Die Digitalisierung hält dank dem Lehrplan 21 nun definitiv auch in der
Volksschule Einzug. Medien und Informatik heisst das Fach, das im kommenden
Schuljahr eingeführt wird. Im Kanton Zürich steht es ab der fünften Klasse auf
dem Stundenplan. Die meisten Kinder, von denen viele Smartphone und Computer
bereits heute in der Freizeit nutzen, wird’s freuen. Medien und Informatik als
obligatorisches Schulfach ist aber nur eine der Neuerungen. Darüber hinaus
sollen die Schülerinnen und Schüler künftig über alle Stufen – vom Kindergarten
bis zur Sekundarschule – sogenannte digitale Anwendungskompetenzen erwerben. Der
Unterricht wird sich in nächster Zeit grundlegend verändern.
Die Zürcher Schule wird zur digitalen Welt, NZZ, 18.11. von Rebekka Haefeli
Das Schul- und Sportdepartement der Stadt Zürich sammelt bereits seit
fünfzehn Jahren Erfahrungen mit der Digitalisierung. In allen Klassen stehen
zwei bis drei Notebooks zur Verfügung. Ausserdem gibt es einzelne
Versuchsklassen, die intensiver mit Informatik arbeiten und in denen jedem
Schulkind ein Tablet zur Verfügung steht. Ein Augenschein in einer solchen
Klasse im Stadtzürcher Schulhaus Allenmoos lässt erahnen, wie die Schule der
Zukunft aussehen könnte. Der Lehrer der Fünft- und Sechstklässler im Allenmoos,
Davide Continati, fordert die Schülerinnen und Schüler zu Beginn der Stunde
auf, Zweier- oder Dreiergruppen zu bilden. Jede Gruppe bekommt ein Tablet mit
Tastatur. Die Aufgabe: Die Kinder sollen am Bildschirm ein Plakat entwerfen,
mit dem sie ihr Schulhaus präsentieren.
Mit Kreide hat der Lehrer ein paar Ideen an die Wandtafel geschrieben.
Die Kinder könnten einzelne Räume der Schule zeigen oder ein paar der Regeln
zusammenfassen, die im Schulhaus gelten. Oder sie haben die Möglichkeit, andere
Lehrpersonen oder den Hauswart zu ihrer Arbeit zu befragen und sie
vorzustellen. Der Kreativität der Schülerinnen und Schüler sind wenig Grenzen
gesetzt. Sie dürfen mit dem Tablet Tondokumente und Fotos aufnehmen, Videos
aufzeichnen und diese schneiden, eine Zeichnung oder einen Comic anfertigen
oder einen Text verfassen. Die entsprechenden Programme sind auf den Tablets
alle vorhanden.
Der Lehrer wird gegoogelt
Motiviert machen sich die 11- bis 12-jährigen Schülerinnen und Schüler
an die Arbeit, stecken die Köpfe zusammen und diskutieren lebhaft darüber, wie
sie ihr Plakat gestalten wollen. Ein paar der Gruppen verlassen das Schulzimmer
und installieren sich mit ihrem Gerät im Korridor bei den Garderoben. Drei
Buben zeichnen eine Tonsequenz auf. «Die Schule Allenmoos ist toll», wiederholt
einer der Schüler fünf oder sechs Mal. Beim Abhören des Tondokuments lachen sie
laut. «Wo finden wir Herrn Continati?», fragen sich derweil im Schulzimmer drei
Mädchen. Sie haben nach einem Bild ihres Lehrers gegoogelt, doch Herr Continati
ist im Netz nicht auffindbar. «Dann machen wir eine Foto von ihm», beschliessen
die Schülerinnen.
Für Davide Continati ist es der zweite Klassenzug, mit dem er mit den
Tablets arbeitet. Von aussen betrachtet scheint es, als hätten ausnahmslos alle
Schülerinnen und Schüler grosse Freude am Unterricht mit den digitalen Geräten.
Der Lehrer bestätigt diesen ersten Eindruck, schränkt aber ein, es gebe grosse
Unterschiede. Kinder, die generell etwas ängstlicher seien als andere,
getrauten sich etwa auch weniger, mit dem Computer zu experimentieren. Sie
warteten lieber darauf, bis er als Lehrer eine genaue Anweisung gebe.
Das Tablet sei nicht immer die erste Wahl im Unterricht. Gewisse Aufgaben
erledigten einige Kinder immer noch lieber von Hand, erzählt Continati.
«Kürzlich habe ich mit der Klasse ein Diktat geschrieben. Ich stellte den
Schülern frei, ob sie dazu das Tablet und die Tastatur benutzen wollten.» Etwa
die Hälfte der Klasse habe sich für die digitale, die andere Hälfte für die
konventionelle Variante entschieden. Das Beispiel zeigt, wie sich die
Schulkinder über alle Stufen der Volksschule digitale Kompetenzen aneignen
können. Continati setzt die Tablets hin und wieder auch in der Mathematikstunde
ein, etwa zum Erstellen von Tabellen.
