2. Mai 2018

Erfolgreicher Unterricht mit dem neuen Sprachenkonzept

Eine Umfrage «Erfüllt das Fremdsprachenkonzept unsere Erwartungen?», organisiert von einer Partei mit frühlingshaftem Blättchen als Identitätsmerkmal, fand 2016 statt. Die unterschwellige Antwort lautete Nein.
Zwei Jahre später erklingt in der Öffentlichkeit noch immer dieselbe Leier, dissonant für die einen, mit Fuge für die andern, da nun das Baselbiet aus Passepartout aussteigt. In diesem Kontext erhebt sich meine Stimme. Würde sie erklingen, würde sie singen. So lesen Sie meine Argumente pro Frühfranzösisch und pro «Mille feuilles», frisch aus der Schulstube rapportiert, am besten tirilierend.
Neue Töne für eine alte Leier, Basler Zeitung, 2.5. von Claudia Gradinger

Frage der Ein- und Anstellung
Tatsächlich war die Einarbeitung in dieses Lehrmittel eine Herausforderung. Sich durch das komplexe Angebot der Aufgaben durchzuringen, verlangte der Lehrerschaft und den Schülerinnen und Schülern einiges ab. Vergleichbar mit einem Fahrradbau – tausend Teile und erst noch Zahnräder, die es zu montieren gilt. Allenfalls standen mir die Haare zu Berge aber deswegen gehe ich nicht bis zum Bundesrat und schreie Zeter und Mordio. Mittlerweile unterrichte ich erfolgreich mit «Mille feuilles» seit vier Jahren, insgesamt zehn Klassen, 3. bis 6. Primar.

Nach anfänglicher Aufregung scheinen sich die Eltern, einige ausgenommen, beruhigt zu haben. Die Kinder haben ihre Anpassungsfähigkeit schon längst unter Beweis gestellt und unter den Lehrkräften gibt es weiterhin negative und positive Stimmen. Welche Methode auch immer angewendet wird, jede Lehrperson hat schliesslich ihren eigenen Unterrichtsstil. Zudem ist «Mille feuilles» auf den Lehrplan 21 abgestimmt.
Test auf französischem Markt
«Mille feuilles» könne die Motivation bei den jüngeren Kindern nicht entfachen. Sie würden keinen noch so einfachen Satz sagen können, sagen die Kritiker am Lehrmittel. Mit einer 3. Klasse fuhren wir nach Mülhausen zum grössten Markt Ostfrankreichs mit dem Ziel, dort selbstständig Lebensmittel und anderes einzukaufen.

In der 3. Klasse kommt das Thema Markt vor. Die Schüler lernten den im «Mille feuilles» vorgegebenen Alltagswortschatz, Zahlen von 0 bis 10 und «Parallelwörter» (z.B. ananas, banane ...). Vor Ort wurden die Kinder in kleine Gruppen aufgeteilt. Es ging darum, Marktartikel auszusuchen, zu bezahlen, «Merci» und «Auf Wiedersehen» zu sagen. Ein Junge handelte sogar seine Schirmmütze runter. So kamen sie alle nach Hause mit «bananes», «ananas», «tomates», wie auch mit «baguette» und «fromage».

Einige Eltern gaben spontan Feedback, wie glücklich und stolz ihre Kinder zurückkehrten. Auch ich machte meine Umfrage bei den Kindern, indem sie den Prozentkuchen ausmalen durften zur Frage: Wie viel hast du Französisch geredet und verstanden? Alle Kuchen waren über die Hälfte gefüllt. Wer das erste 3.-Klass-Magazine kennt, weiss, dass darin nicht nur vom berüchtigten «monstre de l’alphabet» die Rede ist, dass nicht nur das Verb «chatouiller», welches die breite Öffentlichkeit so interessiert, gelernt wird, sondern eben auch der praxisbezogene Alltagswortschatz.

