In seinem Beitrag «Wider den Leistungswahn»nimmt Bernhard Bonjour Stellung zu Katja Christs Artikel über Lernberichte undLeistungschecks. Viel Kritik an der Leistungsmessung ist bisher zur Sprache
gekommen, nicht aber der Grund, warum schon in der ersten Schulzeit plötzlich
ein solcher Vermessungseifer ausgebrochen ist. Dies soll hier nachgeholt
werden.
Wieso diese umstrittenen Lernberichte? Basler Zeitung, 17.11. von Felix Schmutz
Die
Lernberichte und die Checks sind nichts anderes als eine logische Konsequenz
des Lehrplans 21, der von linken wie bürgerlichen Politikern und von
Lehrerorganisationen mit nur geringfügigen Änderungswünschen breit abgesegnet
und als zukunftsträchtige Neuausrichtung der Volksschule begrüsst wurde. Die
Umsetzung hat in Basel-Stadt bereits begonnen und wird in den anderen Kantonen
folgen.
Der
Lehrplan 21 besteht aus einer Auflistung von fachlichen und überfachlichen Kompetenzen,
beginnend ab Schuljahr 1. Kompetenzen geben an, welches Können auf den
jeweiligen Schulstufen erreicht werden soll. Entgegen dem vom Volk 2006
angenommenen Gesetz, das eine Harmonisierung der «Ziele und Inhalte» der
Volksschule in der Schweiz forderte, sind Inhalte im Lehrplan nur noch
austauschbare Grössen. Die Ausrichtung auf Kompetenzen ist eine Anpassung an
die PISA-Tests, die seit der Jahrtausendwende in ausgewählten Fächern
regelmässig die Qualität der Schulen in Ländervergleichen messen. Kaum jemand
hat sich an dieser Umdeutung des Harmonisierungsgesetzes von Inhalten zu
Kompetenzen gestossen.
Angepasst
an die Ziele
Gleichzeitig
mit dem Lehrplan sollen auch die Leistungsbeurteilungen an die neuen Ziele
angepasst werden. Es ist deshalb ganz folgerichtig, wenn sich die Beurteilungen
nunmehr nach den im Lehrplan aufgeführten Kompetenzen richten. Wer A sagt, muss
auch B sagen!
Viele
Lehrpersonen an der Basis scheinen erst jetzt zu bemerken, wovor führende
Philosophen und Wissenschaftler aus verschiedensten Disziplinen in mehreren
europäischen Ländern schon lange warnen: Die Kompetenzorientierung reduziert
das, was Bildung ausmacht, auf den praktischen Output, auf das Lösen von
Testaufgaben, denn nur dieses ist messbar. Dass etwas verstanden, memoriert,
mit früherem Wissen vernetzt und vielfach angewendet werden muss, bevor es
assimiliert und als Kompetenz allgemein wirksam werden kann, bleibt unbeachtet.
Kompetenzorientierung erfasst auch das Verhalten der Kinder in Anlehnung an
psychometrische Grössen. Die Ziele erscheinen in einem oft schwammig-abstrakten
Begriffsnebel oder fokussieren auf banal Selbstverständliches.
Beispiele,
Deutsch, 1./2. Klasse:
«Die
Schülerinnen und Schüler können ihren produktiven Wortschatz aktivieren, um
sich in verschiedenen Themen und Situationen sprachlich angemessen
auszudrücken.
Sie
können sich auf den Klang einer Stimme einlassen.»
Erst
jetzt, wo realen Kindern Kompetenz-Berichte dieses Zuschnitts ausgestellt
werden, scheint vielen ein Licht aufzugehen. Vielleicht dämmert es langsam,
welche gewaltigen Luftblasen Pädagogische Hochschulen und Erziehungsbehörden in
ihren kinder- und jugendfreien Büros ausgebrütet haben. Wie das Departement
Cramer betont, sind die Lernberichte für Kindergärten und Primarschulen nun
einmal beschlossen. Die Arbeitsgruppe, die mit der Überarbeitung beauftragt
ist, steht im Übrigen ebenfalls unter dem Zwang, sich an Kompetenzen
orientieren zu müssen. Vielleicht streicht sie ein paar Sätzchen oder
formuliert sie ein bisschen um. Das Prinzip wird jedoch nicht ändern. Die
Blätter müssen ausgefüllt werden.
Ein
Trost bleibt: Es gibt den Bebbisagg oder den Dokumentenvernichter. Die fressen
auch Lernberichte …
Felix
Schmutz (66) unterrichtete als Sekundarlehrer Deutsch, Französisch und
Englisch. Bis 2011 war er an der WBS Basel angestellt.
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