28. April 2017

Wenn plötzlich alle Lehrer kündigen

Es hätte so schön sein können. Das kleine Schulhaus Brühlberg in Winterthur war lange Jahre ein Vorzeigeprojekt. Team-Teaching, altersdurchmischter Unterricht, forschendes Lernen: All das wünschen sich Eltern für ihre Kinder. Ein ein­geschworenes Lehrerteam teilte sich bis vor drei Jahren die Führungsauf­gaben. Es wusste, worauf es bei dieser besonderen Schule ankommt. Doch nun kam der Massenexodus: Vor einem Monat kündigten alle acht Klassenlehrpersonen. Die Verunsicherung bei den rund 80 Kindern und ihren Eltern ist gross. Wie es nach den Sommerferien weitergehen wird, ist unklar, Informationen sind auf Anfang Mai versprochen.
Einst Vorzeigeprojekt, heute Krisenherd: die Schule Brühlberg in Winterthur, Bild: Anne Seeger
Brühlberg Winterthur: Wenn plätzlich alle Lehrer kündigen, Beobachter, 28.4. von Susanne Loacker

Führungsduo schon lange unter Kritik
Wie konnte es so weit kommen? Vor drei Jahren setzte die Schulpflege Martina Bohraus als neue Leiterin für das Brühlberg ein. Und betraute sie mit der anspruchsvollen Aufgabe, ­dieses mit dem grösseren Schulhaus Neuwiesen zu fusionieren. Protegiert wurde und wird Bohraus von Felix Müller, Präsident der Kreisschulpflege Winterthur.

Bereits im vergangenen Sommer hagelte es Kritik gegen das Führungsduo. 80 Eltern und Lehrpersonen legten beim Bezirksrat gegen Müller Beschwerde ein. Er habe das Unterrichtskonzept des Brühlbergs bei der Fusion zu wenig berücksichtigt. Und Bohraus wurde ein demotivierender Führungsstil vorgeworfen, fachliche Inkompetenz und pädagogisches Desinteresse. Doch der Bezirksrat schmetterte die Aufsichtsbeschwerde ab, es liege «keine Rechtsverletzung» vor.

«Oft ist genau die Summe von vielen Details das Problem und dass etwas Massives fehlt», sagt Jürg Brühlmann vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH). «Wenn in einer Schule etwas wirklich Grobes passiert, müssen die Behörden handeln. Aber wenn sich scheinbare Kleinigkeiten häufen, von denen jede allein möglicherweise wirklich eine Bagatelle ist, beginnen Konflikte zu schwelen.»

Der Konflikt im Winterthurer Schulhaus gärt schon sehr lange. «Ich habe vor etwa drei Jahren zum ersten Mal davon gehört. Ich kann mir nicht vorstellen, dass acht Lehrpersonen einfach so von einem Tag auf den andern kündigen», sagt Brühlmann.

Ein strukturelles Problem
Bereits vor zwei Jahren hat der Grünliberale Martin Zehnder im Winterthurer Gemeinderat eine schriftliche Anfrage eingereicht. Er wollte wissen, warum die Fluktuation im Brühlberg so hoch sei. Schon damals hatte ein grosser Teil der Belegschaft das Schulhaus verlassen. Mit Verweis auf Konflikte mit der Schulleitung.

Die Antwort auf seine Anfrage bezeichnet Zehnder als «nicht sehr befriedigend und ernüchternd». Der Zentralschulpflege seien die Hände gebunden, verantwortlich sei allein die Kreisschulpflege, so das Fazit der Antwort. «Wir haben offensichtlich ein strukturelles Problem», sagt Zehnder. «Der Präsident der Kreisschulpflege wird vom Volk gewählt und ist dann für vier Jahre im Amt. Wenn er sich nichts zuschulden kommen lässt, was gegen das Gesetz verstösst, hat man vor Ablauf seiner Amtszeit keine Justierungsmöglichkeiten.»

Stefan Fritschi (FDP) ist Präsident der Zentralschulpflege und Vorsteher des Departements Schule und Sport. «Ich muss mit ansehen, wie Probleme entstehen – ohne eingreifen zu können», sagt er. Er verweist auf die Ombudsstelle der Stadt Winterthur, die aber mit Verweis auf die Schweigepflicht keine Fragen des Beobachters beantwortet. Die Juristin Viviane Sobotich sagt nur: «Es ist gut, wenn Sie recherchieren.»

