14. August 2017

Unfaire Unterschiede bei Zulassung zum Gymnasium

Jugendliche, die ein Gymnasium besuchen wollen, müssen je nach Kanton unterschiedliche Anforderungen erfüllen. Auf der Strecke bleibt dabei die Chancengleichheit – vor allem für eine bestimmte Gruppe von Jugendlichen.
Ungleiche Hürden fürs Gymnasium, NZZ, 14.8. von Jörg Krummenacher



In vielen Kantonen beginnt an diesem Montag wieder der schulische Alltag. Jene Jugendlichen, die ihren ersten Schultag an einer Mittelschule absolvieren, haben höchst unterschiedliche Aufnahmeverfahren hinter sich, denn jeder Kanton pflegt dabei sein eigenes Prozedere. Dabei gilt: 26 Kantone, 26 Verfahren. Anders als etwa bei den Fremdsprachen ist eine Harmonisierung in diesem Bereich in weiter Ferne, ein Austausch findet kaum statt. 2016 sprach sich die kantonale Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) gegen eine Vereinheitlichung der Aufnahmebedingungen fürs Gymnasium aus, widerspreche dies doch der Schulhoheit der Kantone.

Versteckter Numerus clausus
Der Föderalismus blüht, und er hat zu einem Dschungel höchst komplexer, unterschiedlicher Regelungen geführt. Das wäre an sich kein Problem, würden damit nicht Ungerechtigkeiten beim Zugang zur gymnasialen Ausbildung geschaffen. Beispielhaft seien zwei Kantone genannt: Genf im Südwesten des Landes und St. Gallen im Nordosten. Im Kanton Genf erfolgt die Aufnahme in die Mittelschule ohne Prüfung, sofern die Promotionsordnung erfüllt wird oder die geforderten Notendurchschnitte erreicht werden. In St. Gallen hingegen spielen die Vornoten keine Rolle; entscheidend ist einzig die Aufnahmeprüfung, bei der im Durchschnitt ein Viertel aller Teilnehmer durchfällt.
Auffallend ist, dass in St. Gallen immer etwa gleich viele Jugendliche die Aufnahme schaffen, passend zur Zahl der zur Verfügung stehenden Plätze und gebildeten Klassen. Man ist versucht, von einem versteckten Numerus clausus zu sprechen. Indirekte Steuerungen der Gymnasialquote existieren in weiteren Kantonen. So gibt beispielsweise die Zuger Direktion für Bildung und Kultur vor, die Quote beim Übertritt ans Gymnasium bei etwa 18 Prozent zu halten.

Franz Eberle, Professor für Gymnasial- und Wirtschaftspädagogik an der Universität Zürich, hält es «aus Gerechtigkeitsgründen für wünschenswert», die Bedingungen bei der Aufnahme ins Gymnasium unter den Kantonen anzugleichen und vermehrt darauf zu achten, dass die Anforderungen zwischen den Schulen und Kantonen vergleichbar sind. Es dürfe nicht sein, kritisiert er, dass die Zulassungsverfahren in einem Kanton mild und in einem anderen hart ausfielen. Die heutige Situation habe zur Folge, dass in den Kantonen auch die Anforderungen für die spätere Zugangsberechtigung für die Universitäten unterschiedlich seien – notabene für Jugendliche mit gleicher schulischer Leistungsfähigkeit.

Einfacher in der Westschweiz
Nicht gegeben ist die Chancengerechtigkeit insbesondere bei Jugendlichen aus sozial benachteiligten Verhältnissen. Darauf hat gerade der Kanton St. Gallen bereits 2014 in einem Bericht hingewiesen: Solche Jugendliche hätten «selbst bei hohen fachlichen Kompetenzen nur eine geringe Chance, ein Gymnasium zu besuchen». Verbessert hat sich die Situation seit Publikation des Berichts kaum.

Tendenziell gilt: In Westschweizer Kantonen sind die Hürden für den Zugang zu den Mittelschulen niedriger als in der Deutschschweiz, am höchsten sind sie in Ostschweizer Kantonen. Der Zusammenhang mit den Aufnahmeverfahren ist augenfällig: Die strengen Kantone führen meist Aufnahmeprüfungen durch, die weniger strengen keine oder nur ergänzende. Allein auf Prüfungen stellen in der Regel nur die sechs Kantone Zürich, Aargau, St. Gallen, Thurgau, Schaffhausen und Appenzell Ausserrhoden ab. 
Prüfungsfächer sind vor allem Deutsch, Mathematik und Französisch. Zehn Kantone setzen auf kombinierte Verfahren, in die sowohl Prüfungsergebnisse wie Vorleistungen einfliessen. Welcher Notendurchschnitt für die Aufnahme in die Mittelschule reicht, ist aber in jedem Kanton wieder unterschiedlich geregelt.

Eine Besonderheit pflegt der Kanton Schwyz: Er verlangt zusätzlich ein Bewerbungsschreiben.


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