17. September 2017

Mehr Klassen für Sonderschüler

Der Kanton Bern reagiert auf den Mangel an Plätzen in heilpädagogischen Sonderschulen und schafft neue Klassen. Bei den Schulen spricht man schon von einer Entspannung der Situation.

Kanton schafft Platz für Sonderschüler, Berner Zeitung, 17.9. von Marius Aschwanden

Mittlerweile hat der Kanton ­reagiert. Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne) hat die Sonderschulstrategie in die Vernehmlassung geschickt, mit der die Aufnahmepflicht endlich eingeführt werden soll. Und auch die Gesundheits- und Fürsorgedirektion (GEF) ist nicht untätig geblieben. Sie hat mit dem Beginn des neuen Schuljahrs in allen Regionen des Kantons gesamthaft 93 neue Plätze geschaffen, wie sie gestern mitteilte.Das eigene Kind wird ausgeschult, weil es in der normalen Schule nicht mehr tragbar ist. Einen Platz in einer heilpädagogischen Sonderschule jedoch finden die Eltern nicht, da die Institutionen noch immer nicht zur Aufnahme verpflichtet sind. Kommt hinzu, dass diese aufgrund der starken Zunahme der Sonderschüler in den letzten neun Jahren von 1500 auf über 2500 sowieso aus allen Nähten platzen. Das Resultat: Jedes Jahr müssen im Kanton Bern über ein Dutzend Kinder zu Hause bleiben, weil sie quasi aus dem System gefallen sind (wir berich­teten).

Beruhigung in Biel
Besonders gravierend war die ­Situation gemäss der Medienmitteilung in der Region Biel und im Berner Jura. In Tavannes und in Lyss wurden deshalb je zwei neue Sonderschulklassen eröffnet. ­Zudem gibt es in Biel zwei neue französischsprachige Sprachheilbasisklassen. Und schliesslich habe die GEF bei Bedarf den Institutionen zusätzliche finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt, damit die betroffenen Kinder geeignet unterricht werden könnten.

Anton Wagner, Leiter der Heilpädagogischen Tagesschule Biel, bestätigt, dass sich die Situation für den Moment entschärft habe. «Mittlerweile wurde auch für die französischsprachige Region eine Onlineplattform installiert, wo alle Kinder registriert ­wer­den, die noch einen Platz ­su­chen», so Wagner. Darauf hätten alle Institutionen Zugriff. So könne für praktisch alle Schüler eine gute Lösung gefunden werden.
Laut Wagner hat sich auch die Zusammenarbeit mit der GEF verbessert. «Der Wille vonseiten des Kantons ist sehr gross und ­finanzielle Mittel werden un­bürokratisch zur Verfügung gestellt», sagt er.

Kosten unbekannt
Gehandelt hat die GEF auch in anderen Regionen des Kantons. So wurden in der Umgebung von Bern, in Gstaad, Gümligen, Köniz und Münchenbuchsee die Anzahl Klassen ebenfalls erhöht. In ­Langenthal, Burgdorf und Interlaken wurde zudem das Personal aufgestockt, sodass in den Sonderschulen mehr Kinder aufgenommen werden können. Und schliesslich sollen im Emmental, in Zollikofen und in Worb spätestens auf Beginn des nächsten Schuljahres auch noch neue Klassen eröffnet werden.

Trotz all dieser Bemühungen würden gemäss Kanton derzeit noch immer «eine Handvoll Sonderschülerinnen und Sonderschüler» auf einen Schulplatz warten. «Es handelt sich dabei um Kinder und Jugendliche mit zum Teil hochkomplexen Schwierigkeiten», sagt Thomas Schüpbach, Leiter der Abteilung Kinder und Jugendliche bei der GEF. Ziel sei es zudem, einen ­bedarfsgerechten Platz zu finden. Weil dies teilweise auch Anpassungen vonseiten der Sonderschulen verlange, gehe das nicht «von heute auf morgen».
Wie teuer den Kanton die ­zusätzlichen Plätze kommen, kann Schüpbach derzeit noch nicht abschätzen. Diese würden auch nur so lange finanziert, wie sie tatsächlich benötigt würden. «Mit einem quartalsweisen Monitoring überprüfen wir, ob die Kinder nicht zurück in der Regel- oder Herkunftsklassen integriert werden können», sagt Schüpbach.

Auffangbecken weggefallen
Gerade bei dieser Integration ­sehen viele Fachleute aber den Grund für die starke Zunahme an Sonderschülern. Seit 2008 werden im Kanton Bern lernschwache oder verhaltensauffällige Schüler möglichst in der Regelschule unterrichtet. Seither hat die Anzahl Kleinklassen von 411 auf unter 150 abgenommen. Die zunehmende Integration bedeute trotz Stützunterricht aber eine grosse Mehrbelastung für die Lehrer. Diese stossen zunehmend an ihre Grenzen. Das führe dazu, dass heute schneller Kinder ausgeschult würden als früher, heisst es. Entsprechend steigt die Anzahl Sonderschüler.
Erst kürzlich haben sich ­deshalb über 1000 Lehrpersonen an Erziehungsdirektor Bernhard Pulver gewandt und mehr Teamunterricht gefordert.


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