal, dass man in diesem Land versucht, die
Bildungsinhalte zu harmonisieren. Dass es dagegen Widerstand gibt, ist normal –
das war bei Lehrplänen schon immer so.
Kritisiert wird vor allem das Konzept der
Kompetenzorientierung.
In
der Berufslehre und in den Gymnasien arbeitet man schon lange mit Kompetenzen,
auch in der Schule ist dies nichts gänzlich Neues. Ich will nicht sagen, dass
am Lehrplan 21 alles perfekt ist, aber er ist auch nicht so in Bausch und Bogen
zu verurteilen, wie das politische Parteien, Lehrer-Standesorganisationen oder
Gewerkschaften tun. Man kann mit diesem Tool arbeiten.
Dennoch: Wurden vonseiten der
Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) nicht auch Fehler gemacht?
Man
kann immer sagen, dass man das eine oder andere hätte besser machen können. Aber
wir haben, wie in solchen Fällen üblich, eine Vernehmlassung durchgeführt. Wir
haben viele Anregungen aufgenommen und Verbesserungen angebracht. Ich kann
deshalb die Aufregung nicht recht nachvollziehen. Aber wenn man natürlich
Probleme bewirtschaften will, wie das die SVP macht, dann verstehe ich, dass
man auf diesen Zug aufspringt. Es gibt gewisse Ideen zur Bildung aus dem Hause
Blocher, die offenbar umgesetzt werden sollen. Also ist man gegen alles, das
anders ist.
Wie erklären Sie sich, dass der Lehrplan in
Baselland so grossen Widerstand hervorruft, während er in Basel praktisch
unumstritten ist?
Ein
Schlüssel ist, dass in Basel die Zusammenarbeit mit den Lehrervertretungen –
der Schulkonferenz und der Gewerkschaft – funktioniert, dass beide Seiten
dialogbereit sind. Dann haben wir einen politisch zusammengesetzten
Erziehungsrat, dessen Mitglieder offensichtlich auch einen Rückhalt in ihren
Parteien haben. Und man ist in Basel zurückhaltender mit dem Instrument der
Volksinitiative. Im Baselbiet fliegt ihnen das gerade um die Ohren: Sie haben
sechs oder acht Initiativen zur Schule hängig, die sich zum Teil gegenseitig
widersprechen. Ich kenne kaum jemanden, der noch den Überblick hat. Die Schule
wird destabilisiert und es bleiben Minderheiten zurück. Das ist nur schädlich.
Die Schule muss gestärkt werden, und das geschieht nicht mit Volksinitiativen
oder Referenden.
Wenn eine Frage so umstritten ist – müsste man dann
nicht erst recht darüber abstimmen lassen?
Nicht
alle Fragen eignen sich, dem Volk vorgelegt zu werden. Hier geht es um eine
inhaltliche Frage zur Schule. Ein Lehrplan ist eine Anweisung für Fachleute,
die das studiert haben. Man diskutiert ja auch nicht über die Anweisung des
Physiotherapeuten an den Arzt. Gewisse Entscheidungen müssen auf Fachebene
fallen, in Bildungsräten oder Erziehungsräten ¬– die ja auch politisch
zusammengesetzt sind. So falsch ich es finde, über den Lehrplan 21 abstimmen zu
lassen, so falsch fände ich es auch, eine Volksabstimmung zur Sprachenfrage zu
machen. Zu Schulfragen werden sie im Volk nie eine klare Mehrheit bekommen.
Auch in der Sprachenfrage wird gestritten. Mehrere
Kantone, darunter Thurgau, verstossen gegen den Kompromiss der EDK: Sie wollen
mit Französisch nicht schon in der Primarschule beginnen. Wird zum Schluss der
Bund eingreifen müssen, wie das Bundesrat Alain Berset androhte?
Ich
hoffe nicht, dass es so weit kommt. Ich will nicht schönreden, dass die
Situation problematisch ist. Wir in der EDK finden aber einen Bundeseingriff
nicht verhältnismässig. Dies würde letztlich dazu führen, dass es ein
Referendum gibt. Dann hätten wir einen wüsten Abstimmungskampf: Westschweiz,
Tessin und Rätoromanen gegen die Deutschschweiz. Das brauchen wir nicht in
diesem Land.
Was ist so schlimm daran, dass einige Kantone erst
nach der Primarschule mit Französisch beginnen wollen?
Von
den Westschweizer Kantonen wird dies als grosser Affront empfunden, es ist sehr
schädlich für den Zusammenhalt im Land. Dazu frage ich mich auch, warum wir
weniger von unseren Schülerinnen und Schülern fordern sollen. Da verstehe ich
die SVP nicht: Sie redet immer von der Wohlfühlschule, wenn es aber um zwei
Fremdsprachen in der Primarschule geht, sagt sie, das sei zu viel für unsere
Kinder. Wenn sie dann auch noch mit Fremdsprachigen argumentiert, die dies
nicht leisten können – das geht nicht auf.
Sie sind noch bis Ende Jahr EDK-Präsident. Wie
zuversichtlich sind Sie, dass Sie bis dahin noch eine Lösung im Sprachenstreit
finden?
Dass
im Kanton Thurgau, der vom Kompromiss abweichen wollte, die Frage nun doch noch
einmal im Parlament diskutiert werden soll, dient der Beruhigung der Situation.
So kann auch das zwangsläufig entstehende Problem einer drohenden überladenen
Stundentafel durch zusätzliche Französisch-Lektionen in der Sek I angegangen
werden. Doch sollte es nicht gelingen, Einigkeit unter den Kantonen
herzustellen, dann muss ich mir am Schluss sagen: Das ist mir nicht gelungen.
Das würde mich sicher wurmen. Aber mit dieser Unvollkommenheit müsste ich
leben.
Dass Herr Eymann keine Volksabstimmung in Schulfragen wünscht, ist nicht verwunderlich. Dass Volksinitiativen ergriffen werden, wenn teure Reformen im Schulwesen mehr schaden als nützen, sollte aber in unserem Land als hohes Gut der Demokratie gewertet werden. Hoffentlich wehren sich die Bürgerinnen, wenn Lehrerinnen und Lehrer zu Programmen verpflichtet werden, die sich in der Praxis nicht bewährt haben. Unruhe ist nicht durch die Volksinitiativen entstanden. Höchstens bei denen, die befürchten, dass ihre Reformpläne nicht aufgehen.
AntwortenLöschenUnruhig ist es in den Schulen, z.B. weil die Kinder schon in der 1. Klasse von 7 bis 10 verschiedenen Personen unterrichtet werden. Aber auch weil ständig neue Forderungen an die Lehrerinnen und Lehrer gestellt werden - nicht durch die Eltern, sondern von oben... ohne öffentliche Diskussion.