Es hätte so schön sein können. Das kleine Schulhaus Brühlberg in
Winterthur war lange Jahre ein Vorzeigeprojekt. Team-Teaching,
altersdurchmischter Unterricht, forschendes Lernen: All das wünschen sich
Eltern für ihre Kinder. Ein eingeschworenes Lehrerteam teilte sich bis vor
drei Jahren die Führungsaufgaben. Es wusste, worauf es bei dieser besonderen
Schule ankommt. Doch nun kam der Massenexodus: Vor einem Monat kündigten alle acht
Klassenlehrpersonen. Die Verunsicherung bei den rund 80 Kindern und ihren
Eltern ist gross. Wie es nach den Sommerferien weitergehen wird, ist unklar,
Informationen sind auf Anfang Mai versprochen.
Einst Vorzeigeprojekt, heute Krisenherd: die Schule Brühlberg in Winterthur, Bild: Anne Seeger
Brühlberg Winterthur: Wenn plätzlich alle Lehrer kündigen, Beobachter, 28.4. von Susanne Loacker
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Führungsduo schon lange unter Kritik
Wie konnte es so weit kommen? Vor drei Jahren setzte die Schulpflege
Martina Bohraus als neue Leiterin für das Brühlberg ein. Und betraute sie mit
der anspruchsvollen Aufgabe, dieses mit dem grösseren Schulhaus Neuwiesen zu
fusionieren. Protegiert wurde und wird Bohraus von Felix Müller, Präsident der
Kreisschulpflege Winterthur.
Bereits im vergangenen Sommer hagelte es Kritik gegen das Führungsduo.
80 Eltern und Lehrpersonen legten beim Bezirksrat gegen Müller Beschwerde ein.
Er habe das Unterrichtskonzept des Brühlbergs bei der Fusion zu wenig
berücksichtigt. Und Bohraus wurde ein demotivierender Führungsstil vorgeworfen,
fachliche Inkompetenz und pädagogisches Desinteresse. Doch der Bezirksrat
schmetterte die Aufsichtsbeschwerde ab, es liege «keine Rechtsverletzung» vor.
«Oft ist genau die Summe von vielen Details das Problem und dass etwas
Massives fehlt», sagt Jürg Brühlmann vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer
Schweiz (LCH). «Wenn in einer Schule etwas wirklich Grobes passiert, müssen die
Behörden handeln. Aber wenn sich scheinbare Kleinigkeiten häufen, von denen
jede allein möglicherweise wirklich eine Bagatelle ist, beginnen Konflikte zu
schwelen.»
Der Konflikt im Winterthurer Schulhaus gärt schon sehr lange. «Ich habe
vor etwa drei Jahren zum ersten Mal davon gehört. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass acht Lehrpersonen einfach so von einem Tag auf den andern
kündigen», sagt Brühlmann.
Ein strukturelles Problem
Bereits vor zwei Jahren hat der Grünliberale Martin Zehnder im
Winterthurer Gemeinderat eine schriftliche Anfrage eingereicht. Er wollte
wissen, warum die Fluktuation im Brühlberg so hoch sei. Schon damals hatte ein
grosser Teil der Belegschaft das Schulhaus verlassen. Mit Verweis auf Konflikte
mit der Schulleitung.
Die Antwort auf seine Anfrage
bezeichnet Zehnder als «nicht sehr
befriedigend und ernüchternd». Der
Zentralschulpflege seien die Hände gebunden, verantwortlich sei allein die
Kreisschulpflege, so das Fazit der Antwort. «Wir haben offensichtlich ein
strukturelles Problem», sagt Zehnder. «Der Präsident der Kreisschulpflege wird
vom Volk gewählt und ist dann für vier Jahre im Amt. Wenn er sich nichts
zuschulden kommen lässt, was gegen das Gesetz verstösst, hat man vor Ablauf
seiner Amtszeit keine Justierungsmöglichkeiten.»
Stefan Fritschi (FDP) ist Präsident der Zentralschulpflege und Vorsteher
des Departements Schule und Sport. «Ich muss mit ansehen, wie Probleme
entstehen – ohne eingreifen zu können», sagt er. Er verweist auf die
Ombudsstelle der Stadt Winterthur, die aber mit Verweis auf die Schweigepflicht
keine Fragen des Beobachters beantwortet. Die Juristin Viviane Sobotich sagt
nur: «Es ist gut, wenn Sie recherchieren.»
