Jugendliche, die ein Gymnasium besuchen wollen, müssen je nach Kanton
unterschiedliche Anforderungen erfüllen. Auf der Strecke bleibt dabei die
Chancengleichheit – vor allem für eine bestimmte Gruppe von Jugendlichen.
Ungleiche Hürden fürs Gymnasium, NZZ, 14.8. von Jörg Krummenacher
In vielen Kantonen beginnt an diesem Montag wieder der schulische
Alltag. Jene Jugendlichen, die ihren ersten Schultag an einer Mittelschule
absolvieren, haben höchst unterschiedliche Aufnahmeverfahren hinter sich, denn
jeder Kanton pflegt dabei sein eigenes Prozedere. Dabei gilt: 26 Kantone, 26
Verfahren. Anders als etwa bei den Fremdsprachen ist eine Harmonisierung in
diesem Bereich in weiter Ferne, ein Austausch findet kaum statt. 2016 sprach
sich die kantonale Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) gegen eine
Vereinheitlichung der Aufnahmebedingungen fürs Gymnasium aus, widerspreche dies
doch der Schulhoheit der Kantone.
Versteckter Numerus clausus
Der Föderalismus blüht, und er hat zu einem Dschungel höchst komplexer,
unterschiedlicher Regelungen geführt. Das wäre an sich kein Problem, würden
damit nicht Ungerechtigkeiten beim Zugang zur gymnasialen Ausbildung
geschaffen. Beispielhaft seien zwei Kantone genannt: Genf im Südwesten des
Landes und St. Gallen im Nordosten. Im Kanton Genf erfolgt die Aufnahme in die
Mittelschule ohne Prüfung, sofern die Promotionsordnung erfüllt wird oder die
geforderten Notendurchschnitte erreicht werden. In St. Gallen hingegen spielen
die Vornoten keine Rolle; entscheidend ist einzig die Aufnahmeprüfung, bei der
im Durchschnitt ein Viertel aller Teilnehmer durchfällt.
Auffallend ist, dass in St. Gallen immer etwa gleich viele Jugendliche
die Aufnahme schaffen, passend zur Zahl der zur Verfügung stehenden Plätze und
gebildeten Klassen. Man ist versucht, von einem versteckten Numerus clausus zu
sprechen. Indirekte Steuerungen der Gymnasialquote existieren in weiteren
Kantonen. So gibt beispielsweise die Zuger Direktion für Bildung und Kultur
vor, die Quote beim Übertritt ans Gymnasium bei etwa 18 Prozent zu halten.
Franz Eberle, Professor für Gymnasial- und Wirtschaftspädagogik an der
Universität Zürich, hält es «aus Gerechtigkeitsgründen für wünschenswert», die
Bedingungen bei der Aufnahme ins Gymnasium unter den Kantonen anzugleichen und
vermehrt darauf zu achten, dass die Anforderungen zwischen den Schulen und
Kantonen vergleichbar sind. Es dürfe nicht sein, kritisiert er, dass die
Zulassungsverfahren in einem Kanton mild und in einem anderen hart ausfielen.
Die heutige Situation habe zur Folge, dass in den Kantonen auch die Anforderungen
für die spätere Zugangsberechtigung für die Universitäten unterschiedlich seien
– notabene für Jugendliche mit gleicher schulischer Leistungsfähigkeit.
Einfacher in der Westschweiz
Nicht gegeben ist die Chancengerechtigkeit insbesondere bei Jugendlichen
aus sozial benachteiligten Verhältnissen. Darauf hat gerade der Kanton St.
Gallen bereits 2014 in einem Bericht hingewiesen: Solche Jugendliche hätten
«selbst bei hohen fachlichen Kompetenzen nur eine geringe Chance, ein Gymnasium
zu besuchen». Verbessert hat sich die Situation seit Publikation des Berichts
kaum.
Tendenziell gilt: In Westschweizer Kantonen sind die Hürden für den
Zugang zu den Mittelschulen niedriger als in der Deutschschweiz, am höchsten
sind sie in Ostschweizer Kantonen. Der Zusammenhang mit den Aufnahmeverfahren
ist augenfällig: Die strengen Kantone führen meist Aufnahmeprüfungen durch, die
weniger strengen keine oder nur ergänzende. Allein auf Prüfungen stellen in der
Regel nur die sechs Kantone Zürich, Aargau, St. Gallen, Thurgau, Schaffhausen
und Appenzell Ausserrhoden ab.
Prüfungsfächer sind vor allem Deutsch,
Mathematik und Französisch. Zehn Kantone setzen auf kombinierte Verfahren, in
die sowohl Prüfungsergebnisse wie Vorleistungen einfliessen. Welcher
Notendurchschnitt für die Aufnahme in die Mittelschule reicht, ist aber in
jedem Kanton wieder unterschiedlich geregelt.
Eine Besonderheit pflegt der Kanton Schwyz: Er verlangt zusätzlich ein
Bewerbungsschreiben.
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