14. Mai 2017

Zürcher Volksschule als Experimentierfeld für Politiker jeder Couleur

Die Zürcher Volksschulen sind seit Jahren ein Experimentierfeld für Politikerinnen und Politiker jeder Couleur. Die Linken wollen am liebsten alle ins selbe Klassenzimmer bringen, ob begabt, lernschwach oder behindert. Konservative Kreise hängen am Religions- und Hauswirtschaftsunterricht. Die Wirtschaft betont den Wert des Englischunterrichts und der sogenannten Mint-Fächer, also Mathematik, Naturwissen­schaften und am liebsten einer Programmiersprache. Alles möglichst früh.

Und als sei das nicht genug, gibt es noch jene, die aus Gründen des nationalen Zusammenhalts Französisch fördern möchten – jene, welche die Handarbeit wichtig finden, und dann noch die Lateinlehrer, die um die humanistische Bildung fürchten. Alles in sich stimmige und berechtigte Anliegen.
Es braucht Prioritäten, Tages Anzeiger, 13.5. Kommentar von Arthur Rutishauser



Was also müsste man tun? Prioritäten setzen. Doch was geschieht? Alle werden irgendwie berücksichtigt, das Resultat ist ein fauler Kompromiss. Besonders augenfällig ist das bei den Sprachen: Da kam erst die Idee des Frühfranzösischen. Spielerisch sollte es sein und quasi gratis dazu führen, dass der nationale Zusammenhalt gefördert werde. Dafür mussten Primarlehrer in die Weiterbildung, mit höchst unterschiedlichem Resultat und Kosten von 30 Millionen Franken.

Beim Frühenglisch wiederholte sich die Übung, nur dass diesmal vor allem die Handarbeitslehrerinnen die Zeche zahlten, weil deren Stundenzahl gekürzt wurde. Kostenpunkt: 11 Millionen für die Grundausbildung und 8 Millionen für die Weiterbildung. Inzwischen hat man die Handarbeit wieder eingeführt, Englisch wird ab der 3. und Französisch ab der 5. Klasse je zwei Stunden die Woche gelehrt. Geht man davon aus, dass es 800 bis 1000 Stunden braucht, bis man eine Sprache beherrscht, kann man sich vorstellen, zu welchem Lernerfolg das führt.

Hinzu kommt: Meist sind alle zusammen im selben Klassenzimmer, ob frisch zugewandert und eigentlich am Deutschlernen, ob lernzielbefreit, kurz vor der Gymi-Prüfung oder zweisprachig. Kein Wunder, ist der Lehr- und Lernerfolg mässig bis katastrophal, vor allem im Französisch, wo vielen, anders als im Englisch, der Bezug und die Motivation fehlen.
Gerade mal ein Drittel der Schülerinnen und Schüler erreicht die Lernziele, sagt eine Studie aus der Innerschweiz, und wer das nicht glaubt, der soll einmal in eine Klasse sitzen.
Nun wollen also die Lehrer das Rad wieder zurückdrehen und die zweite Fremdsprache in die Sekundarschule verschieben. Das scheint nur konsequent. Wenn man in den letzten zehn Jahren nicht fähig war, die Lehrpläne der Primarschulen so zu entlasten, dass mit wenigstens vier Wochenstunden pro Sprache ein Lernerfolg für die Mehrheit der Schüler realistisch erscheint, dann ist der Mehrsprachenunterricht nicht mehr als eine Farce. Dafür ist die Zeit an den Schulen zu kostbar. Darum scheint die Idee der Initianten, erst auf Sekundarstufe, dafür intensiver mit der zweiten Sprache zu beginnen, der viel bessere Weg.
In der Sekundarschule hat man wenigstens die Möglichkeit, dies in Niveauklassen zu tun. In der Stadt Zürich ist das heute längst nicht überall der Fall. Oft werden aus ideologischen Gründen auch auf dieser Stufe alle Niveaus im gleichen Raum unterrichtet. Damit ist auch gesagt, was als Nächstes kommen sollte: eine ehrliche Gesamtschau der Schulreformen der letzten Jahre und eine Auseinandersetzung darüber, wo neben dem Fremdsprachenunterricht noch Korrekturen ­nötig wären.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen