18. November 2017

Digitale Aufrüstung stellt auch Zürich vor Herausforderungen

Die Digitalisierung hält dank dem Lehrplan 21 nun definitiv auch in der Volksschule Einzug. Medien und Informatik heisst das Fach, das im kommenden Schuljahr eingeführt wird. Im Kanton Zürich steht es ab der fünften Klasse auf dem Stundenplan. Die meisten Kinder, von denen viele Smartphone und Computer bereits heute in der Freizeit nutzen, wird’s freuen. Medien und Informatik als obligatorisches Schulfach ist aber nur eine der Neuerungen. Darüber hinaus sollen die Schülerinnen und Schüler künftig über alle Stufen – vom Kindergarten bis zur Sekundarschule – sogenannte digitale Anwendungskompetenzen erwerben. Der Unterricht wird sich in nächster Zeit grundlegend verändern.
Die Zürcher Schule wird zur digitalen Welt, NZZ, 18.11. von Rebekka Haefeli


Das Schul- und Sportdepartement der Stadt Zürich sammelt bereits seit fünfzehn Jahren Erfahrungen mit der Digitalisierung. In allen Klassen stehen zwei bis drei Notebooks zur Verfügung. Ausserdem gibt es einzelne Versuchsklassen, die intensiver mit Informatik arbeiten und in denen jedem Schulkind ein Tablet zur Verfügung steht. Ein Augenschein in einer solchen Klasse im Stadtzürcher Schulhaus Allenmoos lässt erahnen, wie die Schule der Zukunft aussehen könnte. Der Lehrer der Fünft- und Sechstklässler im Allenmoos, Davide Continati, fordert die Schülerinnen und Schüler zu Beginn der Stunde auf, Zweier- oder Dreiergruppen zu bilden. Jede Gruppe bekommt ein Tablet mit Tastatur. Die Aufgabe: Die Kinder sollen am Bildschirm ein Plakat entwerfen, mit dem sie ihr Schulhaus präsentieren.

Mit Kreide hat der Lehrer ein paar Ideen an die Wandtafel geschrieben. Die Kinder könnten einzelne Räume der Schule zeigen oder ein paar der Regeln zusammenfassen, die im Schulhaus gelten. Oder sie haben die Möglichkeit, andere Lehrpersonen oder den Hauswart zu ihrer Arbeit zu befragen und sie vorzustellen. Der Kreativität der Schülerinnen und Schüler sind wenig Grenzen gesetzt. Sie dürfen mit dem Tablet Tondokumente und Fotos aufnehmen, Videos aufzeichnen und diese schneiden, eine Zeichnung oder einen Comic anfertigen oder einen Text verfassen. Die entsprechenden Programme sind auf den Tablets alle vorhanden.

Der Lehrer wird gegoogelt
Motiviert machen sich die 11- bis 12-jährigen Schülerinnen und Schüler an die Arbeit, stecken die Köpfe zusammen und diskutieren lebhaft darüber, wie sie ihr Plakat gestalten wollen. Ein paar der Gruppen verlassen das Schulzimmer und installieren sich mit ihrem Gerät im Korridor bei den Garderoben. Drei Buben zeichnen eine Tonsequenz auf. «Die Schule Allenmoos ist toll», wiederholt einer der Schüler fünf oder sechs Mal. Beim Abhören des Tondokuments lachen sie laut. «Wo finden wir Herrn Continati?», fragen sich derweil im Schulzimmer drei Mädchen. Sie haben nach einem Bild ihres Lehrers gegoogelt, doch Herr Continati ist im Netz nicht auffindbar. «Dann machen wir eine Foto von ihm», beschliessen die Schülerinnen.

Für Davide Continati ist es der zweite Klassenzug, mit dem er mit den Tablets arbeitet. Von aussen betrachtet scheint es, als hätten ausnahmslos alle Schülerinnen und Schüler grosse Freude am Unterricht mit den digitalen Geräten. Der Lehrer bestätigt diesen ersten Eindruck, schränkt aber ein, es gebe grosse Unterschiede. Kinder, die generell etwas ängstlicher seien als andere, getrauten sich etwa auch weniger, mit dem Computer zu experimentieren. Sie warteten lieber darauf, bis er als Lehrer eine genaue Anweisung gebe.
Das Tablet sei nicht immer die erste Wahl im Unterricht. Gewisse Aufgaben erledigten einige Kinder immer noch lieber von Hand, erzählt Continati. «Kürzlich habe ich mit der Klasse ein Diktat geschrieben. Ich stellte den Schülern frei, ob sie dazu das Tablet und die Tastatur benutzen wollten.» Etwa die Hälfte der Klasse habe sich für die digitale, die andere Hälfte für die konventionelle Variante entschieden. Das Beispiel zeigt, wie sich die Schulkinder über alle Stufen der Volksschule digitale Kompetenzen aneignen können. Continati setzt die Tablets hin und wieder auch in der Mathematikstunde ein, etwa zum Erstellen von Tabellen.

Für die rund 30 000 Stadtzürcher Schülerinnen und Schüler sind zurzeit rund 7000 Notebooks und Tablets im Einsatz, wie Projektleiter Andi Hess vom Schulamt ausführt. Vor dem nächsten Sommer müssen nun wegen des Lehrplans 21 zahlreiche zusätzliche Geräte angeschafft werden. Hess erklärt, man habe verschiedene Varianten und Gerätetypen geprüft.

Tablets mit Touchscreen etwa eigneten sich besonders für jüngere Kinder, die damit einen intuitiven Zugang zur Materie fänden. Eine Möglichkeit sei, dass alle Fünftklässler ein «eigenes» Gerät bekämen; so wie ihnen heute Lehrbücher für eine gewisse Zeit zur Verfügung gestellt würden. Alternativ dazu könnte man für die Schulhäuser «Computer-Flotten» anschaffen, die von den Lehrpersonen bei Bedarf ins Schulzimmer geholt würden.
Hess rechnet in einem ersten Schritt mit einem Bedarf von rund 3000 neuen Geräten. Dies für den Fall, dass jedes Kind in der fünften Klasse sein «eigenes» Gerät erhält. «Im übernächsten Jahr käme für die fünften Klassen nochmals etwa dieselbe Anzahl hinzu.» Die Kosten für die Anschaffung der ersten 3000 Geräte dürften im Millionenbereich liegen; inklusive Betriebssystem, Netzwerk und Support. Die Entscheidungsgrundlagen für die verschiedenen Varianten gingen demnächst in den Stadtrat, sagt Hess weiter.

Im Gespräch ist laut dem Projektleiter auch «Bring your own device», was bedeuten würde, dass die Kinder – falls vorhanden – ihr eigenes Gerät von zu Hause mitbringen. Den anderen Kindern würde die Schule ein Gerät zur Verfügung stellen. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat zwischen 2014 und 2015 das Mediennutzungsverhalten von Primarschulkindern untersucht. Dabei wurden mehr als 1000 Kinder zwischen 6 und 13 Jahren und mehr als 600 Eltern in der Schweiz befragt. Die Studie ergab, dass Handy oder Smartphone in 98 Prozent der Haushalte verfügbar sind, Computer oder Laptop in 97 Prozent und ein Tablet in 76 Prozent der Haushalte. Andi Hess sagt, über die Variante «Bring your own device» werde in Fachkreisen nicht aus Spargründen diskutiert. «Im Vordergrund steht vielmehr die Frage, wie wir vorhandene Ressourcen optimal nutzen können.»

Heikles Schulsponsoring
Die Einführung des Schulfachs Medien und Informatik stellt sämtliche Gemeinden im Kanton Zürich vor schwierige Entscheide. Die Anschaffung von neuen Geräten ist kostspielig und will darum gut überlegt sein. Marion Völger, Chefin des kantonalen Volksschulamtes, sagt auf Anfrage, rund 80 Prozent der Gemeinden hätten zum jetzigen Zeitpunkt eine Basisvariante umgesetzt. «Sie sind schon jetzt bereit für den Lehrplan 21.» Auch bei den übrigen sei das Volksschulamt sicher, dass die Entscheidungen rechtzeitig fielen. «Wir unterstützen sie aktiv bei offenen Fragen.»

Fragen stellen sich zum Beispiel bezüglich Datenschutz, vor allem aber auch bei der Finanzierung. Wie und welche Geräte sie anschaffen, liegt in der Kompetenz der Gemeinden, wie Marion Völger ausführt. Eine Gemeinde kann Computer also kaufen oder leasen, und auch Sponsoring ist nicht ausgeschlossen. Ein heikles Thema, wie die Chefin des Volksschulamtes einräumt. «Firmen dürfen in den Schulen nicht unangemessen für sich werben.» Was das genau heisse, sei in der Finanzverordnung zum Volksschulgesetz beschrieben. «Grundsätzlich darf der gesponserte Betrag eine bestimmte Höhe nicht überschreiten.»

Marion Völger weist darauf hin, dass die Finanzierung nur ein Teil der Herausforderungen ist. «Ebenso wichtig ist, dass innovative Leute den Lehrplan 21 vorantreiben und alle am gleichen Strick ziehen.» – Mit dem Computer im Schulzimmer ist es auf jeden Fall nicht getan. In den nächsten Jahren werden sich auch die Lehrmittel verändern: Die Kinder lernen nicht mehr nur mit Schulbüchern, sondern nutzen auch digitale Plattformen. In mehreren Fächern sind sie bereits im Einsatz.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen