20. November 2017

Oslo, Abu Dhabi, Basel oder doch Sion?

Vor sieben Jahren wurden wir Stadträte wegen des Umbaus unseres Stadtratssaals für ein Jahr in der Turnhalle des Neumarktschulhauses untergebracht. Während einer kühlen Februarsitzung fiel plötzlich die Heizung aus. Wir sassen in Mänteln und Mützen in unseren Stühlen und froren jämmerlich. Die Rettung kam in der Person von Fatlind, einem ehemaligen Schüler, der in der Bieler Firma Franconi eine Lehre als Sanitär- und Heizungsinstallateur machte. Natürlich erkannte er mich sofort und lachte: «Herr Pichard, keine Sorge, das regeln wir schon.» In der Schule konnte er einem den letzten Nerv ausreissen, jetzt war er für mich ein Engel.
Oslo, Abu Dhabi, Basel oder doch Sion? Bieler Tagblatt, 20.11. von Alain Pichard


Es dauerte eine Weile, aber die Heizung kam wieder in Schwung und wir konnten weiter debattieren. Als Lehrer erlebe ich es immer wieder, wie einseitig begabte oder schulmüde Jugendliche in einer Berufslehre aufblühen. Fatlinds Fähigkeit, Fachwissen praktisch anzuwenden(Skills) und seine in der Lehre erworbenen betrieblichen Arbeitsqualitäten wie Präzision, Verantwortung, Zuverlässigkeit, Termintreue, all das offenbarte sich jetzt in dieser kurzen Stunde. Der junge Migrantensohn war selbstbewusst und stolz.

Von aussen kommt unser duales Berufsbildungssystem immer wieder unter Beschuss. So rät die OECD der Schweiz regelmässig, ihre Maturquote zu erhöhen. Heute steht unser Berufsbildungsland dank seiner tiefen Jugendarbeitslosigkeit und der hohen industriellen Performance einiges besser da als die Länder mit vollschulischen Bildungsgängen.
Trotzdem neigen auch unsere Parlamentarier immer wieder zur Priorisierung der akademischen Bildungswege. Vor allem in der Bildungselite der Romandie gilt die Berufslehre als eine Art «Arme-Leute-Job». Und so läuft heute auch noch vieles in Richtung Akademisierung: in den Köpfen der Eltern, in den Medien und sogar in den Chefetagen der grossen Firmen. Dies manifestiert sich unter anderem auch bei der Verteilung der öffentlichen Finanzen. Für einen Gymnasiasten gibt die öffentliche Hand dreimal mehr aus als für einen gleichaltrigen Lehrling. Unsere Akademikerelite schielt ja auch lieber nach Oslo, während Fatlinds Leute an den Berufsweltmeisterschaften in Abu Dhabi sensationelle 30 Medaillen holten und damit den 2. Rang aller teilnehmenden Nationen belegten. Einzig die Volksrepublik China war noch etwas erfolgreicher.

Die Berufsweltmeisterschaften (Worldskills) 2021 hätten übrigens in Basel stattfinden sollen: Der Bund verzichtete aber angesichts der hohen Kosten auf eine Kandidatur.  30 Millionen Franken waren ihm zu viel.

Für die Olympischen Spiele in Sion 2026, in denen ja vor allem die Lügenleistungen mancher Spitzensportler im Vordergrund stehen, ist er bereit, 1 Milliarde auszugeben. Wie gesagt: Rhetorisch geniesst unser duales Bildungssystem jeweils grosse Unterstützung. In der Praxis unterstützt Ständerat Hans Stöckli, der vor sieben Jahren – damals als Stadtpräsident -  in der gleichen Turnhalle fror, lieber die Olympischen Spiele in Sion.


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