Für die rund 30 000 Stadtzürcher Schülerinnen und Schüler sind zurzeit
rund 7000 Notebooks und Tablets im Einsatz, wie Projektleiter Andi Hess vom
Schulamt ausführt. Vor dem nächsten Sommer müssen nun wegen des Lehrplans 21
zahlreiche zusätzliche Geräte angeschafft werden. Hess erklärt, man habe
verschiedene Varianten und Gerätetypen geprüft.
Tablets mit Touchscreen etwa eigneten sich besonders für jüngere Kinder,
die damit einen intuitiven Zugang zur Materie fänden. Eine Möglichkeit sei,
dass alle Fünftklässler ein «eigenes» Gerät bekämen; so wie ihnen heute
Lehrbücher für eine gewisse Zeit zur Verfügung gestellt würden. Alternativ dazu
könnte man für die Schulhäuser «Computer-Flotten» anschaffen, die von den
Lehrpersonen bei Bedarf ins Schulzimmer geholt würden.
Hess rechnet in einem ersten Schritt mit einem Bedarf von rund 3000
neuen Geräten. Dies für den Fall, dass jedes Kind in der fünften Klasse sein
«eigenes» Gerät erhält. «Im übernächsten Jahr käme für die fünften Klassen
nochmals etwa dieselbe Anzahl hinzu.» Die Kosten für die Anschaffung der ersten
3000 Geräte dürften im Millionenbereich liegen; inklusive Betriebssystem,
Netzwerk und Support. Die Entscheidungsgrundlagen für die verschiedenen
Varianten gingen demnächst in den Stadtrat, sagt Hess weiter.
Im Gespräch ist laut dem Projektleiter auch «Bring your own device», was
bedeuten würde, dass die Kinder – falls vorhanden – ihr eigenes Gerät von zu
Hause mitbringen. Den anderen Kindern würde die Schule ein Gerät zur Verfügung
stellen. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat
zwischen 2014 und 2015 das Mediennutzungsverhalten von Primarschulkindern
untersucht. Dabei wurden mehr als 1000 Kinder zwischen 6 und 13 Jahren und mehr
als 600 Eltern in der Schweiz befragt. Die Studie ergab, dass Handy oder
Smartphone in 98 Prozent der Haushalte verfügbar sind, Computer oder Laptop in
97 Prozent und ein Tablet in 76 Prozent der Haushalte. Andi Hess sagt, über die
Variante «Bring your own device» werde in Fachkreisen nicht aus Spargründen
diskutiert. «Im Vordergrund steht vielmehr die Frage, wie wir vorhandene
Ressourcen optimal nutzen können.»
Heikles Schulsponsoring
Die Einführung des Schulfachs Medien und Informatik stellt sämtliche
Gemeinden im Kanton Zürich vor schwierige Entscheide. Die Anschaffung von neuen
Geräten ist kostspielig und will darum gut überlegt sein. Marion Völger, Chefin
des kantonalen Volksschulamtes, sagt auf Anfrage, rund 80 Prozent der Gemeinden
hätten zum jetzigen Zeitpunkt eine Basisvariante umgesetzt. «Sie sind schon jetzt
bereit für den Lehrplan 21.» Auch bei den übrigen sei das Volksschulamt sicher,
dass die Entscheidungen rechtzeitig fielen. «Wir unterstützen sie aktiv bei
offenen Fragen.»
Fragen stellen sich zum Beispiel bezüglich Datenschutz, vor allem aber
auch bei der Finanzierung. Wie und welche Geräte sie anschaffen, liegt in der
Kompetenz der Gemeinden, wie Marion Völger ausführt. Eine Gemeinde kann
Computer also kaufen oder leasen, und auch Sponsoring ist nicht ausgeschlossen.
Ein heikles Thema, wie die Chefin des Volksschulamtes einräumt. «Firmen dürfen
in den Schulen nicht unangemessen für sich werben.» Was das genau heisse, sei
in der Finanzverordnung zum Volksschulgesetz beschrieben. «Grundsätzlich darf
der gesponserte Betrag eine bestimmte Höhe nicht überschreiten.»
Marion Völger weist darauf hin, dass die Finanzierung nur ein Teil der
Herausforderungen ist. «Ebenso wichtig ist, dass innovative Leute den Lehrplan
21 vorantreiben und alle am gleichen Strick ziehen.» – Mit dem Computer im
Schulzimmer ist es auf jeden Fall nicht getan. In den nächsten Jahren werden
sich auch die Lehrmittel verändern: Die Kinder lernen nicht mehr nur mit
Schulbüchern, sondern nutzen auch digitale Plattformen. In mehreren Fächern
sind sie bereits im Einsatz.
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