20. Oktober 2016

Schlechte Lehrer können heute entlassen werden

«Stell Dir vor, es ist Schule, und alle gehen hin», so lautet der Slogan des 11. «Bund»-Essay-Wettbewerbs. Gesucht werden Autoren, die diesen Wunschtraum durchspielen und niederschreiben. Welche Massnahmen sind nötig, um eine neue Schule zu formen, die auf die digitale Revolution eingeht und den Kindern gerecht wird?
Die Jury (v.l.n.r.): Alain Pichard, Margrit Stamm, Patrick Feuz und Moderator Alexander Sury. Bild: Franziska Rothenbühler
Lehrer sind nicht mehr unantastbar, Bund, 19.10. von Claude Galli
Zur Lancierung fand am Mittwoch im Kino Rex ein Podium mit den Jurymitgliedern Margrit Stamm, Leiterin des Forschungsinstituts Swiss Education, dem Bieler Lehrer und Publizisten Alain Pichard sowie «Bund»-Chefredaktor Patrick Feuz statt. Dazwischen wurde der Klassiker «Zéro de conduite» (1933) von Jean Vigo über einen Schüleraufstand in einem Internat gezeigt.
Von Rebellen und Streberinnen
Zum Einstieg bat Moderator Alexander Sury die Runde, sich als frühere Schüler auf einer Skala von 1 gleich Rebell bis 10 gleich Streber einzuschätzen. Pichard gab sich eine 6 und erzählte, dass er vor allem wegen Faulheit aus dem Gymnasium geflogen sei. Stamm bezeichnete sich als «atypische Streberin» (Wert 8), die in ihrem ganzen Leben nie rebelliert habe, und Feuz gestand, dass er ein «unerfreulicher, schrecklicher Schüler» gewesen sei, der seine Unsicherheit mit Clownereien überspielt habe (Wert 5).
Nach dem Film folgte die vertiefte Gegenwartsanalyse. Pichard hielt fest, er sei kein Gegner des Lehrplans 21, sondern ein Kritiker, der die Notwendigkeit von Reformen sehr wohl sehe. «Ich glaube aber einfach nicht mehr an Masterpläne. Erziehungsdirektor Bernhard Pulver hat schon vieles zurückgenommen. Man kann sich mittlerweile beinahe fragen, warum man so viele Millionen ausgibt, wenn sich so wenig ändert.»

«Etikettiert und stigmatisiert»
Auch Margrit Stamm sträubte sich gegen Masterpläne: «Der beste Plan nützt nichts, wenn sich die Einstellung der Lehrer nicht ändert.» In einem Artikel hatte sie vorgängig eindrückliche Zahlen genannt: Von 100 Arbeiterkindern schafften es nur gut 20 an eine Hochschule, von Akademikersprösslingen dagegen fast 90. Alain Pichard relativierte diese Zahlen und meinte: «Karriere heisst nicht immer nur Matura und Studium.»

Was ihm bedeutend mehr Sorgen mache, so Pichard, sei der zunehmende Illettrismus, das Phänomen der massiven Lese- und Schreibschwierigkeiten werde komplett ausgeblendet. «Die meisten Kinder wollen lernen. Die Schule muss dafür sorgen, dass sie lernen können.» Patrick Feuz sieht klassischen Bildungsvorstellungen ebenfalls auf dem Prüfstand: «Matura und Studium haben an Wert verloren.»

Margrit Stamm weist darauf hin, dass Lehrkräfte oft zu Vorurteilen neigten. Die Kinder würden «etikettiert oder gar stigmatisiert. Gerade jene mit Migrationshintergrund werden häufig gleichgesetzt mit kleinerem Potenzial, was komplett falsch ist.» Bei aller Kritik will Pichard aber doch auch das Positive hervorheben. «Als Schüler, Vater und Berufskollege habe ich zwar kolossale Fehlleistungen erlebt. Und ich habe ebenso Fehler gemacht.
Das Können der Lehrer ist fragil.» Aber der Standard sei definitiv besser geworden. «Und wir können uns heute von schlechten Mitarbeitern trennen, was früher nicht möglich war. Das stimmt mich grundsätzlich optimistisch.»


1 Kommentar:

  1. Es sind leider heute die guten Lehrer, die entlassen werden bzw. die kündigen, weil sie bei Schulreformen nicht mitmachen wollen, die sich negativ auf die Schüler auswirken. Es gibt heute Schulpflegepräsidenten oder Schulleiter, die bei Widerstand im Lehrerteam lauthals verkünden: "Es gibt genug Lehrer, die gerne altersgemischten Unterricht oder selbstgesteuertes Lernen machen".
    Das wird sich in der Zukunft bitter rächen, wie das Beispiel England zeigt, wo man vor etwa 20 Jahren alle älteren und erfahrenen Lehrer in die Wüste geschickt hat. Dann bleiben nur noch die übrig, die schon nach dem "neuen" Reformen ausgebildet wurden und nicht mehr wissen, wie man Klassenunterricht macht.

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