18. November 2017

Lernberichte und Checks als Konsequenz des Lehrplans 21

In seinem Beitrag «Wider den Leistungswahn»nimmt Bernhard Bonjour Stellung zu Katja Christs Artikel über Lernberichte undLeistungschecks. Viel Kritik an der Leistungsmessung ist bisher zur Sprache gekommen, nicht aber der Grund, warum schon in der ersten Schulzeit plötzlich ein solcher Vermessungseifer ausgebrochen ist. Dies soll hier nachgeholt werden.
Wieso diese umstrittenen Lernberichte? Basler Zeitung, 17.11. von Felix Schmutz

Die Lernberichte und die Checks sind nichts anderes als eine logische Konsequenz des Lehrplans 21, der von linken wie bürgerlichen Politikern und von Lehrerorganisationen mit nur geringfügigen Änderungswünschen breit abgesegnet und als zukunftsträchtige Neuausrichtung der Volksschule begrüsst wurde. Die Umsetzung hat in Basel-Stadt bereits begonnen und wird in den anderen Kantonen folgen.

Der Lehrplan 21 besteht aus einer Auflistung von fachlichen und überfachlichen Kompetenzen, beginnend ab Schuljahr 1. Kompetenzen geben an, welches Können auf den jeweiligen Schulstufen erreicht werden soll. Entgegen dem vom Volk 2006 angenommenen Gesetz, das eine Harmonisierung der «Ziele und Inhalte» der Volksschule in der Schweiz forderte, sind Inhalte im Lehrplan nur noch austauschbare Grössen. Die Ausrichtung auf Kompetenzen ist eine Anpassung an die PISA-Tests, die seit der Jahrtausendwende in ausgewählten Fächern regelmässig die Qualität der Schulen in Ländervergleichen messen. Kaum jemand hat sich an dieser Umdeutung des Harmonisierungsgesetzes von Inhalten zu Kompetenzen gestossen.

Angepasst an die Ziele
Gleichzeitig mit dem Lehrplan sollen auch die Leistungsbeurteilungen an die neuen Ziele angepasst werden. Es ist deshalb ganz folgerichtig, wenn sich die Beurteilungen nunmehr nach den im Lehrplan aufgeführten Kompetenzen richten. Wer A sagt, muss auch B sagen!
Viele Lehrpersonen an der Basis scheinen erst jetzt zu bemerken, wovor führende Philosophen und Wissenschaftler aus verschiedensten Disziplinen in mehreren europäischen Ländern schon lange warnen: Die Kompetenzorientierung reduziert das, was Bildung ausmacht, auf den praktischen Output, auf das Lösen von Testaufgaben, denn nur dieses ist messbar. Dass etwas verstanden, memoriert, mit früherem Wissen vernetzt und vielfach angewendet werden muss, bevor es assimiliert und als Kompetenz allgemein wirksam werden kann, bleibt unbeachtet. Kompetenzorientierung erfasst auch das Verhalten der Kinder in Anlehnung an psychometrische Grössen. Die Ziele erscheinen in einem oft schwammig-abstrakten Begriffsnebel oder fokussieren auf banal Selbstverständliches.

Beispiele, Deutsch, 1./2. Klasse:
«Die Schülerinnen und Schüler können ihren produktiven Wortschatz aktivieren, um sich in verschiedenen Themen und Situationen sprachlich angemessen auszudrücken.
Sie können sich auf den Klang einer Stimme einlassen.»

Erst jetzt, wo realen Kindern Kompetenz-Berichte dieses Zuschnitts ausgestellt werden, scheint vielen ein Licht aufzugehen. Vielleicht dämmert es langsam, welche gewaltigen Luftblasen Pädagogische Hochschulen und Erziehungsbehörden in ihren kinder- und jugendfreien Büros ausgebrütet haben. Wie das Departement Cramer betont, sind die Lernberichte für Kindergärten und Primarschulen nun einmal beschlossen. Die Arbeitsgruppe, die mit der Überarbeitung beauftragt ist, steht im Übrigen ebenfalls unter dem Zwang, sich an Kompetenzen orientieren zu müssen. Vielleicht streicht sie ein paar Sätzchen oder formuliert sie ein bisschen um. Das Prinzip wird jedoch nicht ändern. Die Blätter müssen ausgefüllt werden.

Ein Trost bleibt: Es gibt den Bebbisagg oder den Dokumentenvernichter. Die fressen auch Lernberichte …

Felix Schmutz (66) unterrichtete als Sekundarlehrer Deutsch, Französisch und Englisch. Bis 2011 war er an der WBS Basel angestellt.


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