Der Beobachter hat Schulleiterin Bohraus und Kreisschulpflegepräsident
Müller um eine Stellungnahme gebeten. Bohraus hat nicht reagiert. Und der Grüne
Müller unterstreicht lediglich die Qualifikationen von Bohraus: «Die
Schulleitung erfüllt vollumfänglich alle Voraussetzungen, die das
Volksschulamt für die Ausführung dieser Tätigkeit verlangt.»
«Kreativer Umgang mit Fakten»
Kritik an Müller äussert auch die frühere Schulleiterin Mengia Isenbügel.
Sie bezeichnet ihn als «Manipulator, der mit den Menschen spielt». Den Grund
für die heutige Situation sieht sie in der missglückten Fusion der beiden
Schulhäuser. Müllers Umgang mit Fakten sei «äusserst kreativ», der Fokus seiner
Wahrnehmung «teilweise bewusst oder unbewusst eingeschränkt. Rechtzeitige,
kooperative, respektvolle und anständige Kommunikation ist für ihn in
besonderen Situationen immer wieder schwierig oder unwichtig.»
Harte Worte, denen ehemalige Lehrer aber beipflichten. Eine Lehrperson
sieht das Problem vor allem bei Bohraus und schreibt im Kündigungsbrief, die
Schulleiterin habe mit plötzlichen Entscheidungen bezüglich Elternrat oder
Pensenverteilungen im Team Unsicherheit geschaffen. Zudem habe sie nicht zu
ihrem Wort gestanden, habe eigene Voten widerrufen.
Eine andere Lehrperson, die nicht mehr am Brühlberg arbeitet, sagt,
Bohraus sei an einer eigens geplanten Sitzung zum Thema Führungsfragen nicht
erschienen, eine weitere habe sie in Eigenregie abgesagt. Das Team habe
wiederholt um eine Supervision gebeten, in der die Probleme zwischen
Schulleitung und Team thematisiert würden. Diese sei jedoch immer wieder
«versprochen, verschoben und hinausgezögert» worden.
Dass es in einer solchen Situation eminent wichtig ist, rasch und offen
zu kommunizieren, weiss Brühlmann vom Lehrer-Dachverband aus Erfahrung.
«Kommunikation wird immer schwieriger, je mehr sich die Fronten zwischen Teams,
Schulleitung und Behörden verhärten. In Fällen, wo es Probleme mit der Chemie
untereinander gibt, wäre der Beizug einer externen Unterstützung sinnvoll,
bevor es zu Kündigungen kommt.»
Dafür ist es im Brühlberg zu spät. Die Kündigungen sind eingereicht, die
Fronten klar. Die früheren Lehrerinnen und Lehrer finden, es sei Bohraus und
Müller zuzuschreiben, dass das Schulhaus nach den Sommerferien nicht mehr sein
wird, was es vorher war.
Rund 200 Eltern haben vor Ostern für einen Neustart unter neuer
Schulleitung demonstriert. «Ungenügend!» und «Warum?» haben Schüler auf Plakate
geschrieben. Doch die Frage blieb unbeantwortet, die Tür der Kreisschulpflege
blieb verschlossen. Danach haben die Eltern eine weitere Beschwerde beim
Bezirksrat eingereicht, in der sie ihre Vorwürfe konkretisieren.
Müller gerät immer mehr unter Druck
Unterdessen hat sich die Kreisschulpflege gegen ihren Präsidenten
gestellt: Sie wirft Müller erhebliche Führungsmängel vor. Die Alternative Liste
(AL) fordert seinen Rücktritt, denn das Schulhaus Brühlberg sei «nur die Spitze
des Eisbergs». Unter Müller leide die Schulkultur des ganzen Bezirks. Und
selbst Müllers Partei legt ihm nahe, das Amt niederzulegen. Dies sei die letzte
Möglichkeit der Schadensbegrenzung.
Müller dagegen weicht nicht von seiner Haltung ab. Ein Rücktritt wäre
«Fahrerflucht», lässt er verlauten.
Das Beispiel zeigt, das Lehrer- und Elternproteste, immer genau angeschaut werden müssen. Hier handelt es sich um eine Reformschule im Stile des Lehrplan 21. Bewährte Schulen mit Klassenunterricht und ausgewiesenem Leistungsausweis werden heutzutage nicht mehr "Vorzeigeschulen". Solche Reformschulen geniessen vielfach Privilegien, wie Lohnzulagen, wenig Schüler pro Klasse usw. Möglicherweise hat die Schule im Rahmen der Fusion Privilegien verloren und das könnte dann auch ein - nicht kommunizierter - Grund für die Lehrerkündigungen sein.
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