18. August 2014

Fakten zum Primarfranzösischen jenseits der Heuchelei

Arthur Rutishauser über das umstrittene Frühfranzösich in den Schulen der Deutschschweiz und Politiker, die deswegen um den Zusammenhalt des Landes fürchten.
Wenn in der Deutschschweiz mal wieder über Sinn und Unsinn des Französischunterrichts in den Primarschulen gestritten wird, melden sich immer die Politiker aus der Romandie und beklagenden fehlenden Zusammenhalt der Schweiz. Darauf melden sich die immer gleichen Deutschschweizer Politiker, die ihnen beipflichten. Für mich ist das die pure Heuchelei. Der Zusammenhalt der Schweiz soll davon abhängen, ob unsere Kinder in der Primarschule während zwei bis drei Jahren für zwei Stunden in der Woche spielerisch Französisch lernen oder nicht?
Nimmt man den Lernerfolg aus diesen zwei Stunden zum Massstab, muss es tatsächlich schlimm stehen um den Zusammenhalt der Schweiz. Wer das nicht glaubt, soll einmal versuchen, mit 12-jährigen Kindern französisch zu sprechen oder in Lausanne auf die Strasse gehen und sich dort bei den Kids auf Deutsch durchfragen. Das Resultat ist ernüchternd. Logischerweise, könnte man sagen, denn wer lernt schon spielend eine Sprache mit zwei Stunden Unterricht pro Woche? Wenn schon müsste man den Sprachunterricht intensivieren und einen wesentlichen Teil der Stunden in Französisch abhalten.







Es gibt keine Einigkeit, welche Fächer für die zweite Fremdsprache geopfert werden müssten, Bild: Konrad Stadler

Von der Heuchelei im Sprachenstreit, Sonntagszeitung, 17.8. von Arthur Rutishauser






Doch dazu fehlt den meisten Primarlehrern die Sprachkompetenz und den meisten Politikern der Mut, weil das eben auch bedeuten würde, dass man sagt, welche Fächer man dem Sprachunterricht opfert. Dann wird es nämlich heikel, dann kann man nicht mehr über den Zusammenhang des Landes parlieren, sondern man muss beispielsweise sagen, Religion braucht es nicht in der Schule, nähen kann man zu Hause und statt Blumen beobachten ist jetzt Vokabelnlernen angesagt.

Dann, und zwar erst dann, würden die Kinder wirklich Französisch lernen. Und wenn man auch noch das Klassenlager in die andere Sprachregion verlegte, gäbe es einen richtigen Lernerfolg – sonst nicht. Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen, dass es kaum einen messbaren Unterschied in der Sprachbeherrschung gibt zwischen Schülern, die schon in der Unterstufe Französisch hatten, und solchen, die erst auf der Sekundarstufe unterrichtet wurden. Auch dass Primarschüler sehr viel einfacher Sprachen lernen, ist eher ein Mythos. Dass der Lernerfolg mit mehr Wochenstunden grösser wird, ist hingegen bewiesen und wird von niemandem bestritten.

Doch dass man im Unterricht mehr Französisch-Lektionen einbaut und ernsthaft versucht, die Fertigkeiten in der zweiten Landessprache zu verbessern, wird kaum geschehen. Zu laut wäre der Aufschrei der Pfarrer, wenn es um den Religionsunterricht geht, zu vehement würde sich die SVP dafür einsetzen, dass die Mädchen auch weiterhin lernen, wie ein Haushalt geführt wird – auch wenn heute kaum jemand mehr seine eigenen Socken flickt. Und die linkee Lehrergewerkschaft würde uns beweisen, dass es schädlich ist, wenn Kinder nicht mehr Tiere beobachten können.

Also kultiviert man weiter den Schein der Vielsprachigkeit, beklagt den fehlenden Zusammenhalt des Landes und macht ein Gesetz, das den Französischunterricht zementieren soll, wie dies Innenminister Alain Berset tun will. Zählen sollten jedoch pädagogische Überlegungen. Und es bräuchte eine Einigkeit darüber, welche Fächer für die zweite Fremdsprache geopfert werden müssten. Doch diese Einigkeit gibt es nicht. Das sind die Fakten jenseits der Heuchelei. Und sie sprechen gegen Französisch auf Primarstufe.

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