11. März 2018

"Frühe Fremdsprachen schaden Naturwissenschaften"


Fremdsprachen würden auf der Primarschulstufe auf Kosten anderer Fächer unterrichtet: Mit dieser Aussage in der «Südostschweiz» vom 1. März sorgte die Felsbergerin Marianne Manzanell für viel Diskussionsstoff. Was der Verwaltungsrätin der Freymatic AG besonders sauer aufstösst: Vor allem die Mint-Fächer würden heute negativ beeinflusst, weil die Primarschüler für den frühen Fremdsprachenunterricht einen zu grossen Aufwand betreiben müssten. Zu den Mint-Fächern gehören alle Fächer, in denen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik unterrichtet werden.
Der Lehrplan 21 lässt die Mint-Verfechter hoffen, Südostschweiz, 10.3. von Corinne Raguth Tscharner


Mehr Zeit für andere Fächer
«Ich gebe Frau Manzanell schon recht», sagt Cornelia Märchy-Caduff. Die Emser CVP-Grossrätin und Präsidentin der grossrätlichen Kommission für Bildung und Kultur unterrichtet selbst als Primarlehrerin die erste bis dritte Klasse der «Scola Bilingua» in Domat/Ems. «Die Kinder sind mit dem Lernen der Frühfremdsprachen sehr beschäftigt und können dadurch weniger Zeit in andere Fächer investieren», so Märchy-Caduff. Man überhäufe die Primarschulkinder mit Lernstoffen, die sie zu einem späteren Zeitpunkt viel besser aufnehmen könnten.

«Die Zeit, welche Kinder ins Lernen der Fremdsprachen stecken, sollte zuerst für die Muttersprache eingesetzt werden, damit die Schüler die Grundlagen haben», so Märchy-Caduff weiter. Denn Textverständnis, Wort und Schrift hätten auch auf die Mint-Fächer einen positiven Einfluss.

Wirksamkeit wird untersucht
Auch Sandra Locher Benguerel sieht sich oft mit solchen Fragen konfrontiert. «Die Wirksamkeit des frühen Fremdsprachenunterrichts wird kontrovers diskutiert – auch in der Forschung», sagt die Präsidentin des Verbands Lehrpersonen Graubünden. Man werde voraussichtlich mehr wissen, wenn die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren im nächsten Jahr eben diese Wirksamkeit evaluiere.

Laut Locher Benguerel hat die Bildung einen ganzheitlichen Auftrag. Dazu gehöre der Mint-Bereich genauso wie die Fremdsprachen. «Es ist wenig sinnvoll, die Fächer gegeneinander auszuspielen», sagt die SP-Grossrätin.

Auch Gian-Paolo Curcio, Rektor der Pädagogischen Hochschule Graubünden, teilt diese Meinung. Wie er sagt, können Schülerinnen und Schüler nicht einfach den Kategorien «sprachbegabt» oder «mathematikbegabt» zugeordnet werden.

Lehrplan 21 bringt Besserung
Mit dem Lehrplan 21, der ab August im Kanton umgesetzt wird, dürfte sich in der Primarschule manches ändern. «Er bringt die Chance, dass die Mint-Fächer wirklich aufgewertet werden», sagt Märchy-Caduff.

Auch Locher Benguerel findet, dass der Lehrplan 21 den Mint-Bereich stärken werde und dass dies durchaus Sinn mache. «Der Lehrplan 21 bewegt etwas in Graubünden», sagt sie. Erstmals seien im Kindergarten und in der Primarschule im Bereich Natur und Technik klare Kompetenzziele definiert. «Das sind mitunter ganz einfache Sachen – zum Beispiel, dass man im Unterricht experimentiert.» Zudem sei es ein Fortschritt, dass neu auch das Fach Medien und Informatik bereits auf Primarschulstufe unterrichtet werde, so Locher Benguerel. «Das alles wird nicht auf Kosten der Frühfremdsprachen gehen.»

Unternehmerin Manzanell wiederum sieht mit dem Lehrplan 21 die Gefahr, dass man den Kindern damit nur noch mehr aufhalse und sie überfordere. «Man kann nicht einfach mehr machen, ohne irgendwo etwas zu kürzen», sagt sie und verweist erneut auf den frühen Fremdsprachenunterricht, der zu einem passenderen Zeitpunkt durchgeführt werden könne.
Übrigens, Manzanell hat auf ihren Vorschlag ausschliesslich positive Reaktionen erhalten, wie sie sagt. «Ich wurde auf der Strasse von Lehrern angesprochen, die fanden: ‘Endlich sagt mal jemand, wie es ist’.» Diese Reaktionen «von der Front» würden zeigen, dass etwas gemacht werden müsse, ist Manzanell überzeugt.


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