12. Dezember 2017

Systemwechsel ist ein Flop

Mit der Einführung des 6. Primarschuljahres auf Kosten der Sekundarschule geht die Leistungsschere der lernstarken und lernschwachen Primarschülerinnen und -schüler spürbar auseinander, zudem setzt die Pubertät ein. In derart heterogenen Klassen allen Kindern gerecht zu werden, ohne die Schwächsten zu überrollen und die Stärksten zu unterfordern, kommt einem Mehrfachspagat der Primarlehrpersonen gleich. Den Bildungsansprüchen jedes Einzelnen kann kaum mehr genügt werden – ein Bildungsabbau ist programmiert. Die Erfahrungen in den vergangenen zwei Jahren zeigen: Im 6. Primarschuljahr wird fachlich markant weniger behandelt, als dies früher im entsprechenden 1. Sekundarschuljahr der Fall war. Bildungspolitisch ist dieser Strukturwechsel ein Flopp. Finanziell hat sich die Sparübung nur für den Kanton gelohnt, indem er einen Viertel der Sekundarschulzeit durch entsprechend «günstigere» Primarlehrerlöhne ersetzen konnte. 
Nur die Wirtschaft hat Freude daran, Baselbieter Zeitung, 12.11. von Michael Pedrazzi


Im Kanton Baselland war bislang der Anteil der Schülerinnen und -schüler, die in der Sekundarschule ins progymnasiale Leistungsniveau P eingeteilt wurden, überdurchschnittlich hoch. Dieser Anteil war grösser als in meisten Kantonen, die schon früher sechs statt M fünf Primarschuljahre kannten. Um aber die Schüler fachlich gleich gut auf die Berufslehre und die weiterführenden Schulen (FMS, Gymnasium usw.) vorbereiten zu können, muss infolge des Wechsels von 4 auf 3 Jahren Sekundarschule der annähernd gleiche Stoff in einem Viertel weniger Zeit behandelt werden. 

Für die Lernenden wird der Unterricht insbesondere im anspruchsvollen Leistungsniveau P schwieriger, und die Anzahl derer, welche diese Anforderungen bewältigen können, wird sinken. Dies war das Ziel vieler Wirtschaftspolitiker, die sich nun die Hände reiben. Aus ihrer Sicht sollen weniger Schülerinnen und -schüler via Gymnasium an die Universität, sondern vermehrt eine Lehre absolvieren und damit früher ins Berufsleben einsteigen, was in erster Linie den Firmen dient. 

Nicht nur in diesem Beispiel greifen Wirtschaft und Verbände markant in unser Bildungssystem ein, um ihre Eigeninteressen durchzusetzen. Desgleichen wittern sie ihren kommerzgesteuerten Einfluss in den Schulzimmern mit Lehrmaterial, Apps und sonstigem «Product Placement». Auch in Bezug auf Unterrichtsphilosophie und Didaktik mischt die Privatindustrie mit Lehrmitteln des selbstorganisierten Lernens kräftig mit. Besonders deutlich ist dies zu spüren an den Exzessen der neuen Fremdsprachenlehrmittel «Mille Feuilles», «Clin d’Oeil» und «New World». Primarlehrpersonen müssen sich diesem Hintergrund bei der Einteilung ihrer Schützlinge in die drei Leistungszüge der Sekundarschule bewusst sein. Wenn sie dieser veränderten Situation und den Anforderungen der abnehmenden Schulen nicht gerecht werden, sinkt entweder das Leistungsniveau in den Anforderungsprofilen E und P, oder aber die Durchfallquote steigt. Insbesondere der letzte Punkt dürfte sich in Schüler-Frustration und Kritik seitens der Erziehungsberechtigten niederschlagen.

Michael Pedrazzi ist Vorstandsmitglied der Starken Schule beider Basel

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