9. April 2017

Knackpunkt Informatik

«Jeder in diesem Land sollte programmieren lernen, denn es lehrt einen, zu denken.» Das sagte der Mann, der vor zehn Jahren das iPhone der Öffentlichkeit vorstellte und damit die Welt veränderte. Einen Tag nachdem Steve Jobs in San Francisco die Revolution eingeläutete hatte, rief eine Gastautorin in der «NZZ am Sonntag» zur Abschaffung der Handschrift in der Schule auf. Ein pensionierter Lehrer gab ihr in einem Leserbrief recht – allerdings mit einer Einschränkung: «Lernt stenografieren!», forderte er, in der Ansicht, es sei doch «ungemein nützlich», wenn er bei einem Vortrag eine Aussage schnell festhalten könne, ohne dafür «ein Gerät» aufbauen zu müssen.
Schwieriger Wechsel in den digitalen Modus, NZZ, 7.4. von Angelika Hardegger

So wie der Leserbriefschreiber im vordigitalen Zeitalter steckengeblieben ist, so ist es bis anhin auch die Volksschule: Erst mit dem Lehrplan 21 kommt das «Gerät», das der pensionierte Lehrer im Kopf hatte, flächendeckend im Schulzimmer an. «Medien und Informatik» heisst das Modul (zum eigentlichen Fach hat es der Informatik nicht gereicht), das schon Primarschüler für den digitalen Alltag fit machen soll – und für die Arbeitswelt, denn laut einer Studie der Branchenorganisation ICT-Berufsbildung Schweiz werden der Schweiz bis 2024 25 000 Informatiker fehlen.

Lehrer sind nicht qualifiziert

Der neue Lehrplan sieht vor, dass schon Erst- und Zweitklässler lernen, sich in ein Netzwerk einzuloggen oder Daten abzulegen. Ab der dritten Klasse werden sie Betriebssystem und Anwendersoftware unterscheiden lernen und wissen, was ein Flash-Speicher ist. Und ab der fünften Klasse sollen die Schüler erste einfache Programme schreiben.

So lautet zumindest das Ziel. Der Weg dorthin ist aber noch lang, denn die wenigsten Primarschullehrer sind heute fähig, ihren Schülern den Nutzen eines Flash-Speichers zu erklären oder Algorithmen zu entwickeln. Das zeigt sich beispielhaft im Kanton Thurgau: Hier wird der Lehrplan im August eingeführt, mit einer Umsetzungsfrist von vier Jahren. Wer aber an der Pädagogischen Hochschule (PH) diesen Sommer das Studium abschliesst, wurde noch nicht in Informatik ausgebildet, es sei denn, er oder sie entschied sich im frei wählbaren Bereich dafür.
Die mangelnde Qualifikation der Thurgauer Lehrerinnen und Lehrer ist ein Grund dafür, dass das Amt für Volksschule den Schulen im Kanton empfiehlt, Informatik erst ab dem Sommer 2019 zu unterrichten. Das Problem besteht aber schweizweit, insbesondere bei jenen Lehrpersonen, die nicht der «digital native»-Generation angehören. Und das sind viele: Laut einer Erhebung des Bundesamts für Statistik sind fast zwei Drittel der hiesigen Primarschullehrkräfte älter als 40. 82 Prozent von ihnen sind Frauen. Diese Lehrkräfte für den Informatikunterricht fit zu machen, sei eine «enorme Herausforderung», sagt Beat Zemp, Präsident des Dachverbands der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer.

Der Kampf um Lektionen
Ein weiterer Knackpunkt in der Umsetzung des Lehrplans ist die Frage der Lektionen. Im Thurgau hat es die Informatik auf den Stundenplan geschafft: Bis zur vierten Klasse sollen die Schüler Tastaturschreiben im Deutsch oder Excel-Tabellenkalkulation in der Mathe lernen, in der fünften und sechsten Klasse ist dann je eine eigene Lektion für den Medien -und Informatikunterricht reserviert. Das ist aber nicht in allen Kantonen so, denn bei bestehenden Fächern Lektionen zu streichen, ist eine heikle Aufgabe. Im Thurgau hätten eigentlich die durch die Abschaffung des Frühfranzösisch frei werdenden Lektionen der Informatik zugute kommen sollen. Wenn die Fremdsprache nun aber doch auf der Primarstufe bestehen bleibt – das Kantonsparlament entscheidet Anfang Mai darüber –, muss in der fünften Klasse eine Lektion Gestalten und in der sechsten eine Lektion Deutsch dem neuen Modul weichen.

Der Kanton Luzern hat dieses Problem umgangen. Hier findet der Unterricht über alle sechs Schuljahre hinweg, integriert in anderen Fächern, statt. Kritiker befürchten, dass durch das fehlende Zeitgefäss wenig «reine» Informatik, zum Beispiel Programmieren, gelehrt wird. Auch Beat Zemp findet die Luzerner Lösung nicht zielführend: «In der fünften und sechsten Klasse muss man nicht nur Anwenderkenntnisse vermitteln, sondern auch erklären, was ein Programm und was ein Algorithmus ist. Dafür braucht es ausgewiesene Stunden in der Wochentafel», sagt er.

Auch eine Frage der Infrastruktur
Wie schwierig es ist, die Lernziele in der Informatik zu erreichen, zeigt ein Blick in den Kanton Baselland. Hier unterrichten die Primarschulen seit Sommer 2015 nach dem neuen Lehrplan. In Bezug auf die Informatik sei aber noch viel Arbeit zu leisten, sagt Lukas Dettwiler. Er leitet die Abteilung der Bildungsdirektion, welche für die IT-Bildung zuständig ist. Weil Informatik bisher in der Ausbildung der Lehrpersonen nicht vorkam und in Baselland (wie in Luzern) überfachlich unterrichtet werden müsse, hänge viel von den einzelnen Lehrpersonen ab: «Wenn sie die Informatik nicht als wichtig erachten oder noch wenig Kompetenzen darin haben, findet der Unterricht noch nicht im vorgesehenen Umfang statt», sagt Dettwiler.

Wird Informatik also auch künftig mehr zufällig als systematisch gelehrt? Bei der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz, die den Lehrplan 21 erarbeitet hat, winkt man ab. Harmonisieren heisse, dass man sich annähere – und nicht, dass alle Schüler genau das gleiche lernen müssten, erklärt Geschäftsleiter Christoph Mylaeus. Dass aber noch viel gehen muss, bis die Volksschule in den digitalen Modus wechselt, hat er erfahren, als er vor Kurzem vor der Lehrerschaft einer Schule einen Vortrag zum Lehrplan 21 gehalten hat. Die Lehrer sollten – wie künftig ihre Schüler – das eigene Notebook mitbringen und online auf den Lehrplan zugreifen. Nur: Die Schule hatte kein WLAN.

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