Auch Grammatik gibt es. Sie ist in der Revue themenspezifisch geordnet, mit unbeschriebenen Seiten versehen und fordert die Schüler nochmals auf, die im Parcours erlernten Grammatikregeln mit eigenen Worten zu erfassen: Kluge Kunstwerke entstehen so.
Mit MF lerne man kein Französisch
Mit 4. Klassen fuhren wir innerhalb der tollen «Zusatzangebote Passepartout» in die «Petite Camargue Alsacienne». Die Kids erlebten dort die Naturreserve hautnah, geführt wurden sie von einer zweisprachigen Leiterin. Sie erklärt, stellt Rätsel und gibt Anweisungen. Für eine der 4. Klassen bat ich sie, dies alles auf Französisch zu tun. Ich traute es den Kindern zu, über zwei Stunden Französisch zu hören, zu verstehen und zu lesen. Indem die Kinder die Antworten auf die Rätsel fanden, war klar, dass sie Französisch nicht nur laut vorlesen können, sondern auch verstehen.

Fremde Muttersprachen: In der besagten 4. Klasse haben bis auf zwei Kinder alle eine fremde Muttersprache. Eben diese Klasse ist eine starke «Rede-Klasse». Nicht erstaunlich: Studien haben ergeben, dass Kinder mit fremder Muttersprache, unter der Voraussetzung, dass sie diese gut beherrschen, eine neue Sprache einfacher dazulernen als monolinguale Kinder. Die Heterogenität als Bereicherung zu sehen, hängt zweifellos von den Wertvorstellungen jeder (Lehr-)Person ab. Ich mag es, die Kinder so viel wie möglich sprechen zu lassen. «Nous parlons français», heisst es im Mille feuilles. Mit Hand und Fuss reden sie zu ausgewählten Themen drauflos: Ambiance pur, Topmotivation! Fehler sind willkommen, die Scheu zu reden, bleibt in der Garderobe. Mit fein säuberlich erstellten Konjugationslisten haben wir noch nie Brot eingekauft und auch nicht über Gott und die Welt diskutiert, oder?

An dieser Stelle richte ich meine Gedanken an alle Französischlehrkräfte, die mit viel Engagement und Professionalität ihre Schüler mit «Mille feuilles» effizient unterrichten. Denn es gibt sie und sie sind auf der Höhe ihrer hohen Ambitionen. Wie dringen wohl die argwöhnischen Bemerkungen «Die Kinder lernen kein Französisch» zu deren Ohren? Ich stelle mir vor als Ohrfeige.
Lehrer würden kulant bewerten
Mit vier 6. Klassen habe ich die P6-Checks durchgeführt. Obschon ich keine Vertreterin solcher Standardevaluierungen bin, boten diese einen Rahmen (und hier wohl gleich erneuten Gesprächsanlass), über diesen man feststellen kann, wo ich als Lehrperson «auf Kurs» bin bezüglich Bewertung der Leistungserhebungen. Die Checks sind nicht auf «Mille feuilles» abgestimmt. In allen vier Klassen deckte sich der von mir ausgerechnete Klassendurchschnitt mit demjenigen der Checks. Erstaunlicherweise schnitten die Klassen im Französisch am besten ab im Vergleich mit den anderen geprüften Fächern.
Die Kinder wurden «nur» auf Hör- und Leseverstehen geprüft. Zählte man ihre Sprechkompetenz zur Beurteilung, dann würde ich das abverdiente Stück vom Kuchen mit Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, gerne teilen.
Liedtexte seien zu anspruchsvoll
Vielerlei Wortschatz zieht sich wie ein roter Faden durch Lieder und Texte bis hin zum letzten 6.-Klass-Parcours. Tricks, wie man einen Text, von dem man anfangs nur «Bahnhof» versteht, erschliessen und verstehen kann, kennen die Schulkinder seit der 3. Klasse.
In der PS Brunnmatt übten im Jahr 2017 alle in den Genuss des Französischunterrichts kommenden 240 Kinder von der 3. - 6. Klasse das Lied «On ira» von ZaZ ein, das im Magazine der 6. Klasse angeboten wird.

Eine Herausforderung, die unsere Lehrkräfte gerne auf sich nahmen, um dem Französisch seine verdiente Stimme zu verleihen. Alle Schülerinnen und Schüler sangen «On ira» auswendig auf dem Pausenplatz. Das Lied war anspruchsvoll, die Erarbeitung ebenso. Doch mit welcher Genugtuung verliessen die 6. Klässler die Primar Richtung Sek, stolz sangen die jüngeren eifrig mit und mit Freude beklatschten die Eltern ihre Sprösslinge.
«On ira», ein Lied der Toleranz, als Aufruf zur «geistigen Öffnung» gegenüber Neuem.

Claudia Gradinger, Fachschaftspräsidentin Fremdsprachen der Primarschule und Lehrerin.


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