Der Beobachter hat Schulleiterin Bohraus und Kreisschulpflegepräsident Müller um eine Stellungnahme gebeten. Bohraus hat nicht reagiert. Und der Grüne Müller unterstreicht lediglich die Qualifikationen von Bohraus: «Die Schulleitung erfüllt voll­umfänglich alle Voraussetzungen, die das Volksschulamt für die Ausführung dieser Tätigkeit verlangt.»

«Kreativer Umgang mit Fakten»
Kritik an Müller äussert auch die frühere Schulleiterin Mengia Isenbügel. Sie bezeichnet ihn als «Manipulator, der mit den Menschen spielt». Den Grund für die heutige Situation sieht sie in der missglückten Fusion der beiden Schulhäuser. Müllers Umgang mit Fakten sei «äusserst kreativ», der Fokus seiner Wahrnehmung «teilweise bewusst oder unbewusst eingeschränkt. Rechtzeitige, kooperative, respektvolle und anständige Kommunikation ist für ihn in besonderen Situationen immer wieder schwierig oder unwichtig.»

Harte Worte, denen ehemalige Lehrer aber beipflichten. Eine Lehrperson sieht das Problem vor allem bei Bohraus und schreibt im Kündigungsbrief, die Schulleiterin habe mit plötzlichen Entscheidungen bezüglich Elternrat oder Pensenverteilungen im Team Unsicherheit geschaffen. Zudem habe sie nicht zu ihrem Wort gestanden, habe eigene Voten widerrufen.

Eine andere Lehrperson, die nicht mehr am Brühlberg arbeitet, sagt, Bohraus sei an einer eigens geplanten Sitzung zum Thema Führungsfragen nicht erschienen, eine weitere habe sie in Eigenregie abgesagt. Das Team habe wiederholt um eine Supervision gebeten, in der die Probleme zwischen Schulleitung und Team thematisiert würden. Diese sei jedoch immer wieder «versprochen, verschoben und hinausgezögert» worden.

Dass es in einer solchen Situation eminent wichtig ist, rasch und offen zu kommunizieren, weiss Brühlmann vom Lehrer-Dachverband aus Erfahrung. «Kommunikation wird immer schwieriger, je mehr sich die Fronten zwischen Teams, Schulleitung und Behörden verhärten. In Fällen, wo es Probleme mit der Chemie untereinander gibt, wäre der Beizug einer externen Unterstützung sinnvoll, bevor es zu Kündigungen kommt.»

Dafür ist es im Brühlberg zu spät. Die Kündigungen sind eingereicht, die Fronten klar. Die früheren Lehrerinnen und Lehrer finden, es sei Bohraus und Müller zuzuschreiben, dass das Schulhaus nach den Sommerferien nicht mehr sein wird, was es vorher war.

Rund 200 Eltern haben vor Ostern für einen Neustart unter neuer Schulleitung demonstriert. «Ungenügend!» und «Warum?» haben Schüler auf Plakate geschrieben. Doch die Frage blieb unbeantwortet, die Tür der Kreisschulpflege blieb verschlossen. Danach haben die Eltern eine weitere Beschwerde beim Bezirksrat eingereicht, in der sie ihre Vorwürfe konkretisieren.

Müller gerät immer mehr unter Druck
Unterdessen hat sich die Kreisschulpflege gegen ihren Präsidenten gestellt: Sie wirft Müller erhebliche Führungsmängel vor. Die Alternative Liste (AL) fordert seinen Rücktritt, denn das Schulhaus Brühlberg sei «nur die Spitze des Eisbergs». Unter Müller leide die Schulkultur des ganzen Bezirks. Und selbst Müllers Partei legt ihm nahe, das Amt niederzulegen. Dies sei die letzte Möglichkeit der Schadensbegrenzung.

Müller dagegen weicht nicht von seiner Haltung ab. Ein Rücktritt wäre «Fahrerflucht», lässt er verlauten.


1 Kommentar:

  1. Das Beispiel zeigt, das Lehrer- und Elternproteste, immer genau angeschaut werden müssen. Hier handelt es sich um eine Reformschule im Stile des Lehrplan 21. Bewährte Schulen mit Klassenunterricht und ausgewiesenem Leistungsausweis werden heutzutage nicht mehr "Vorzeigeschulen". Solche Reformschulen geniessen vielfach Privilegien, wie Lohnzulagen, wenig Schüler pro Klasse usw. Möglicherweise hat die Schule im Rahmen der Fusion Privilegien verloren und das könnte dann auch ein - nicht kommunizierter - Grund für die Lehrerkündigungen sein.

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